10.08.2023

Zen oder Die Theorie des Imperfekten

French Connection“ directed by William Friedkin, 1971
Hartgesotten: The French Connection
(Foto: French Connection directed by William Friedkin, 1971)

Pose, Wahn, Hochdruckkino: Meine Begegnungen mit dem Regisseur William Friedkin

Von Rüdiger Suchsland

»I thought I was bullet­proof. And I wasn’t.«
William Friedkin

Ein Mann, der mal ein paar Jahre mit Jeanne Moreau verhei­ratet war, muss einige Dinge richtig gemacht haben in seinem Leben.
Und wer ihn traf, konnte ahnen, woran das lag: In dem bis zur Abge­fuckt­heit routi­nierten Film­be­trieb mit seinen forma­tierten Inter­view­s­lots und den absurden Pres­se­agenten, die »20 minutes« krähen und nach 13 Minuten rein­kommen und das Interview beenden wollen, war er der Mann des »Relax!«, »Let’s go on!!«. Wenn es ihm Spaß gemacht hat, dann machte er einfach weiter, wenn ihm das Gegenüber gefiel, oder dessen Fragen oder einfach der Moment, dann machte er viel länger weiter. Er konnte sich das leisten. Er war einfach ein Alphatier aus Hollywood, der um seine Macht wusste und sie charmant gebrauchte.

Bestimmt konnte er »a pain in the ass« sein, er war sicher in seiner Jugend auch mal sehr arrogant und autoritär, aber das habe ich nicht miterlebt und ist viel­leicht nur blöde Speku­la­tion. Was ich erlebt habe, war ein Mensch, der sehr sehr kommu­ni­kativ war, der sehr gerne über seine Filme gespro­chen hat, der sehr offen war, und auch gesagt hat, wenn er meinte, dass ihm selber etwas nicht gelungen ist. Aber auch, wenn er fand: »That’s the best I’ve done. It’s perfect«, wie über Sorcerer, der nur ein Miss­erfolg an der Kinokasse war.
Friedkin war sehr aufmerksam, ein guter Beob­achter, sehr nahbar, er war lustig. Nie hat man gemerkt, wie alt er war. Mit über 70 wirkte er wie ein End-50er, Anfang 60-Jähriger.

Er war lustig, er war selbst­iro­nisch, er war ein sehr sehr guter Erzähler, der auch einen Spaß daran gehabt hat, Anekdoten zu erzählen. Sehr gute Anekdoten mit Pointen – und er hatte keine Angst davor, zu scho­ckieren. Viele andere Leute haben große Angst davor, anzuecken und Leute vor den Kopf zu stoßen. Die hatte Friedkin nicht.
Er war mutig. Er hatte Lust an der Provo­ka­tion, der Zuspit­zung, man konnte das auch sarkas­tisch und manchmal auch zynisch finden – er hat ganz bestimmt keine hohe Meinung gehabt von der Film­in­dus­trie, und das hat er auch heraus­hängen lassen.
Es hat ihn alles auch nicht mehr wirklich gekümmert – er hatte alles gewonnen, was man gewinnen kann, von den Einnahmen aus The Exorcist konnte er den Rest seines Lebens sehr gut leben, und er hat einfach Filme gemacht, weil er das gerne gemacht hat.

Es war ein Glück, einem solchen Menschen über den Weg zu laufen und ein paar Interview-Minuten, zweimal allein, einmal in einer Gruppe, mit ihm zu teilen. Jetzt bleiben noch seine Filme, und die in gewissem Sinn fast genauso groß­ar­tigen, anek­do­ten­satten, funken­sprühenden Inter­views und Master­classes auf YouTube.

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Er war noch sehr jung, als er seinen aller­größten Erfolg erlebte, und dass er sich schon damals, als er erst sechs­und­dreißig­jährig mit The French Connec­tion fünf Oscars gewann, gleich noch vier Jahre jünger gemacht hat, erzählt schon einiges über William Friedkin. Eine Weile wurde er dann in den Annalen als jüngster Regisseur geführt, der je den Regie-Oscar erhielt, bevor man darauf kam, dass er eigent­lich 1935 geboren wurde, und man ihn wieder als Rekord­halter strich.

Da war Friedkin schon in einer Krise, die halb künst­le­risch, halb kommer­ziell war – wie bei so vielen Regis­seuren New Holly­woods. Er ging dann weder unter wie Michael Cimino, noch gelang es ihm, einfach weiter­zu­ma­chen, wie das Scorsese oder, ganz anders, Spielberg schafften. Am ehesten kann man ihn mit Coppola verglei­chen, mit dem er den Ruhm und die kommer­zi­ellen Erfolge der Anfänge ebenso teilte wie später die hybride Selb­stü­ber­schät­zung und immer wieder harte Bruch­lan­dungen und kleine Zwischen­hochs. Para­do­xer­weise gehört gerade Friedkin, wie kaum ein Zweiter unter den jungen Rebellen der frühen Siebziger dem europäi­schen, besonders dem fran­zö­si­schen Kino verbunden, mit The Exorcist auch zu den Erfindern jenes modernen Block­bus­ter­kinos, das dem Aufbruch den Garaus machte und heute zum Synonym der Hollywood-Macht geworden ist.

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Wer Friedkin vor 16 Jahren im Sommer 2007 auf dem Münchner Filmfest begegnete, wo man ihn seiner­zeit mit einer Hommage würdigte, erlebte einen aufgeräumten, heiteren, ange­sichts kursie­render Anekdoten über­ra­schend sympa­thi­schen Mann. Einer, der ganz offen­sicht­lich mit sich im Reinen war. Wie merk­würdig, dass jemand so gelassen wirkt, dessen viel­leicht aller­beste Film-Szenen genial-hyste­ri­sche, über­bor­dende, fort­wäh­rend unter Hochdruck stehende Auto­ver­fol­gungs­jagden oder Auto­fahrten sind – im genialen French Connec­tion, und dann in Sorcerer (1977) und To Live and Die in L.A. (1985), die heute wie eine Summe der Siebziger bezie­hungs­weise der Achtziger erscheinen.

Hätte man es es nicht besser gewusst, hätte man ihn noch in den letzten Jahren mit seinen minimalen Falten und dem dezent, aber perfekt gefärbten Haar übrigens glatt für zwanzig Jahre jünger halten können.

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Ein überaus kommu­ni­ka­tiver Mensch. Sehr schlag­fertig, schnell, sprudelt er im Gespräch von Anekdoten. Etwa, dass er weder Gene Hackman noch Fernando Rey für die Haupt­rollen in French Connec­tion haben wollte; zu Rey kam er durch eine Verwechs­lung des Agenten, und Hackman sei überhaupt der lang­wei­ligste Mensch, den er je getroffen habe. Oder die Geschichte über Hitchcock, für dessen Fernseh-Show »Alfred Hitchcock presents« er eine Folge drehte und der ihm nichts zu sagen hatte, außer dass sich der junge Mann doch bitte­schön eine Krawatte anziehen solle.

Auch über Miss­erfolge machte Friedkin damals im Rückblick souveräne Scherze: Minu­ten­lang beschrieb er genüßlich die Reaktion eines Studio­bosses auf Cruising, bekannt­lich den größten Skan­dal­film in Friedkins Karriere. Erst rückte der Mann unruhig im Kino­sessel hin und her, zog sich die Jacke aus, wischte sich immer wieder stöhnend mit einem Taschen­tuch den Schweiß vom Hals, um schließ­lich mit einem lauten »Oh no, oh my god – that is the worst film, I’ve ever seen« das Kino zu verlassen.

Cruising, der dann umge­schnitten wurde und bei uns niemals im regulären Kino lief, nannte Friedkin ein Vier­tel­jahr­hun­dert später »fast ein Musical«. Al Pacino spielt einen Cop, der auf der Suche nach einem Seri­en­mörder under­cover in die Schwu­len­szene eindringt und von ihr verführt wird – ein Film noir der Spät­sieb­ziger, der immer noch gut funk­tio­niert. Am meisten faszi­niert er aber als New-York-Film, der konse­quent jede auch nur ansatz­weise touris­ti­sche Perspek­tive auf die Stadt ausblendet, eine hässliche, verdreckte Metropole zeigt. Und als sattes, sinn­li­ches Porträt der schwulen S/M-Szene vor den Zeiten von Aids – Reisen in die verlorene Zeit.

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Sein wohl alles in allem neben (oder vor?) French Connec­tion bester Film ist und bleibt die Lohn der Angst-Version The Sorcerer: Psyche­de­li­sches Bewe­gungs­kino, die ganze Welt in der Hoch­druck­presse des mittel­ame­ri­ka­ni­schen Dschun­gels zur Regenzeit, pulsie­rend ange­trieben vom Elek­tro­sound­track der Tangerine Dream, ein unglaub­li­cher Film, der immer wieder faszi­niert und fassungslos macht.
Und der fünf weitere Filme in sich birgt, die man auch unbedingt sehen möchte.

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Es gibt viele Friedkin-Filme, aber fünf »Elefanten«, Meis­ter­werke: The French Connec­tion; The Exorcist; Sorcerer; Cruising; To Live and Die in L.A..

Gern wieder sehen möchten wir Jade, in dem Linda Fioren­tino eine Femme fatale spielte, die à la Barbara Stanwyck die Männer – David Caruso, Chazz Palm­in­teri – zu ihrem eigenen Vorteil um den Finger wickelt – wer erinnert sich noch? Und erst recht das sagen­um­wo­bene Interview mit dem uralten Fritz Lang, das in Deutsch­land nur einmal stark gekürzt zu sehen war. »Lang hat während des Gesprächs immerzu Brat­würste gegessen«, behaup­tete Friedkin, »darum musste ich so viel heraus­schneiden.« Erstaunt habe ihn auch, dass Lang seine frühen, in Deutsch­land entstan­denen Stumm­filme überhaupt nicht geschätzt habe.

Dass konnte Friedkin nicht passieren. Er kannte seinen Rang, und wer genauer hinhörte und hinguckte, spürte auch manche Verwun­dung, und bemerkte, dass er hinter der relaxten Pose nicht immer frei war von Eitelkeit. In seinen letzten Jahr­zehnten insze­niert er, der von sich sagte: »Ich arbeite nicht nur für Geld«, bekannt­lich vor allem Opern, was wahr­schein­lich nicht allein an seiner Liebe zur klas­si­schen Musik lag, sondern auch daran, dass man ihn überhaupt nur ab und zu noch mal einen Film machen ließ. Immer wieder mal hörte man von Projekten: Ein Mae-West-Biopic war eine Weile im Gespräch, und dann die Adaption von Don Winslows Krimi »The Winter of Frankie Machine«, ein Projekt, das ihm Martin Scorsese wegschnappte, bevor es sich im Sand verlief.

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Später bei weiteren Begeg­nungen und Inter­views, gleich zweimal in Venedig (zuletzt vor zehn Jahren, als er 2013 den Ehren-Löwen bekam) und 2016 bei einer eindrucks­vollen Master­class in Cannes, präsen­tierte sich Friedkin immer wieder fast wie ein Zen-Meister des Kinos: »Die Geschichten finden mich. Ich suche nichts.« Was in seinen Filmen am besten funk­tio­niert habe, sei immer aus Zufall entstanden – eine Theorie des Imper­fekten, Passiven; eine Anti-Mytho­logie des Filme­ma­chens. Einen visuellen Stil habe er auch nicht. »Ich versuche, mich der Arbeit anzu­passen. Wahre Geschichten gerad­linig zu erzählen, der Action zu folgen, ohne mich einzu­mi­schen.«

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Aber man muss ihm auch nicht alles glauben, was er erzählte, und was in den unzäh­ligen, fast immer sehr sehens­werten Master­classes und Inter­views zu sehen ist, in denen er ab jetzt auf YouTube weiter­leben wird. Etwa, dass die erwähnte welt­berühmte Auto­ver­fol­gungs­jagd in French Connec­tion ohne Absper­rungen und recht spontan gedreht wurde – da gibt es gute Gründe zu zweifeln.

Tatsäch­lich merkt man Friedkins Filmen aber an, dass er als Doku­men­tar­filmer begann, unter anderem mit einer preis­ge­krönten Doku­men­ta­tion über American Football. Doch neben dem authen­ti­schen Touch sind Friedkins Filme, gerade wo sie am besten sind, immer auch nervöses Hoch­druck­kino, fort­wäh­rend in Bewegung, in der Ruhe noch zitternd von der voran­ge­gan­genen Anstren­gung. Oft sind es auch Filme über Männer­welten und deren dunklen Seiten. Damit auch über ein Amerika der Angst, verei­nigte Staaten am Rande des Nerven­zu­sam­men­bruchs. Vor allem French Connec­tion und The Exorcist waren Reisen ins kollek­tive Unbe­wusste dieses Amerikas, das zur Hochzeit von Viet­nam­krieg und Watergate nach solchen Dekon­struk­tionen des Poli­zei­ap­pa­rats und der all American family lechzte.

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Dies gilt definitiv auch für Bug, Friedkins befrem­dend-faszi­nie­rendes Werk über Paranoia, in der der Horror früherer Filme sich plötzlich nach innen wendet. Auch der passt haargenau zur Befind­lich­keit des inneren Amerika in den Jahren des entglei­tenden »War on Terror« und der späten Bush jr.-Präsi­dent­schaft: Der Film beginnt mit einem Hubschrau­ber­geräusch und dem Blick auf einen Venti­lator – die Anspie­lung auf den Anfang von Apoca­lypse Now ist fast zu grob offen­sicht­lich, wäre da nicht auch noch Erin­ne­rung an den »brother in crime« Coppola. Aus dem Off kommt Tele­fon­klin­geln. Ashley Judd – keine kann so kaputt und vulgär aussehen und dabei doch so attraktiv bleiben – spielt Agnes, eine Trinkerin, die in einem Motel wohnt. Ihr Mann sitzt im Knast, weil er sie fast totschlug. Ihr Kind verschwand vor neun Jahren spurlos im Super­markt. Alle Voraus­set­zungen für eine satte Paranoia sind also vorhanden, und als sie auf Peter trifft und mit ihm ein Verhältnis beginnt, ist es so weit. Denn dieser Veteran ist überzeugt, Opfer eines Expe­ri­ments des Geheim­dienstes zu sein und eine »Wanze« in sich zu tragen.

Innen­an­sichten des Wahns, die schnell eska­lieren. Irgend­wann zieht Peter sich selbst mit einer Klemp­ner­zange die Zähne, schneidet sich vermeint­liche Wanzen aus dem Leib. Und am Ende, als Agnes sicher ist: »I am the super mother bug« – was man Ashley Judd wirklich sehr gern sagen hört –, tun beide, was paranoide Menschen manchmal tun, und zünden ihr Haus über dem Kopf an. Gerade weil er schwer erträg­lich ist, ist Friedkins Film auch ein tref­fender Kommentar zur Conspi­racy Theory, zur Signatur der ameri­ka­ni­schen Gegenwart – und das ermu­ti­gende Zeichen, wozu man auch mit siebzig Jahren noch fähig ist. Zumindest wenn man William Friedkin hieß.

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In vier Wochen wird William Friedkins letzter Film (eine Neufas­sung der berühmten, mehrfach adap­tierten Geschichte »Die Caine war ihr Schicksal«) bei den Film­fest­spielen von Venedig Premiere haben – jetzt wird es eine traurige, posthume Premiere sein, denn am Montag ist der US-ameri­ka­ni­sche Regisseur William Friedkin kurz vor seinem 88-Geburtstag gestorben.