Das Spiel im Spiel |
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Züchte Raben, und sie hacken dir die Augen aus… | ||
(Foto: Instituto Cervantes) |
Ihm ist es gelungen, während der Franco-Zeit unter Zensurbedingungen in Spanien zu drehen und dabei zu einem der bedeutendsten spanischen Regisseure zu werden. Hinter seinen Filmen konnte er künstlerisch und inhaltlich stehen, ohne sich dem Regime ideologisch anzupassen und dabei doch kritisch zu bleiben. Das verschaffte ihm internationale Anerkennung. Die Rede ist von Carlos Saura.
Insbesondere seine Spielfilme aus der Zeit der Franco-Diktatur zählen mit zu den stärksten Beispielen eines stilistisch stringenten, poetisch durchkomponierten und gesellschaftskritisch engagierten Autorenkinos aus Europa. Als Regisseure, die ihn besonders beeindruckt haben, nannte Saura selbst Luis Buñuel, Ingmar Bergman und Federico Fellini.
Im Januar ist der Regisseur von mehr als 30 Spielfilmen und über 10 dokumentarischen Musikfilmen mit 91 Jahren gestorben. Anlass für die Theatiner Filmkunst, im Rahmen der Filmkunstwochen München an Carlos Saura zu erinnern, in einer kleinen Hommage mit vier Filmen aus vier Jahrzehnten, die für verschiedene Phasen im Werk Sauras stehen.
Cría cuervos / Züchte Raben (1976) leitet das Ende der ersten Werkphase Sauras ein, in der er wegen der Zensur oft zu verschlüsselten Formen der Darstellung greifen musste, und ist eine eindringliche psychologische Studie über die Erfahrungswelt der achtjährigen Ana. Sie hat den Tod der Mutter zu bewältigen und hegt Rachegefühle gegenüber dem Vater, einem franquistischen Militär, der unvermutet in den Armen seiner Geliebten stirbt. Die Zeit der Trauer, die mit den Sommerferien zusammenfällt, stellt sich als eigentümlicher Schwebezustand dar, der im kindlichen Rollenspiel auch immer wieder nach Ausflucht sucht, und als Übergangszeit mit offener Zukunft. Für viele Spanier war dieser Film vom lähmenden Ende der Franco-Zeit auch als Parabel auf das ungewisse Stadium der ungeregelten Nachfolge für die Diktatur lesbar, für die Zeit, in der Franco de facto noch an der Macht war, wegen Krankheit aber die Regierung nicht mehr führen konnte.
Aus der jüngsten Werkphase stammt ¡Ay, Carmela! (1990), die Verfilmung des Theaterstücks von José Sanchis Sinisterra, das 1986 entstand und auf den Bühnen nicht nur Spaniens sehr erfolgreich war. Sein Thema ist der traumatische spanische Bürgerkrieg.
Besonders bedeutsam für Sauras Schaffen war der große internationale Erfolg mit Carmen aus dem Jahr 1983, mit dem sich Saura eine gänzlich neue Phase eröffnete. Es handelt sich dabei nicht einfach (wie etwa bei Carmen von Francesco Rosi im gleichen Jahr) um eine Verfilmung der Oper von Georges Bizet von 1875 (die wiederum auf Prosper Mérimées Novelle von 1845 basiert). Saura lässt den Choreographen und Tänzer Antonio Gades mit dem
Gitarristen Paco de Lucía ein Flamenco-Ballett entwickeln. Das Ballett ist nur vordergründig die Inszenierung des Carmen-Stoffes, um den es hier geht. Eingebettet ist er in die Liebeshandlung um Antonio (gespielt von Antonio Gades als Choreograph und Tänzer) und Carmen (Laura del Sol), die auch die Tänzerin von Carmen ist und wiederum ihre ältere Rivalin Cristina (Cristina Hoyos) ausbootet.
»Carmen« ist bei Saura also weit mehr als das vordergründige Eifersuchtsdrama. Auf doppelbödige Weise spiegelt sein Film den Inhalt des Carmen-Stoffs und transponiert ihn in die Geschlechterverhältnisse des späten 20. Jahrhunderts. Die Spiegelwände in den Proberäumen der Tänzer setzen die thematische Spiegelung ganz konkret in Visualität um und geben der vom Flamenco inspirierten Musik und Choreographie eine unmittelbare filmische Faszination.
Mit Bodas de Sangre (1981, nach der Tragödie von Federica García Lorca) und El amor brujo / Liebeszauber (1986, nach dem Ballett mit Gesang von Manuel de Falla) bildet Carmen eine Flamenco-Tanz-Trilogie, die Saura
mit dem Tänzer und Choreographen Antonio Gades erarbeitet hat. Sie stellt den Auftakt zu den Musikfilmen Sauras (zu Flamenco, Fado, Tango oder Jota) dar, die mit den populärsten Teil seines Werks ausmachen.
Kehren wir zu den politischen Anfängen von Sauras Werk zurück. La caza / Die Jagd aus dem Jahr 1966 kann als repräsentativ gelten für das Erzählen unter der Repression der Franco-Zensur. Saura bedient sich jener allegorisch-parabelhaften Erzählweise, mit der er in den 60ern und 70er Jahren indirekt Kritik vor
allem an der bürgerlichen Klasse übt, die den Franquismus maßgeblich getragen hat.
Im Film geht es um den Jagdausflug dreier gesetzter Herren, alles respektable Repräsentanten des Bürgertums, als Vertreter der jüngeren aufstrebenden Generation ist noch ein Schwiegersohn dabei. Die Kaninchenjagd hier wird – nicht unähnlich der Jagd in Jean Renoirs La règle du jeu – zum
Ausdruck einer versteckten Mordbereitschaft und Brutalität hinter dem Firnis der Zivilisation.
Der ästhetische Ausgangspunkt ist neorealistisch, was typisch für Sauras frühe Filme ist. Schon sein Debütfilm Los golfos / Die Strassenjungen von 1959 zeigte sich in dieser Hinsicht von Luis Buñuels Los olvidados inspiriert. Und ähnlich wie bei Buñuel erweitert und vertieft Saura den neorealistischen Ansatz. Die prägnant-expressiven Schwarz-Weiß-Bilder von Luis Cuadrado, der in Sauras frühen Filmen die Kamera führte, verzerren die präzis erfasste äußere Wirklichkeit zu subjektiven Traum- und Wahnbildern. Doch geht es Saura dabei weniger um psychologische Introspektion, mehr um die moralischen Deformierungen des Bürgertums unter Franco.
Die Eskalation der unterschwelligen Gewalt, die auf verdrängte Konflikte aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegs (1936-39) zurückführbar ist, wird in La caza durch Western-Zitate stilisiert. Das dient nicht nur dazu, die Zensur abzulenken. Es ergeben sich damit vor allem durch die karge Landschaft, die Schauplatz der Jagd ist, auch einprägsame Motive, die mit abrupten Montageeffekten (beim Laden und Abfeuern der Waffen) verstärkt werden.
Theatiner Filmkunst, München
Noch bis 15.8.2023
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