10.08.2023

Das Spiel im Spiel

Züchte Raben
Züchte Raben, und sie hacken dir die Augen aus…
(Foto: Instituto Cervantes)

Carlos Saura, Franco und der Flamenco – eine Hommage

Von Wolfgang Lasinger

Ihm ist es gelungen, während der Franco-Zeit unter Zensur­be­din­gungen in Spanien zu drehen und dabei zu einem der bedeu­tendsten spani­schen Regis­seure zu werden. Hinter seinen Filmen konnte er künst­le­risch und inhalt­lich stehen, ohne sich dem Regime ideo­lo­gisch anzu­passen und dabei doch kritisch zu bleiben. Das verschaffte ihm inter­na­tio­nale Aner­ken­nung. Die Rede ist von Carlos Saura.

Insbe­son­dere seine Spiel­filme aus der Zeit der Franco-Diktatur zählen mit zu den stärksten Beispielen eines stilis­tisch strin­genten, poetisch durch­kom­po­nierten und gesell­schafts­kri­tisch enga­gierten Autoren­kinos aus Europa. Als Regis­seure, die ihn besonders beein­druckt haben, nannte Saura selbst Luis Buñuel, Ingmar Bergman und Federico Fellini.

Im Januar ist der Regisseur von mehr als 30 Spiel­filmen und über 10 doku­men­ta­ri­schen Musik­filmen mit 91 Jahren gestorben. Anlass für die Theatiner Filmkunst, im Rahmen der Film­kunst­wo­chen München an Carlos Saura zu erinnern, in einer kleinen Hommage mit vier Filmen aus vier Jahr­zehnten, die für verschie­dene Phasen im Werk Sauras stehen.

Cría cuervos / Züchte Raben (1976) leitet das Ende der ersten Werkphase Sauras ein, in der er wegen der Zensur oft zu verschlüs­selten Formen der Darstel­lung greifen musste, und ist eine eindring­liche psycho­lo­gi­sche Studie über die Erfah­rungs­welt der acht­jäh­rigen Ana. Sie hat den Tod der Mutter zu bewäl­tigen und hegt Rache­ge­fühle gegenüber dem Vater, einem fran­quis­ti­schen Militär, der unver­mutet in den Armen seiner Geliebten stirbt. Die Zeit der Trauer, die mit den Sommer­fe­rien zusam­men­fällt, stellt sich als eigen­tüm­li­cher Schwe­be­zu­stand dar, der im kind­li­chen Rollen­spiel auch immer wieder nach Ausflucht sucht, und als Über­gangs­zeit mit offener Zukunft. Für viele Spanier war dieser Film vom lähmenden Ende der Franco-Zeit auch als Parabel auf das ungewisse Stadium der unge­re­gelten Nachfolge für die Diktatur lesbar, für die Zeit, in der Franco de facto noch an der Macht war, wegen Krankheit aber die Regierung nicht mehr führen konnte.

Aus der jüngsten Werkphase stammt ¡Ay, Carmela! (1990), die Verfil­mung des Thea­ter­s­tücks von José Sanchis Sinis­terra, das 1986 entstand und auf den Bühnen nicht nur Spaniens sehr erfolg­reich war. Sein Thema ist der trau­ma­ti­sche spanische Bürger­krieg.
Besonders bedeutsam für Sauras Schaffen war der große inter­na­tio­nale Erfolg mit Carmen aus dem Jahr 1983, mit dem sich Saura eine gänzlich neue Phase eröffnete. Es handelt sich dabei nicht einfach (wie etwa bei Carmen von Francesco Rosi im gleichen Jahr) um eine Verfil­mung der Oper von Georges Bizet von 1875 (die wiederum auf Prosper Mérimées Novelle von 1845 basiert). Saura lässt den Choreo­gra­phen und Tänzer Antonio Gades mit dem Gitar­risten Paco de Lucía ein Flamenco-Ballett entwi­ckeln. Das Ballett ist nur vorder­gründig die Insze­nie­rung des Carmen-Stoffes, um den es hier geht. Einge­bettet ist er in die Liebes­hand­lung um Antonio (gespielt von Antonio Gades als Choreo­graph und Tänzer) und Carmen (Laura del Sol), die auch die Tänzerin von Carmen ist und wiederum ihre ältere Rivalin Cristina (Cristina Hoyos) ausbootet.

»Carmen« ist bei Saura also weit mehr als das vorder­grün­dige Eifer­suchts­drama. Auf doppel­bö­dige Weise spiegelt sein Film den Inhalt des Carmen-Stoffs und trans­po­niert ihn in die Geschlech­ter­ver­hält­nisse des späten 20. Jahr­hun­derts. Die Spie­gel­wände in den Proberäumen der Tänzer setzen die thema­ti­sche Spie­ge­lung ganz konkret in Visua­lität um und geben der vom Flamenco inspi­rierten Musik und Choreo­gra­phie eine unmit­tel­bare filmische Faszi­na­tion.
Mit Bodas de Sangre (1981, nach der Tragödie von Federica García Lorca) und El amor brujo / Liebes­zauber (1986, nach dem Ballett mit Gesang von Manuel de Falla) bildet Carmen eine Flamenco-Tanz-Trilogie, die Saura mit dem Tänzer und Choreo­gra­phen Antonio Gades erar­beitet hat. Sie stellt den Auftakt zu den Musik­filmen Sauras (zu Flamenco, Fado, Tango oder Jota) dar, die mit den populärsten Teil seines Werks ausmachen.

Kehren wir zu den poli­ti­schen Anfängen von Sauras Werk zurück. La caza / Die Jagd aus dem Jahr 1966 kann als reprä­sen­tativ gelten für das Erzählen unter der Repres­sion der Franco-Zensur. Saura bedient sich jener alle­go­risch-para­bel­haften Erzähl­weise, mit der er in den 60ern und 70er Jahren indirekt Kritik vor allem an der bürger­li­chen Klasse übt, die den Fran­qu­ismus maßgeb­lich getragen hat.
Im Film geht es um den Jagd­aus­flug dreier gesetzter Herren, alles respek­table Reprä­sen­tanten des Bürger­tums, als Vertreter der jüngeren aufstre­benden Gene­ra­tion ist noch ein Schwie­ger­sohn dabei. Die Kanin­chen­jagd hier wird – nicht unähnlich der Jagd in Jean Renoirs La règle du jeu – zum Ausdruck einer versteckten Mord­be­reit­schaft und Bruta­lität hinter dem Firnis der Zivi­li­sa­tion.

Der ästhe­ti­sche Ausgangs­punkt ist neorea­lis­tisch, was typisch für Sauras frühe Filme ist. Schon sein Debütfilm Los golfos / Die Stras­sen­jungen von 1959 zeigte sich in dieser Hinsicht von Luis Buñuels Los olvidados inspi­riert. Und ähnlich wie bei Buñuel erweitert und vertieft Saura den neorea­lis­ti­schen Ansatz. Die prägnant-expres­siven Schwarz-Weiß-Bilder von Luis Cuadrado, der in Sauras frühen Filmen die Kamera führte, verzerren die präzis erfasste äußere Wirk­lich­keit zu subjek­tiven Traum- und Wahn­bil­dern. Doch geht es Saura dabei weniger um psycho­lo­gi­sche Intro­spek­tion, mehr um die mora­li­schen Defor­mie­rungen des Bürger­tums unter Franco.

Die Eska­la­tion der unter­schwel­ligen Gewalt, die auf verdrängte Konflikte aus der Zeit des spani­schen Bürger­kriegs (1936-39) zurück­führbar ist, wird in La caza durch Western-Zitate stili­siert. Das dient nicht nur dazu, die Zensur abzu­lenken. Es ergeben sich damit vor allem durch die karge Land­schaft, die Schau­platz der Jagd ist, auch einpräg­same Motive, die mit abrupten Monta­ge­ef­fekten (beim Laden und Abfeuern der Waffen) verstärkt werden.

Hommage an Carlos Saura im Rahmen der 71. Film­kunst­wo­chen München
In Zusam­men­ar­beit mit dem Instituto Cervantes

Theatiner Filmkunst, München
Noch bis 15.8.2023
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