06.07.2023

»Das hilft auf den ersten Metern«

Starter Filmpreis 2023
After-Award-Beisammensein: Die Starter-Filmpreisträger*innen und -Produzent*innen
(Foto: privat)

Am vergangenen Montag wurden im Rahmen des Filmfests München die Starter Filmpreise der Stadt München verliehen. Dabei gab es viele nachdenkliche Zwischentöne

Von Dunja Bialas

Die Freude über die wieder­ge­fun­dene Selbst­ver­s­tänd­lich­keit, im Kino zu sein, war groß bei der dies­jäh­rigen Verlei­hung der Starter-Film­preise, die im Rahmen des Filmfests München am vergan­genen Montag in den City-Kinos stattfand. Ein Schatten lag dennoch über der Veran­stal­tung. Stadtrat David Süß mahnte, unter dem Eindruck gestie­gener Kosten in Folge des Ukrai­ne­krieges nicht die Nerven zu verlieren. »Stra­te­gi­sches Ziel der Kriegs­füh­rung« durch Putin sei es, »dass wir uns im Streit spalten und den demo­kra­ti­schen Zusam­men­halt verlieren.« Und setzte mit Nachdruck den Appell: »Lassen wir das nicht geschehen.« Als Gegen­maß­nahme empfahl er, Filme zu sehen und dabei »zu infor­mieren, zu lernen«, auch dies sei eine Aufgabe des Kinos.

Starter Filmpreis 2023
V.l. Stadtrat David Süß, Daniel Asadi Faezi, Produk­tion ALEX IN DEN FELDERN, Mila Zhluk­tenko, Kultur­re­fe­rent Anton Biebl, Angela Reed­wischm vom Pharo-Produk­ti­ons­preis, Viktor Schimpf, Mykyta Gibalenko (Foto: Alescha Birken­holz)

In der Tat fand der Angriffs­krieg gegen die Ukraine auch ein Echo in den mit den Starter-Film­preisen prämierten Filmen. Der aus der Ukraine stammende und bereits seit 2013 in Deutsch­land lebende Mykyta Gibalenko zeichnete in I See Them Bloom ein fein­füh­liges Portrait zweier Schwes­tern, die vor dem Krieg nach München geflohen sind und sich nun im Umfeld der Hoch­schule für Fernsehen und Film wieder­finden. Zwei Erleb­nis­welten montiert Gibalenko in Erin­ne­rung an seine eigene Ankunft – das war während der ersten ukrai­ni­schen Demo­kra­tie­be­we­gungen, die von der Regierung in brüger­kriegs­ähn­li­chen Szenarien nieder­ge­schlagen wurden. Schon hier und dennoch noch dort, hier der Frieden, die Lebens­pla­nung, eine Party. Dort, zurück­ge­lassen: Chaos, Krieg, Trümmer. Hier: Ruhe. Dort: größt­mög­liche Unsi­cher­heit. Im Aufein­an­der­treffen der Welten, der inneren Erin­ne­rungs­ebene und den neuen Eindrü­cken, können sich harmlose Geräusche zur Bedrohung türmen, kann Party-Talk zum Zynismus entgleiten. Die sinn­li­chen Cine­ma­scope-Bilder schälen im Dunkel der Räume, in denen der Staub im einfal­lenden Licht schwebt, die eine Schwester aus ihrer Lethargie, während die andere schon ange­kommen ist. Ein zartes Statement, das zeigt, wie das Leben der Bruta­lität eines Krieges entkommen kann.

Giba­lenkos Film, dessen Welt­pre­miere noch aussteht, ist sicher­lich ein Höhepunkt der dies­jäh­rigen Preis­träger. Zu I See Them Bloom hätte gut der neue Kurzfilm Waking up in silence von Daniel Asadi Faezi und Mila Zhluk­tenko gepasst, den sie in einer Schwein­furter Flücht­lings­un­ter­kunft mit ukrai­ni­schen Kindern gedreht haben. Ihr jetzt mit dem Pharos-Produk­ti­ons­preis ausge­zeich­neter Kurzfilm Aralkum lief bereits letztes Jahr sehr erfolg­reich auf Festivals und gewann u.a. auf dem wichtigen Schweizer Doku­men­tar­film­fes­tival »Visions du Réel« den Preis für den Besten Kurz­do­ku­men­tar­film. Aralkum ist eine Medi­ta­tion über das Verschwinden der Natur und das Allein­sein des Menschen im Anthro­pozän, so zumindest fasst die Jury­be­grün­dung den Film zusammen. Weil der große Aralsee austrocknet, sterben die Tiere aus, die Fischer verlieren ihre Lebens­grund­lage. Sie fristen nur noch ihr Dasein, zwischen kargen Pflanzen, die sich verzwei­felt das Wasser in Mikro­li­tern aus der trockenen Wüsten­luft holen.

Auch hier wird mittels der Bild-Ton-Montage die Vergan­gen­heit in die Gegenwart herein­ge­holt. Auch hier geht es um das Verschwinden der Lebens­grund­lage. Auch hier steht der Mensch an einem Endpunkt seiner Existenz.

Bisweilen hatte man im Laufe der Veran­stal­tung den Eindruck, mit der Verlei­hung der Starter-Film­preise halte man das Verschwinden einer Ära auf, so sehr wurden die geladenen Gäste auf die Kraft des Kinos einge­schworen. Kino als Kulturort sei aus einer leben­digen Stadt nicht wegzu­denken, mahnte der Stadtrat. Erst im Kino bekäme der Inhalt der Filme Strahl­kraft. Und er ließ noch kurz den Gedanken auf die legen­dären Eisver­käu­fe­rinnen aufblitzen, die in der Hochzeit des Kinos vor dem Hauptfilm im Kinosaal Eis aus dem Bauch­laden anboten. Wir erinnern uns an ein zähes Unter­fangen, das den Beginn der Vorstel­lung immer unnötig verzö­gerte. Aber ja, im Rückblick war das fantas­tisch.

Kultur­re­fe­rent Anton Biebl sprach die Digi­ta­li­sie­rung von Film und Kino an und die damit einher­ge­henden Verän­de­rungen im »Content«: Filme richten sich nun stärker nach Verkauf­bar­keit und Publi­kums­er­war­tungen aus, so könnte man ihn zusam­men­fassen. Die Starter-Film­preise würden sich dieser Entwick­lung wider­setzen, schließ­lich werden mit den Preisen doch Werke ausge­zeichnet, die vor allem »Inno­va­ti­ons­freude«, nicht beflissen Formate be- und Erwar­tungen erfüllen.

Marie Zrenners mit dem Starter-Filmpreis ausge­zeich­neter Kurz­spiel­film Alex in den Feldern zeigt diese Unter­mi­nie­rung von Formaten und Erwar­tungen. Als weibliche Regis­seurin erzählt sie ein Buddy-Movie unter Männern, allein schon die Perspek­tiv­um­keh­rung ist erwäh­nens­wert. Sie lässt dabei im Vagen, ob sich viel­leicht eine homo­ero­ti­sche Geschichte auf dem Hof der Schwei­ne­mast entwi­ckeln könnte, der als thera­peu­ti­scher Bauernhof für junge, sucht­kranke Männer dient. Die Geschichte von Alex, der über die Felder auf den Hof kommt, und Adrian, der seine Sucht kuriert, entwi­ckelt sie ganz allmäh­lich und auf ganz natür­liche Weise, so eben, wie man auch im richtigen Leben die Menschen kennen­lernt: Da wartet man auch nicht gleich mit seiner ganzen Vorge­schichte auf, sondern gibt sich lieber erst einmal als fragiles Rätsel­wesen.

Da hilft dann auch keine K.I. und Perso­nen­er­ken­nungs­soft­ware. Viktor Schimpf hat in seinem ausge­zeich­neten Film Machines Of Loving Grace eine utopische Dystopie (oder dysto­pi­sche Utopie?) reali­siert, in der das Anthro­pozän bereits abgelöst wird. Auf den auto­leeren Straßen wachsen Pflanzen, die Diver­sität im Sinne des viel­ge­stal­tigen und phan­ta­sie­vollen Aussehens der Menschen ist selbst­ver­s­tänd­lich. Eine Künst­liche Intel­li­genz lernt über das Wesen der Welt und der Menschen und vor allem auch das eigen­s­tän­dige Denken und erhebt uner­wartet Forde­rungen für die Zukunft. Auch visuell ist dieser ins Phan­tas­ti­sche über­ge­hende Starter-Film sehr reich­haltig, ein wahrer Aufbruch in eine andere Welt. Die Künst­liche Intel­li­genz wird bei Schimpf nicht als Bedrohung gezeichnet, sondern fast schon als Erlö­ser­figur. Auch zeigt Machines Of Loving Grace, dass poli­ti­sche Filme nicht plakativ oder thesen­haft sein müssen, sondern auch zart­füh­lend und subtil sein dürfen.

Der Preis­träger Viktor Schimpf verkör­pert bei seinem Auftritt auf der Bühne des City-Kinos genau diese Doppel­deu­tig­keit. Auf seinem zerris­senen altrosa T-Shirt prangt zugleich kämp­fe­risch und ironisch das Statement »Eat the Rich«. Und er sagt dann noch einmal sehr nach­denk­lich stimmende Worte, auch weil Kultur­re­fe­rent Biebl zuvor den jungen Menschen für ihre mutige Berufs­wahl gedankt hat. Es sei nicht so »easy«, nach der Film­schule Fuß zu fassen. Dankbar sei er seinen Eltern, die ihn immer noch unter­s­tützen, obwohl er mit ihnen permanent disku­tiere. Der Starter-Filmpreis, sagt er, »hilft auf den ersten Metern«.

Ein Statement, das auch die anderen Preis­träger*innen im Anschluss an die Preis­ver­lei­hung bestä­tigen. Der Starter-Filmpreis (mit je 8000 Euro dotiert), das ist für sie ein wichtiger Türöffner und eine Hilfe beim schwie­rigen Start, sich ohne Schutz der Film­hoch­schule in der Filmwelt zu behaupten.