18.05.2023
38. DOK.fest München 2023

Perspektive Kino!

DOK.fest München 2023

Konzepte für eine zukunftsfähige Praxis – Auftakt-Konferenz DOK.fest München 2023

Von Nora Moschuering

Das DOK.fest ist letztes Wochen­ende zu Ende gegangen, zumindest das Festival im Kino, bei DOK.fest@home kann noch bis zum 21.05. weiter­ge­guckt werden, ohne die große Leinwand und ohne Live-Gespräche, dafür zeitlich und örtlich flexibel, wie es auf der Homepage heißt. Ich werd’s machen und empfehle den Late Bird Online-Festi­val­pass, war aber auch am Sonntag noch mal im Kino. So lange es da geht, nehme ich es mit, denn natürlich ist es anders, einen Film konzen­triert im Kino zu sehen und im Anschluss mit jemandem Revue passieren zu lassen, als rein­ge­schlu­dert alleine im Bett. Um dieses Kino, des gemein­samen Sitzens und Erfahrens – ich bin Fan – drehte sich zu Beginn des DOK.fests die Konferenz: »Perspek­tive Kino!«. Wie steht es um das Kino als Ort, als Erfah­rungs-Raum, als Stadt-Raum, als demo­kra­ti­scher Raum, als Diskurs-Ort, als gemein­schaft­li­cher Raum, als Ausgehort, als filmische Praxis? Was machen die Streamer mit ihnen? Was die digitalen Leinwände? Gestartet wurde am 04.05. mit öffent­li­chen Best Practice Pitches, am 05.05. ging es weiter in geschlos­senen Workshops. Sobald die Ergeb­nisse aus diesen veröf­fent­licht werden, werden sie hier bespro­chen.

Viel­leicht erinnert sich der eine oder die andere auch an das Münchner Symposium vom 05. November 2022, zu dem die Filmstadt München e.V. einge­laden hatte und hier nach­zu­lesen, eine gute, ergän­zende Lektüre. Dort waren Akteur*innen der Münchner Kultur­land­schaft aus den Bereichen Kino, alter­na­tive Filmorte, Festivals und der Politik einge­laden. Gemeinsam disku­tierte man über die Münchner Film-, Festival- und Kino­land­schaft und die Umbrüche, die teilweise schon vor der Pandemie begonnen hatten, aber mit ihr noch mal verstärkt wurden.
Zurück zur Konferenz: Daniel Sponsel, der Kurator von »Perspek­tive Kino!«, hat viele der Themen aufge­nommen, konzen­trierte sich aber am ersten Tag vor allem auf schon Umge­setztes und auf das Thema Digi­ta­li­sie­rung. Er hat dazu eine beein­dru­ckende Anzahl an Fach­leuten aus ganz Deutsch­land einge­laden, die nach Möglich­keiten suchen, das Kino als kultu­relle Praxis, als Ort, zu erhalten. Wie begegnet man dem Publi­kums­schwund durch die fort­schrei­tende Digi­ta­li­sie­rung? Wie gewöhnt man das Publikum wieder an das Kino und gewinnt viel­leicht Neues dazu? Wie kann man es vermarkten? Wie kann man das Digitale mitdenken?
Leider wurde wenig über die Quali­täten des Kinos gespro­chen, über das, was den Raum einzig­artig macht, darüber, was einen abend­fül­lenden Kinofilm von gestreamtem Content unter­scheidet und einen Kino­be­such von einem Bett-Event. Diese Selbst­be­fra­gung und Reflexion wäre für mich eigent­lich der Ausgangs­punkt, aber viel­leicht kann man davon ausgehen, dass das ohnehin Jede und Jeder der Anwe­senden schon des Öfteren getan hat.

Begonnen wurde mit 30 Best Practice Pitches zu 8 Themen­schwer­punkten, die ein wenig an Ted Talks erin­nerten und die Grundlage für die Arbeit in den Workshops boten, aber auch zeigten, was und vor allen Dingen wie viel schon umgesetzt wird.

Wie schon bei dem Symposium kris­tal­li­siert sich über den Tag heraus, dass der Wunsch nach einem Filmhaus oder einem kommu­nalen Kino überall groß ist. Neidisch blickt man auf Marc Gegen­furtner (Leitung Kulturamt Stuttgart), der den, wenn man drüber nachdenkt, auch etwas absurden Weg von der Schließung des kommu­nalen Kinos Stutt­garts 2008, bis hin zum Medi­en­haus, das 2027 eröffnet werden soll, beschreibt. Dabei betont er, wie wichtig die Bürger*innen­be­tei­li­gung, Zusam­men­schlüsse und Hart­nä­ckig­keit auf dem Weg zum Filmhaus gewesen sind.
Auch Monika Haas, die Geschäfts­füh­rerin der Filmstadt München e.V. wünscht sich so einen kommu­nalen Filmraum, weil ihr die Leinwände für die zahl­rei­chen Münchner Festivals, die es unter dem Dach der Filmstadt gibt, u.a. durch die Schließung des Gasteigs, aber auch einiger Kinos, abhan­den­kommen. Für Kinos ist es auch nicht unbedingt leicht, neben dem »Normal­be­trieb« Festivals unter­zu­bringen.
Die Sicht der Kino­be­treiber auf diese Wunsch-Räume fehlte dieses Mal, im November hatte sie Christian Pfeil (Monopol, Arena, Rio Film­pa­last) erklärt, denn ja, diese Häuser sollen eben keine Konkur­renz zu den bestehenden Kinos werden.
Dabei sind sich alle einig, dass Kinos und Festivals zusammen gehören, die mitein­ander koope­rieren sollten, weil sie gegen­seitig Synergien erzeugen. Daneben können Festivals, wie Svenja Böttger (Geschäfts­füh­rung Film­fes­tival Max Ophüls Preis) meint, auch jenseits der Kinos mit ihrem Label arbeiten und z.B. Schüler und Schü­le­rinnen in ihren Schulen abholen.

Daran anschließend, ein wichtiges Thema, das auch auf dem November-Symposium viel Raum bekam: Die Bedeutung von Film- und Medi­en­bil­dung für Kinder und Erwach­sene, die z.B. auf Festivals (Maya Reichert, Leitung DOK.education) oder in Kinos (Leopold Grün, Geschäfts­füh­rung Schul­ki­no­wo­chen) statt­findet, aber leider so gut wie gar nicht in den Schulen, obwohl das fast absurd anmutet, weil wohl keiner anzwei­felt, dass wir in einer Welt der Bilder leben (iconic turn) und dass eine Vermitt­lung davon, wie Bilder entstehen, wie sie wirken und genutzt (mani­pu­liert) werden, heute wichtiger ist denn je.

Junge Menschen, gerade auch in den Nachwehen der Pandemie wieder aus dem Haus zu locken, das möchte der vom BKM geför­derte Kultur­pass, den Alexander Lücke (Projekt­re­fe­rent Kommu­ni­ka­tion, Kultur­pass bei der Stiftung Digitale Chancen) vorstellt. Mit dem Pass können 18-20-jährige für 200 Euro verschie­dene Kultur­ange­bote besuchen. Denn die Zuschauer*innen sind ja nicht nur dem Kino abhan­den­ge­kommen. Jetzt ist es aller­dings wichtig, dass die Kinos ihre eigenen Ziel­gruppen anspre­chen und die Leute nicht nur in Konzerte oder in Ausstel­lungen gehen. Es gibt aber auch reine Kino-Abo-Modelle, z.B. das von Gerhard Wissner (Geschäfts­füh­rung Bali Kinos Kassel und Leitung Kasseler Doku­men­tar­film- und Videofest). Sein Abo-Modell bindet aber eher bereits exis­tie­rende Besucher*innen, die ihn damit unter­s­tützen, ist aber wahr­schein­lich zu teuer, als neue zu gewinnen. In München gibt es z.B. das »Lieb­lings­ki­noabo« für das Neue Maxim, Monopol, Arena, Rio Film­pa­last und Licht­spiel­theater FFB. Es ist natürlich nicht unbedingt immer leicht, einen Verbund zu gründen, schon allein wegen der Abrech­nung, aber es lohnt sich viel­leicht, denn Abos kennt man ja nicht nur von Zeitungen, sondern auch von den Streamern, und schon bei denen ist es absurd, dass man eigent­lich mehrere Abos benötigt. (Bonus/-Prämi­en­karten, wie sie das Mathäser hat, wären auch denkbar).
Das alles gehört zum Kino-Marketing, Matthias Helwig (Geschäfts­füh­rung Kino Breitwand und Leitung Fünf Seen Film­fes­tival) unter­streicht zusätz­lich, dass es sinnvoll wäre, wenn Kinos mehr an der Vermark­tung teil­nehmen würden, sie aber dafür leider bisher nicht ausge­stattet sind.
Ein Teil davon wäre viel­leicht auch die Nutzung oft schon vorhan­dener Daten, mit denen man, jenseits von News­let­tern, Besucher*innen gezielt anspre­chen könnte.

Von ganz spezi­ellem Ziel­grup­pen­mar­ke­ting erzählt Valentin Thurn (Geschäfts­füh­rung Thurn Film), man kann es auch Impact Producing nennen, das er selber 2011 zu seinem Film »Taste the waste« gemacht hat. Eine halbe bezahlte Stelle kümmerte sich um gezielte Ansprache und beglei­tende Aktionen zum Film. Das bedeutet aber viel Arbeit und ist bei dezidiert poli­ti­schen Themen sicher einfacher als bei einem Film der Berliner Schule.

Man kann natürlich spezi­fi­sche Filme spezi­fisch vermarkten, aber wie bekommt und hält man Publikum, das nicht nur zu bestimmten Themen ins Kino kommt? Maria Matinyan (Kuratorin Kino Asyl und Mitbe­grün­derin der sozial-kultu­rellen Plattform G. Urban) erläutert die Bedeutung von Diver­sität und Commu­nitys für Kinos und Festivals, sowohl um neues Publikum zu gewinnen, als auch um neue Inhalte und neue Festivals zu schaffen. Korbinian Häutle (Leitung QFFM-Queer Film Festival München, Vorstand QueerScope) und Hanne Homrig­hausen (Co-Leitung Hamburg Inter­na­tional Queer Film Festival und Vorstand QueerScope) betonen die Bedeutung von über­re­gio­nalen Zusam­men­schlüssen, z.b. QueerScope. Mitglieder von QueerScope arbeiten sowohl inhalt­lich zusammen, bilden aber auch ganz praktisch Einkaufs­ver­bünde.

Seneit Debese (Geschäfts­füh­rung Greta&Starks Apps GmbH) stellt Greta&Starks vor, mit der Hilfe einer App können Kinos barrie­re­freier werden, z.B. durch Mehr­spra­chig­keit, Tonver­s­tär­kung oder Unter­titel.
Das Thema barrie­re­freier Kino-Räume wurde nicht ange­spro­chen, wurde aber auf dem Symposium behandelt.

Besonders über die Social Media Platt­formen wollen Gudrun Sommer (Festi­val­lei­tung Doxs Ruhr) und Jihad Azahrai (Projekt­lei­tung und Community Manager kino.for you, Doxs Ruhr) junge Leute hier­ar­chie­frei und parti­zi­pativ zum Kino führen.
Dr. Johannes Litschel (Geschäfts­füh­rung Bundes­ver­band kommunale Film­ar­beit) stellt »Junges Kino« vor, ein Netzwerk für die Zukunft, das junge Menschen wieder für das Kino begeis­tern soll. Das Programm startete im letzten Oktober, Kinos konnten sich mit ihren Ideen für Gelder bewerben und sie damit risikoarm umsetzen. Wichtig ist, dass sie im Anschluss drüber berichten, um so einen Lern­ef­fekt für alle zu erzeugen. Leider endet das Projekt schon im Juni dieses Jahres.

Das Kino bekommt Konkur­renz von etwas Unsicht­barem, etwas, das in den Städten nicht sichtbar ist, und von etwas, das ihm sehr ähnlich ist: dem digitalen Gucken, dem Streaming. Geschaut wird ja ständig, das bewegte Bild an sich ist so lebendig wie nie. Die digitale Leinwand – um es mal so zu nennen, und damit abzu­grenzen – kann dabei aber auch eine Chance sein.
Alain Polgar (Head of Business Deve­lo­p­memt bei Pantaflix) erläutert die Arbeit von Pantaflix, mit der auch das DOK.fest zusam­men­ar­beitet. Ein duales Festival, will sagen, sowohl eine richtige Leinwand als auch die digitale, kann helfen, neue Gruppen anzu­spre­chen und ein Festival barrie­re­freier zu gestalten. Parallel dazu stellt Jens Geiger-Kiran (Geschäfts­füh­rung Cine­malovers) das Konzept von Cine­malovers vor: Sie bieten eine weitere Leinwand für Kinos an, mit der das Programm – gerade bei Ein-Raum-Kinos – sinnvoll ergänzt werden kann.
Ich würde hier auch noch gerne die Bedeutung der Kino­be­trei­benden hervor­heben, die ja auch als Kurator*innen oder, etwas tech­ni­scher, als Filter­pro­gramme in der Menge der Film­starts dienen können, durch Erfahrung, Kompetenz und das Wissen über ihre eigenen Kund*innen.

Zurück zu DOK.fest@home. Nachdem ich also nicht mehr ins Kino kann, weiche ich ins Digitale aus und damit hat sie wieder begonnen: Meine kleine DOK.fest-Gemein­schaft zwischen einer befreun­deten Filme­ma­cherin und mir. Sie wohnt nicht in München und schafft es nicht zum DOK.fest wegen Job und Kind und Zeit und Anreise und Geld. Wir haben, wie schon im letzten Jahr, einen privaten Whatsapp-Podcast gestartet, in dem wir uns regel­mäßig kurze und auch mal längere Sprach­nach­richten zu den Filmen schicken. Denn was bringt schon das Schauen-ganz-alleine, das sich-selbst-Abnicken und Bestä­tigen, die solitäre Film­erfah­rung, ohne Verba­li­sie­rung, Recht­fer­ti­gung, Asso­zia­tionen und Gedanken anderer, das sich-Anstupsen nach dem Kino und das Ausein­an­der­setzen mit dem Gesehenen? Am Schönsten gleich im, vor oder etwas später nach dem Kino, als gemein­samem Diskursort und Themen­geber oder im Notfall eben auch digital.

Austausch fördern, mitein­ander Ideen entwi­ckeln und vonein­ander lernen.

Was wir machen, ist eine, na ja sehr kleine, Gemein­schaft zu bilden, das ist es aber auch, was über den Tag immer wieder Thema ist: Die Bedeutung, Infor­ma­tionen zu teilen, soli­da­risch zu sein, sich zu helfen, sich zusam­men­zu­schließen und nicht in Konkur­renz zuein­ander zu gehen. Schließ­lich betreffen die Umbrüche alle, die Lösungen sind aber jeweils regional umzu­setzen. Das ist auch der Konferenz gelungen: Menschen zusam­men­zu­bringen, die in Deutsch­land verteilt sind, aber das Gleiche wollen: Eine kollek­tive Erfahrung einer aktiven, kriti­schen Gruppe – wie eben auch im Kino.
Ich bin gespannt auf ihre Ergeb­nisse.