Jean-Luc Godard 1930-2022
Der Gott des Kinos ist tot |
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Jean-Luc Godard in Berkeley, 1969 | ||
(Foto: Gary Stevens, CC BY 2.0) |
»Ich weiß, wohin mein Streben führt, ist niemals meine Freiheit, nur Resignation.«
- Jean Amery, »Hand an sich legen.«
Selbstbestimmung bis zuletzt. Wer hätte das Leben Godards beenden dürfen, wenn nicht er selbst?
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Assistierter Suizid hört man. Er war der Meister – und noch im Tod Herr seiner selbst. Assistierter Suizid, das bedeutet auch Selbstbestimmung. Das bedeutet zu sagen, dass es jetzt genug ist.
Das ist trotzdem sehr schmerzhaft für jemanden, dessen Leidenschaft bis in seine allerletzten Jahre das Filmemachen war, und der sich offenbar zuletzt eingestehen musste, dass die Kraft für einen weiteren Film nicht mehr reichen würde.
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Alles was ich jetzt schreiben könnte, habe ich zu Godards 90. besser geschrieben.
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Es gab nicht einen Jean-Luc Godard, sondern viele. Drei, vier, fünf. Es gab mindestens einen Bruch Mitte der 70er Jahre.
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Godard war sehr sensibel, wollte immer die Zeitgenossenschaft, Gegenwärtigkeit, und wurde Pessimist, weil er die geschichtsphilosophischen Zeichen besser lesen konnte als andere. Das Böse hatte gesiegt; das Böse würde weiter siegen, und er wusste es.
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Er war der jüngste von allen, bis zum Schluss. Er war technikaffin, er hat das neueste Kino verfolgt, er wollte nie sein eigenes Denkmal werden. Um Zeitgenosse bleiben zu können, hatte er sich nicht für Moden interessiert. Er hat, wenn sie ihn denn überzeugten, die neuesten Techniken benutzt. Zum Beispiel FaceTime, Smartphone, Computer. Seine Filme hat er trotzdem am Videorecorder geschnitten. Natürlich nicht aus Zurückgebliebenheit, sondern weil er so wollte. Weil es ihm Spaß gemacht hat, der Gegenwart eine lange Nase zu zeigen.
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Jüngere kennen Jean Luc Godard meist nur, wenn gleichzeitig sein Film »Außer Atem« erwähnt wird. Dabei gibt es selbst im zeitgenössischen Kino Spuren von ihm. Godard wollte Neues erfinden, anders Kino machen, weder sich noch andere langweilen, zu seinen Hochzeiten war er ein Popstar. Godard hat Welt und Kino identifiziert.
Film ist Leben. Es geht um Schönheit. Er war ein Linker. Aber Links sein und Schönheit schließen sich nicht aus, wie zu viele gerade in Deutschland
meinen.
Das heißt »Politisch Filme machen« statt »Politische Filme zu machen«.
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Godard galt als schwierig, war aber auch sehr charmant. Natürlich Kind seiner Zeit. Zugleich war er einer der ersten, der Frauen Sichtbarkeit im Film ermöglichte.
Vor allem aber war er der Klassensprecher der Nouvelle Vague, der Leader of the Pack, der die Anderen oft zum Jagen tragen musste. Er hatte Haltung. Aber Haltung nervt auch manchmal.
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Godard wollte immer weg vom Staatstragenden, wusste Musik, Humor und Intellektualität zu verbinden, er arbeitete immer mit Zitaten, war insofern der popkulturellste Regisseur, den es gab.
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Ich bin traurig über die Nachricht von Godards Tod und in der Traurigkeit ein bisschen glücklich über die Art und Weise.
Ich freue mich ungemein auf das »Zeitalter des Bildes«, von dem RP Kahl schreibt.
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»Der Suizidant ist kein obstinater Debatter mehr. Er sagt ja und amen: Zu sich selber und seines Ich äußerster Selbstherrlichkeit und zur Welt, die ihn aburteilt mit ihrem arterhaltend notwendigen Gerede. ... Wir sollten ihnen Respekt vor ihrem Tun und Lassen, sollten ihnen Anteilnahme nicht versagen, zumalen ja wir selber keine glänzende Figur machen. Beklagenswert nehmen wir uns aus, das kann ein jeder sehen. So wollen wir gedämpft und in ordentlicher Haltung, gesenkten Kopfes den beklagen, der uns in Freiheit verließ.«
- Jean Amery, »Hand an sich legen.«