14.07.2022

Ein komischer Heiliger

Bernd Brehmer, Sarah Riesz, Klaus Lemke
Vor zwei Jahren auf der Bühne vereint: Bernd Brehmer, Sarah Riesz, Klaus Lemke (v.l.) bei der Premiere von Ein Callgirl für Geister im Theatiner Kino München
(Foto: privat)

Gedanken zum Gedenken an Klaus Lemke

Von Bernd Brehmer

Jetzt famous last words, vor drei Wochen noch voller Taten­drang formu­liert: »Digga, in diesen verflixten Zeiten brauchen wir keine Kunst, sondern Schönheit!« Denn: »Die Schönheit, die hält uns am Leben!« Dass Kunst vom Küssen kommt, haben wir von ihm gelernt (Ein Callgirl für Geister, 2020). Und dass Mädchen die einzige Beute sind, die ihrem Jäger auflauert (Unter­wä­schelügen, 2016). Und »Cham­pa­gner für die Augen« – (aber) »Gift für den Rest« (2022) sind. Dass, wenn ein Mädchen dich wirklich will, du keine Chance hast (Ein komischer Heiliger, 1979). Learning from Lemke: Der kleine Kate­chismus für das große Leben. Und für die Liebe, so schön wie die Liebe (1972). Ein Leben, das Zelluloid wurde, außer Atem zwischen Godard und Hawks, München, Hamburg, Acapulco, immer die schönsten und aufre­gendsten Frauen an seiner Seite, die natürlich alle stets bewaffnet sind. Es gab also einmal eine Zeit, in der man in den »Alten Simpl« im Münchner Univiertel gehen konnte, und am Neben­tisch Lemke, seine ciné­philen Freunde (Rudolf Thome, Max Zihlmann, Peter Berling, Veith von Fürs­ten­berg) und Brigitte Bardot (!) sitzen sehen konnte, die für eine kurze Weile die Nähe zu den jungen Wilden aus Schwabing gesucht hat und ihm seinen zweiten Langfilm finan­zieren wollte, statt­dessen die benötigte Summe aber in Monte Carlo verspielte. Aber sollte diese Episode doch nicht so ganz stimmen, gilt im Zwei­fels­fall sowieso: Print the legend! Lemke konnte mit 48 Stunden bis Acapulco (1967) einen veri­ta­blen Erfolg verbuchen, der ihm Tür und Tor zu einer größeren Produk­tion öffnen sollte, was zwar in einem mittleren Desaster, aber auch einem extra­va­gant deli­rie­rendem Meis­ter­werk und film maudit (Negresco**** – Eine tödliche Affäre, 1967) mündete, was ihm wiederum den Weg in die perma­nente Unab­hän­gig­keit ebnete. Und fortan die Welt mit der eingangs erwähnten Schönheit berei­cherte. Die vielen Leben des Klaus Lemke, wo es immer mehr auf die Fresse gab als Küsse im Dunkeln, und der sich eins ums andere Mal immer wieder neu erfinden musste. Das gelang ihm mit dem gelas­senen Stoi­zismus eines der vom Pferd und vom Leben gefal­lenen »Helden« aus den Filmen seines verehrten Howard Hawks, dessen Hatari! (1962) wahr­schein­lich kaum jemand öfters gesehen hat als er, damals im Türken­dolch-Kino, wo er sich auf der Toilette versteckte, um den Film anschließend gleich nochmals sehen zu können (ohne ein weiteres Mal zu bezahlen). Und um danach im legen­dären »Kleinen Bungalow«, wo es das billigste Bier der Stadt gab und eine Jukebox, in der immer Elvis und die Stones laufen mussten, die Posen der Nouvelle Vague und des ameri­ka­ni­schen Kinos zu imitieren, um sie dann auf das Leben in den verruchten Straßen Schwa­bings anzu­wenden.

Neben seiner uner­müd­li­chen Produk­ti­vität sollte aber auch nicht vergessen werden, dass er ein begna­deter Sozial- und Kunst­kri­tiker seiner Zeit war, der schon in seinem zweiten Kurzfilm (Henker Tom, 1966) wie nebenbei, aber dafür umso weit­sich­tiger durch Werner Enke verlauten ließ: »In München gibt es doch gar keine Oper!«

Hau rein, Digga!

KIZZ. B.

Bernd Brehmer, Werk­statt­kino-Kollektiv und Theatiner-Mitar­beiter, verbindet mit Klaus Lemke eine lang­jäh­rige Kumpanei. Er hat eine Werkschau für Bild­rausch Basel initiiert, ging mit ihm in »seine« Tief­ga­rage in der Amali­en­straße, um dort eines seiner legen­dären Autoren-Videos zu drehen. 2020 spielte er in Klaus Lemkes Ein Callgirl für Geister einen Kino­be­treiber, Vor- und Verführer.