19.08.2021

In memoriam Hans Schifferle

Hans Schifferle
Hans Schifferle (1957-2021)
(Foto: Robin Thomas / SigiGötz-Entertainment)

Das Werkstattkino zeigt in München Filme, die den passionierten Kinogänger und Filmkritiker umgetrieben haben

Von Ulrich Mannes

In The Lusty Man (1952) von Nicholas Ray gibt es eine Schlüs­sel­szene: Robert Mitchum kehrt als abge­half­terter Rodeo-Reiter in sein Eltern­haus zurück und holt unter der Veranda eine Schachtel hervor, die er dort einst versteckt hat. Als er die Schachtel öffnet, kommen die Lieb­lings­ge­gen­stände aus seiner Kindheit zum Vorschein, darunter auch Zeit­schriften und Comics. Auf diese Episode hat sich Hans Schif­f­erle mehrmals bezogen, wenn es ihm darum ging, in Gedanken durch­zu­spielen, welche Exemplare seiner reichen Maga­zin­samm­lung er in einen solchen »Karton der Erin­ne­rung« stecken würde. »Das müssten Magazine sein, die auch eine Art Fetisch-Charakter besitzen. Magazine, die man nicht nur mit Freude liest, sondern auch gerne anschaut und anfasst. Zeit­schriften also, die einen inspi­rieren und in Aufruhr versetzen.« So in einem Artikel über Glamour-Magazine, die es ihm auf besondere Weise angetan hatten.

Welche Filme hätte der im März verstor­bene Essayist und Kritiker (Süddeut­sche Zeitung, epd-Film, Steadycam, SigiGötz-Enter­tain­ment), der keine Genre-Präferenz hatte (»er konnte von jedem Film aus jedem Genre mit gleicher Begeis­te­rung erzählen«), der immer das »Verkannte im vermeint­lich Bekannten« (FR) suchte, niemals Filme gegen­ein­ander ausspielte und das mit einer profunden Kenntnis der Film­ge­schichte in all ihren Veräste­lungen, in eine solche Schachtel gesteckt?

Seine Kino­ge­fährten Bernd, Dolly und Waco vom Werk­statt­kino (das natürlich ein wichtiger Ort seiner Grund­la­gen­for­schung war) zeigen ab heute in memoriam vierzehn Filme, die Hans Schif­f­erle gefallen haben, eine Auswahl, die nichts Reprä­sen­ta­tives haben kann, aber doch gewisse Facetten seiner Kino­lei­den­schaft heraus­streicht – und ganz bestimmt handelt es sich um vierzehn Filme, »die einen inspi­rieren und in Aufruhr versetzen«.

Ein Höhepunkt dieses zwei­wöchigen Trips durch cine­as­ti­sche Raritäten, durch Western, Expe­ri­mental-, Horror-, Sex-, Heimat- und Bikerfilme, durch Kurzfilme und TV-Serien ist wohl die Aufzeich­nung von Hans' einzigem öffent­li­chen Vortrag, den er 2008 im Öster­rei­chi­schen Film­mu­seum hielt. Im Rahmen der Reihe »Kino wider die Tabus« gab er unter dem Titel »Blue Climax. Strip-Filme, Stag Movies und Super-8-Pornos« eine Einfüh­rung in die Geschichte der Schmal­film­por­no­grafie und deren »Rezeption auf privaten Partys und in Vorführ­au­to­maten«, mit ausge­wählten Filmen von Harrison Marks (Vorbild für Karlheinz Böhms Rolle in Michael Powells Peeping Tom), die Filme der dänischen Color Climax Corpo­ra­tion oder die dekadent-verwe­genen Hippie-Pornos des Diplo­ma­ten­sohns Lasse Braun.

Ergänzend zu dieser Voran­kün­di­gung hier noch ein Zitat aus dem Hand­zettel des Werk­statt­kinos, in dem die Kino­ge­fährten sehr persön­lich über Hans sprechen:

»Wir trafen Hans Schif­f­erle in den frühen Acht­zi­gern. Wir trafen ihn getrennt, jeder für sich, aber wir hatten eins gemeinsam: Wir gingen ins Kino. Nicht ganz so konse­quent wie der Hans ins Kino ging, aber doch ausführ­lich genug, um zu verstehen, wie viel Leiden­schaft dahin­ter­ste­cken muss, wenn man sich wirklich jeden Film im Film­mu­seum anschaut und dann noch die Nacht­vor­stel­lungen im Werk­statt­kino. Der Waco hat ihn also deswegen ange­spro­chen, aber natürlich auch, weil der Hans unter den jungen Cinéasten damals der Schönste war. Er hatte die Motor­rad­montur an, er hatte eine schwarze Tolle, da kann man schon mal fragen, wie da das Kino dazupasst. Der Bernd sprach ihn an, weil der Hans sichtlich keine Genre­prä­fe­renz hatte – von jedem Film aus jedem Genre mit gleicher Begeis­te­rung erzählen, das war neu, gerade im Film­mu­seum. Und die Dolly führte eh im Werk­statt­kino vor und war nach den Filmen zum Plaudern bereit. So wurden wir Freunde. Wir teilten die ein oder andere Theke, ein paar Billard­ti­sche, die vorderen Sitze in den Kinos. Wir teilten die Nächte zwischen bewegten Bildern und Gespräch und auf diese Art die folgenden Jahre, bis zum Tod vom Hans im März 2021.
Zur Erin­ne­rung zeigen wir 14 Filme, die ihm gefallen haben.« (Dolly, Bernd & Waco)

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Dolly, Bernd & Waco zeigen:
IN MEMORIAM HANS SCHIFFERLE (1957-2021)

19.08. bis 01.09.2021
Werk­statt­kino
Fraun­ho­ferstr. 9
80469 München