12.08.2021

Kino wie noch nie

Golem
Generalprobe mit dem Golem
(Foto: Filmmuseum München)

Das Filmmuseum München zeigt erstmals Stummfilme im August – als Freilichtkino

Von Dunja Bialas

Eine Frei­licht­lein­wand mitten in der Stadt, geborgen im zweiten Innenhof des Münchner Stadt­mu­seums. Es ist schon erstaun­lich, dass für dieses besondere Kino­er­lebnis erst Corona kommen musste. Corona sogar im zweiten Jahr, um genau zu sein. Blickt man sich jetzt im stei­nernen Innenhof um, der zwischen dem Stadt­mu­seum und der städ­ti­schen Artothek liegt und selbst altein­ge­ses­senen Münchnern unbekannt ist, kann einen Wehmut erfassen ange­sichts des jahr­zehn­te­langen Dorn­rö­schen­schlafs. Bis auf wenige Artothek-Feste ungenutzt, urban und doch von der Stadt abge­schirmt, mit einem leicht histo­ri­sie­renden Finger­zeig auf die Sech­zi­ger­jahre liegt der Innenhof unberührt und unprä­ten­tiös da. Ihn schmückt nur eine Brun­nen­skulptur, die viel­leicht, wenn es gut kommt, vom Münchner Bildhauer Rolf Nida-Rümelin, Vater des späteren Kultur­re­fe­renten und Kultur­staats­mi­nis­ters Julian Nida-Rümelin stammen könnte, wie etwa die St.-Florian-Skulptur an der nahe gelegenen Haupt­feu­er­wache. Der Hof ist prosaisch, nüchtern-sachlich gehalten, wie man es von der Münchener Nach­kriegs­ar­chi­tektur kennt. Und wie es München am besten steht.

Film­mu­se­ums­leiter Stefan Drößler und seine Stell­ver­tre­terin Claudia Engel­hardt haben das schier Unmö­g­liche gewagt und öffnen das Film­mu­seum für ein Programm im August, in dem das Haus doch seit Jahr­zehnten Sommer­pause hält. Ange­sichts der coro­nabe­dingten Budget­kür­zungen von zehn Prozent ist das ein wage­mu­tiger Schritt und die Freigabe den Chefs des kommu­nalen Kinos, dem Stadt­mu­seum und dem Kultur­re­fe­renten Anton Biebl, hoch anzu­rechnen. Laut Auskunft von Open-Air-Veran­stal­tern wie beispiels­weise dem »Pop-up-Sommer­kino powered by M-Net« an der Münchener Hoch­schule für Fernsehen und Film (HFF) bewegen sich die Kosten für einen Freiluft-Kino-Abend leich­ter­dings im vier­stel­ligen Bereich. Auch wenn die Veran­stal­tung hier nicht so kost­spielig auge­fallen sein sollte, ahnt man doch, dass tief in das Stadt­sa­ckerl gegriffen wurde.

Anlass für diesen über­ra­schenden und mit einemmal auch über­fäl­ligen Move war die Tatsache, dass das Film­mu­seum die Zusam­men­ar­beit mit dem Bonner Sommer­kino beendet hat, das Stefan Drößler bei Amts­an­tritt nach München mitge­bracht hatte (siehe unser Kino­por­trait). Über zwanzig Jahre lang kehrte das Film­mu­seum mit Filmen aus dem Bonner Stumm­film­pro­gramm aus der Sommer­pause zurück. Nun sei es möglich, so Stefan Drößler, Stumm­filme mit einem »deutlich erwei­terten Programm« zu präsen­tieren. Drei Wochen lang zeigen die neuen »Inter­na­tio­nalen Stumm­film­tage München« frisch restau­rierte Filme aus der ganzen Welt in der ganzen Band­breite der Stumm­film­kunst. »Vom großen Melodram bis zur Slapstick-Komödie, von span­nendem Genrekino bis zu Klas­si­kern der Avant­garde, von phan­tas­ti­schen Aben­teuern bis hin zum frivolen Spiel mit Geschlech­ter­rollen oder zu histo­ri­schen Doku­menten zur Münchner Stadt­ge­schichte« sei alles vertreten, betont Drößler. Und der Besuch bietet zusätz­lich ein atmo­s­phä­ri­sches Erlebnis, selbst für Verächter des Open-Air-Kinos, die dabei vor allem an launige Pick­nick­ver­an­stal­tungen auf unbe­quemen Sonnen­s­tühlen denken, während die Filme zur Neben­sache werden.

Groß spannt sich also die Leinwand über dem West­portal des Innenhofs des Stadt­mu­seums auf. Hier lenkt nichts von den Filmen ab, keine schräge Perspek­tive, keine Falten in der Projek­ti­ons­fläche. Licht­stark der Beam. Unter der Leinwand nehmen die Musiker Platz, die das Stumm­film­ge­schehen begleiten. Oft wird im Duo gespielt, nicht nur mit Klavier­be­glei­tung, was sich auch den akus­ti­schen Möglich­keiten der Freiluft verdankt – denn allein der Flügel wirkt im Kinosaal oft schon sehr laut. Im Andenken an den vor über zehn Jahren verstor­benen Stumm­filmin­ter­preten Aljoscha Zimmer­mann hat sich ein gleich­na­miges Ensemble gegründet, bestehend aus Tochter Sabrina Zimmer­mann (Geige) und Mark Pogolski am Klavier. Einge­laden sind auch Richard Siedhoff (Klavier), begleitet von der Oboe des Solisten Mykyta Sierov, ein unge­wöhn­li­ches Klan­g­er­lebnis für alle, die nicht kammer­mu­si­ker­probt sind. Masako Ohta gibt an einem präpa­rierten Klavier Eindrücke als Perfor­mance-Musikerin, während es bei Neil Brand (Klavier) und dem Violo­nisten Günter A. Buchwald klas­si­scher zugeht.

Auf das Surren der Projek­toren, wie es noch aus Kind­heits­tagen von Frei­licht­auf­füh­rungen in Erin­ne­rung geblieben ist, wird man bei den Münchner Stumm­film­tagen jedoch vergeb­lich hoffen. Zu wertvoll sind das Film­ma­te­rial und die verblie­benen histo­ri­schen Kopien, als dass man sie leicht­fertig dem Münchner Sommer aussetzen könnte, der mal mit Regen­wahr­schein­lich­keit um die 80 Prozent und herbst­li­chen Tempe­ra­turen, mal mit feuchter Schwüle aufwartet. Außerdem hat sich Drößler mit seinen digitalen Restau­rie­rungen, gerade auch im Stumm­film­be­reich, einen inter­na­tio­nalen Ruf geschaffen. So kann man sich also unter dem Münchner Ster­nen­himmel ganz den makel­losen digitalen Projek­tionen hingeben. »Kosmische Reisen« von Vasilij Žuravlëv und Georges Méliès (Die Reise durch das Unmö­g­liche, 1904) laden für ein Erlebnis unter klarem Himmel ein (Dienstag, 17.8.), oder auch die Kurzfilme von Stan Laurel & Oliver Hardy (Donnerstag, 12.8.). Auch einen monu­men­talen »Schinken« verträgt die Frei­licht­lein­wand gut. Das Grabmal einer grossen Liebe (1928) des Münchner Regis­seurs Franz Osten, den er in Indien an Origi­nal­schau­plätzen drehte, erzählt in opulenten Bildern von der Legende des Taj Mahal um den Töpfer Shiraz, der in die könig­liche Selima verliebt ist (Freitag, 20.8.).

Falls die Münchner beim Sommer wieder in Ungnade fallen sollten, zieht die Film­vor­füh­rung in den Kinosaal um – bei weniger Sitz­plätzen (die nicht mehr in allen Aspekten nach­voll­zieh­baren Corona-Maßnahmen greifen immer noch schmerz­lich in die Sitz­platz­ka­pa­zität ein), was Drößler durch zusätz­liche Vorstel­lungen ausglei­chen will. Während man unter den vielen kleinen, an der Decke des Film­mu­seums ange­brachten Lichtern Platz nimmt und den künst­li­chen Ster­nen­himmel in Kauf nimmt, wird einem bewusst, dass die Stumm­film­tage ein Kino­er­lebnis ermö­g­li­chen, wie es dies in München noch nie gegeben hat. Das lässt sich hoffent­lich, auf gut Amts­deutsch, »verste­tigen«.

Inter­na­tio­nale Stumm­filmtag München 2021
4. bis 22. August 2021

Film­mu­seum München
St.-Jakobs-Platz 1
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