01.07.2021

»Das Leckere bei einem Sandwich ist immer in der Mitte«

Filmfest-Karikatur
Das Leckere in der Mitte flutscht mit Schmackes raus
(Foto: Niko B. Urger)

Das Filmfest München schiebt sich dieses Jahr zwischen Berlinale und Cannes, setzt auf Local Heroes und lädt ein zur »Beergarden Convention«

Von Dunja Bialas

Das Filmfest München ist im zweiten Corona-Jahr nicht zu beneiden, im Gegenteil. Während dieser Text hier entsteht, gießt es aus Kübeln, bei herbst­li­chen 16 Grad. Das alles könnte wunder­bares Kino- und Festi­val­wetter sein, hätte das Filmfest nicht im März entschieden: Wir machen Open Air! Die Wiedereröff­nung der Kinos im Sommer war zwar damals schon wahr­schein­lich, die Baye­ri­sche Staats­re­gie­rung als einer der Filmfest-Gesell­schafter drückte sich aber um Eröff­nungs­stu­fen­pläne, sehr zu Schaden der Kultur. Aber nicht allein das Zögern von Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder ist schuld, warum das Filmfest München dieses Jahr ins Open Air geht. So gab es letztes Jahr eine Filmfest-Sonder­aus­gabe, die im »Pop-up Autokino« stattfand, obgleich die Kinos längst geöffnet waren. Dasselbe Start-up veran­staltet dieses Jahr das »Pop-up Sommer­kino powered by M-Net im Hof der HFF«. Der Open-Air-Space, der sich den langen Namen hoffent­lich mit Geld aufwiegen lässt, ist das Herzstück der dies­jäh­rigen Freiluft-Ausgabe des Filmfest München, und bereits letztes Jahr wurde eupho­risch ange­kün­digt, es auch diesmal anders zu machen – das Filmfest München möchte nun mal Event sein. Und was ist da aufre­gender, als sich mit jungen Start-ups zusam­men­zutun, aus den Kinos heraus­zu­gehen und »live in der ganzen Stadt« – so der dies­jäh­rige Filmfest-Claim – zu spielen?

Leider scheint sich die Freiluft-Ausgabe in eine Frisch­luft-Ausgabe zu wandeln. Auf der Website jubelt man noch. »Und wie schön: Man kann diesen Film jetzt an der frischen Luft auf großer Leinwand genießen!«, heißt es über den brasi­lia­ni­schen Pandemie-Film A nuvem rosa. Hoffen wir, dass es nicht zu frisch wird, an der frischen Luft.

Problemlos zwei Filme pro Tag

Mit der Entschei­dung, auf eine Open-Air-Ausgabe zu setzen, ist das Filmfest nicht allein. So fand das »Sommer Special« der Berlinale ausschließ­lich als Open Air statt, während das Filmfest wenigs­tens in einer Nach­mit­tags­schiene in die Kinos geht. »Kino« ist bei beiden Festivals aber wohl eher als Chiffre für »gemeinsam gucken« und »auf der großen Leinwand« zu verstehen, nicht als gebaute Kultur­orte, die von Fach­leuten betrieben werden. Letztere werden vom Filmfest München jetzt als »Indoor-Kinos« bezeichnet. Man lernt nie aus.

Es war erklärtes Ziel, die »Part­ner­kinos« auch im Corona-Jahr 2021 zu inte­grieren, so Geschäfts­füh­rerin Diana Iljine. Das klingt erst einmal fair. Mitspielen durften aller­dings nur Säle, die auch unter Corona-Bedin­gungen (also um die 30 Prozent Auslas­tung) mindes­tens 100 Plätze vorweisen können, um »ein gemein­sames Kino­er­lebnis zu bieten und Festi­val­at­mo­s­phäre zu ermö­g­li­chen«, wie es auf Nachfrage heißt. Anfragen für weniger publi­kums­starke Säle blieben liegen, obgleich im Gegenteil eine Vielzahl an Spiel­orten und –terminen sinnvoll erschienen wäre, um den Corona-Restrik­tionen zu begegnen. Nun verteilen sich die Vorstel­lungen auf eine einzige Schiene um 17 Uhr. Unter den Spiel­orten sind das Astor im Arri, das City, das Rio (v.a. Kinder­film­fest), das Film­theater Send­linger Tor und das Gloria – und noch nicht einmal alle sieben Veran­stal­tungs­orte sind »gelernte« (Filmfest-Sprech) Kinos, wie das staat­liche Ameri­ka­haus oder der städ­ti­sche Carl-Orff-Saal. Am Abend gibt es dann Open Air an verschie­denen Orten, darunter das »Kino am Olym­piasee«, im Westpark »Kino, Mond & Sterne«, aber auch im Maffeihof in der noblen Shopping-Mall »Fünf Höfe«, fast direkt vor der Nase des Theatiner-Kinos. Man könnte auch unkom­mer­zi­elle Off-Spaces, wie den »Bahn­wärter Thiel« oder das »Sugar Mountain«, das etwas abge­schlagen in Ober­send­ling liegt, am Abend aufsuchen. Alle Open Airs finden erst bei Anbruch der Dunkel­heit statt, sprich: gleich­zeitig. »Es ist also problemlos möglich, zwei Filme an einem Tag zu sehen«, verlaut­bart lapidar das Filmfest. Festival fühlte sich früher irgendwie anders an.

Söder-Gastspiel mit Folgen

Fragen kommen auf. Geht es dem Filmfest München noch um die Filme? Will das Filmfest noch Kultur und Festival sein? Oder lieber doch Bran­chen­treff und PR-Plattform? Schon in seiner Grün­der­zeit in den frühen Acht­zi­ger­jahren sollte das neue Filmfest für Glamour in der Stadt sorgen, unter Leitung des einstigen Modemesse-Chefs Alfred Wurm. Als Diana Iljine 2011 zum Filmfest kam, hieß es, sie werde wieder mehr Glamour bringen als ihr spröder Vorgänger Andreas Ströhl. 2018 grätschte Minis­ter­prä­si­dent Söder in ein fach­kun­diges Kura­to­ren­team hinein, das u.a. mit Bernhard Karl und Florian Borch­meyer wichtige Filme des Weltkinos program­mierte, und lancierte die Idee, das Filmfest solle der Berlinale den Rang ablaufen. »Berlin ist schön, München ist schöner«, tönte er und versprach drei Millionen Euro Etat-Aufsto­ckung. Dieses Verspre­chen hatte er jedoch ohne Rück­sprache mit einem der anderen Filmfest-Gesell­schafter, der Landes­haupt­stadt München, gemacht, die am Ende die Gefolg­schaft verwei­gerte. Von den Steu­er­gel­dern hätte jährlich ein temporäres Festi­val­zen­trum am Königs­platz finan­ziert werden sollen, das erschien wenig nach­haltig. Aber auch alle anderen Söder-Visionen fürs Filmfest, ob Virtual Cinema, Gaming, oder gar Influ­encer-Festival, blieben (zum Glück) eine Luft­nummer.

Dieses kurze Söder-Gastspiel hat dennoch Wirkung gezeigt. Es wird jetzt weniger über die Film­aus­wahl gespro­chen als darüber, wie sich das Filmfest München posi­tio­niert. »Ambi­tio­niert«, wie der »Blick­punkt:Film« findet – oder viel­leicht doch lieber mit baye­ri­scher Provin­zia­lität, die sich aber schön­reden lässt. »Wir glauben, dass jetzt die Zeit der Local Heroes ist«, so der künst­le­ri­sche Leiter Christoph Gröner im Interview mit dem »Blick­punkt:Film«. Damit ist die in München ansässige Film­branche, die deutsche Fernseh- und Kino­pro­duk­tion, gemeint. Und auch wenn das Filmfest dieses Jahr eher unfrei­willig zwischen der Sommer-Berlinale (bis zum 19. Juni) und dem wich­tigsten euro­päi­schen Festival von Cannes (ab 6. Juli) in Sandwich-Position geraten ist, weiß Iljine, »dass bei einem Sandwich das Leckere in der Mitte ist«. Wichtig sei außerdem das Festival als Bran­chen­treffen, und das werde man der deutschen Branche in den Münchner Bier­gärten bieten, mit der neu erfun­denen »Beer­garden Conven­tion«. Für das »voll­s­tän­dige Festi­val­ge­fühl«.

Niko B. Urger

Start­rampe für die baye­ri­sche Film­branche

Viel über Filme wurde im Vorfeld des Filmfests nicht gespro­chen, und auch jetzt erschweren der Verzicht auf ein gedrucktes Programm­heft und eine äußerst umständ­lich zu bedie­nende neue Website den Überblick über das Programm. Jeder Filmtitel muss einzeln aufge­rufen werden, um Infos zu Regie, Schau­spiel und Produk­tion zu erhalten – das lässt schnell ermüden. Nur Reihe, Titel, Termin und Ort werden bekannt, ohne dass man weiterkli­cken muss. Das verspricht einen Festi­val­be­such im Blindflug.

Über einen Film aber wurde im Vorfeld viel gespro­chen, den Eröff­nungs­film. Ed Herzogs Kaiser­schmarrn­drama, der »baye­ri­sche Bond«, so Gröner, macht an diesem Donnerstag den großen Auftakt im Open Air und parallel in drei Kinosälen. Mit der Wahl des Eröff­nungs­films bringt das Filmfest endlich einmal baye­ri­sches Brauchtum zum Leuchten. Schließ­lich versteht man jenseits des Weißwurst-Äquators kaum die Eberhofer-Filme, mit dem spezi­ellen baye­ri­schen Humor und den Lokal­ma­ta­doren Sebastian Bezzel, Eisi Gulp und Sigi Zimmer­schied. So schnell wird man zum Kultur­bot­schafter.

Als Start­rampe des baye­ri­schen Block­bus­ters performt das Filmfest München, ohne sich zu verstellen, seine wieder­ge­fun­dene kultu­relle Provin­zia­lität, und daran kann auch der Hinweis auf 2013 nichts ändern, als – ebenfalls unter Iljine – mit dem ersten Eberhofer-Film überhaupt eröffnet wurde. Anstatt das in den Jahren vor Söders Inter­ven­tion gefundene Renommee fort­zu­führen und sich mit neuen Hand­schriften des Weltkinos weiterhin als beach­tens­wertes Festival zu profi­lieren, präsen­tiert sich das Filmfest als Erfül­lungs­ge­hilfe der lokalen Film­branche und setzt auf einen Selbst­läufer der baye­ri­schen Film­wirt­schaft. Auch wenn beim Münchner Filmfest keine Screening Fees gezahlt werden: Die Produk­ti­ons­firma Constantin wird daran keinen Schaden nehmen. Außerdem, wer weiß, welche Deals im Hinter­grund laufen …

Es bleibt fest­zu­stellen: Das Filmfest hat mit der Wahl seiner Spielorte und des Eröff­nungs­films die Chance vertan, diese Ausgabe zu einem echten Plädoyer für das Kino zu machen. Schade.