22.04.2021

Anstehen für das Filmtheater Sendlinger Tor

Wir lieben Kino
»Wir lieben Kino«: Ein stiller, schöner Protest gegen Kinoschließungen, der jeden Montag in München stattfindet
(Foto: Matti Bauer)

Die Zukunft des ältesten Kinos in München ist ungewiss. Am kommenden Montag macht die Initiative »Wir lieben Kino« wieder auf die prekäre Kinosituation in München aufmerksam – und stellt sich am Filmtheater Sendlinger Tor an

Von Dunja Bialas

Montag ist Kinotag. Seit ein paar Wochen gilt das wieder, obwohl die Kinos seit jetzt fast einem halben Jahr pande­mie­be­dingt geschlossen sind. Eine Initia­tive aus Doku­men­tar­fil­mern, die ihre Filme – stell­ver­tre­tend für die Kolle­ginnen und Kollegen – wieder im Kino sehen wollen, und leiden­schaft­li­chen Kino­gän­gern (die berüch­tigten »Heavy Users«) trifft sich seit dem 15. März jeden Montag, um vor einem Kino anzu­stehen und damit symbo­lisch auf den Beginn des nächsten Films zu warten (wir berich­teten).

Seit fünf Wochen geht es der vitalen Initia­tive darum, auf die prekäre Situation der Kinos in München aufmerksam zu machen. »artechock« hat sich der Initia­tive ange­schlossen und hat ausge­rechnet, dass allein im vergan­genen Jahrzehnt 18 Prozent der Kinos in München geschlossen wurden. Dafür waren viele Gründe verant­wort­lich, wie die anste­hende Digi­ta­li­sie­rung der Kinosäle bei gleich­zei­tiger Notwen­dig­keit zu reno­vieren (Atlantis 2012), die schlechte Lage respek­tive Unren­ta­bi­lität (Tivoli 2011, Eldorado 2016, Gabriel 2019), Gentri­fi­zie­rung (Film­ca­sino 2011) und Verdrän­gung durch Nutzungs­än­de­rung (Kinos Münchner Freiheit 2019).

Um das älteste Kino Münchens wird gerungen

Um das Film­theater Send­linger Tor wird seit letztem Jahr gerungen. Es ist mit seinen 108 Jahren das mitt­ler­weile älteste Kino der Stadt und das letzte, das von einst 135 Kinos aus dieser Zeit übrig geblieben ist (hier unser ausführ­li­ches Kino­por­trait). Kino­be­treiber Fritz Preßmar führt seit über fünfzig Jahren das Einsaal­kino, was kein leichtes Unter­fangen ist. Er hat auch in Zeiten geän­derter Gewohn­heiten mit einem gleich­blei­bend großen Saal zu tun und mit einer zwangs­läufig relativ starren Programm­struktur. Das Kino aber ist stabil und schreibt schwarze Zahlen. Die Coro­na­schließung ausge­nommen, die zwangs­läufig Nicht­ren­ta­bi­lität mit sich bringt, ist der finan­zi­elle Faktor also kein Grund für die drohende Schließung – zumindest nicht aus Sicht des Kino­be­trei­bers. Am Telefon erklärt er, worum es statt­dessen geht.

Hinter­grund für die jetzige Zwangs­lage ist die Kündigung im Jahr 2020 (wir berich­teten) und die nach­fol­gende Räumungs­klage seitens der Vermieter, die derzeit beim Land­ge­richt München anhängig ist – die abschließende Verhand­lung ist nach einer Vertagung nun für den 30. April anberaumt. Strittig ist die Recht­mäßig­keit der Kündigung, die von Kino­be­treiber Fritz Preßmar ange­zwei­felt wird, weil sie nicht von allen der Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft – was auto­ma­tisch auch kompli­zierte Vertrags­ver­hält­nisse mit sich bringt – unter­zeichnet wurde. Einstim­mig­keit wäre erfor­der­lich gewesen. Im Zuge der Strei­tig­keiten kam aber an die Öffent­lich­keit, dass es den Vermie­tern vor allem darum geht, eine höhere Grund­miete zu verlangen. Die Familie Preßmar betreibt das Kino seit 1956, mitt­ler­weile steht Sohn Christoph, der beim Film­ver­leih Concorde gear­beitet hat, als Nach­folger bereit. Der Pachtzins ist seitdem gleich­blei­bend niedrig, was nahezu traum­hafte Umstände bedeutet und in konkreten Zahlen ausge­drückt heute monatlich 2300 Euro ausmacht. Oben drauf kommt aller­dings noch eine Ticket-Umsatz­be­tei­li­gung von 14 Prozent. Das hat den Vermie­tern, die bis vor zehn Jahren noch Mitge­sell­schafter des Kinos waren, lange Zeit gereicht. Durch­schnitt­lich kam eine Miete von 23.000 Euro im Monat heraus, rechnet Preßmar vor.

Die relative Gier

Jetzt aber will die Eigen­tü­mer­ge­mein­schaft eine Grund­miete von 20.000 Euro und zusätz­lich 14 Prozent Umsatz­be­tei­li­gung auch an den Verkäufen von Snacks und Getränken, nicht nur am Ticket­ver­kauf. Das klingt von der Ferne besehen nach einer relativen Gier. Preßmar wendet gegen diese Forderung ein, dass er das Kino niemals derart gewinn­brin­gend führen könnte, um einen so hohen Mietzins abzu­werfen. Ein Kino ist nunmal eine kultu­relle und keine kommer­zi­elle Einrich­tung, möchte man hinzu­fügen.

Das Haus wurde von den Eigen­tü­mern bereits als Kino erworben. Und auch wenn dies zu einer Zeit war, als das Kino noch in großer Blüte stand und viel Umsatz bedeutet hat, muss klar gewesen sein, dass es sich bei ihm nicht um eine börsen­no­tierte Gesell­schaft handelt. Außerdem sind die Innen­räume sowie das geschwun­gene Foyer denk­mal­ge­schützt – und damit niemals zum Höchst­satz zu vermieten. Die Lage am Send­linger Tor sei außerdem nur »1C«, berichtet Preßmar, und also keine der Toplagen der Innen­stadt.

Die hohe Forderung von 20.000 Euro Mindest­miete, die jetzt im Raum steht, stammt aus einer finsteren Episode. Preßmar war es vor fünf Jahren gerade noch gelungen, die hinter seinem Rücken einge­lei­tete Übernahme durch den Cinemaxx-Gründer Joachim Flebbe zu verhin­dern (heute: Arri Astor Film Lounge), der aus dem Film­theater Send­linger Tor ein Premium-Kino im Luxus­seg­ment machen wollte. Nicht erst seitdem muss Preßmar alle fünf Jahre um den Bestand seines Kinos fürchten, denn nur so lange läuft jeweils der Miet­ver­trag. Der nächste Miet­ver­trag ginge bis 2025.

Ein Angebot zur Einigung

Preßmar ist jedoch zur gütlichen Einigung bereit. Er hat das Angebot einer monat­li­chen Grund­miete von 8.500 Euro bezie­hungs­weise einer Jahres­min­dest­miete von 100.000 Euro an die Vermieter über­bracht. Von einem Makler ließ er auf Basis der 1C-Lage und der Grund­fläche für einen fiktiven Laden ausrechnen, dass das Erdge­schoss der Immobilie höchstens für 8000 Euro zu vermieten sei. »Mehr ist nicht drin.« Umbauten seien aufgrund des Denk­mal­schutzes nicht möglich.

Jetzt ist der 76-Jährige aus persön­li­chen und viel­leicht auch aus Alters­gründen zum Rückzug bereit und räumt das Kino gerne für seinen Sohn Christoph Preßmar. Seit 50 Jahren führt er das Kino, das schmeiße er nicht einfach so hin, sagt er mit Nachdruck. Das Tivoli in der Fußgän­ger­zone hingegen, ebenfalls ein von Preßmar geführtes Kino, sei ein »sehr teures Hobby« gewesen, das er bereit­willig abge­stoßen habe.

Anstehen gegen die Innen­stadt-Verödung

Rings um das Send­linger Tor kann man beob­achten, wie die Läden schließen. Der Kürschner von einst ist schon länger verschwunden, zuletzt hat das Roy, ein Lokal für Nacht­schwärmer mit dem Hang zu über­bor­dendem Roy-Black-Kitsch, dicht­ge­macht. Auch in der kleinen Kreuz­straße und sogar in der Send­linger Straße sind Laden­schließungen zu beob­achten. Am verkehrs­rei­chen Send­linger-Tor-Platz treffen unter­ir­disch mehrere U-Bahn­li­nien und ober­ir­disch Busse und Tram­bahnen zusammen, das sei das einzig Inter­es­sante an der Lage, meint Preßmar. Selbst ein Club­be­trieb wie im ehema­ligen Film­ca­sino sei ausge­schlossen – Schall­mes­sungen haben eine Akus­ti­kü­ber­tra­gung bis in die oberen Stock­werke fest­ge­stellt. Bevor man also – aus Vermie­ter­per­spek­tive gespro­chen – Leerstand in Kauf nehme, hoffe er, »dass die Vernunft siegt«.

So würde der Erhalt des Film­thea­ters Send­linger Tor auch die Verödung der Innen­stadt aufhalten, mit den immer gleichen Einkaufs­ketten, mit Starbucks und McDonald’s, wie man sie am Stachus bewundern kann. Es gibt also zahl­reiche und sehr gute Gründe, für das Film­theater Send­linger Tor anzu­stehen. Am kommenden Montag, dem 26. April, ist es soweit.

Montag ist Kinotag oder: Wir lieben Kino
Eine Initia­tive macht auf die prekäre Lage der Münchner Kinos aufmerksam

Die Aktion ist beim Münchner Kreis­ver­wal­tungs­re­ferat ange­meldet und gehorcht den gültigen Corona-Regeln: Maske auf, Abstand wahren. Bei Wind und Wetter und trotz hoher Inzidenz wird die Aktion durch­ge­führt. Aero­sol­for­scher weisen mit Nachdruck darauf hin, dass Aktionen im Freien unbe­denk­lich sind.

Anstehen für das Film­theater Send­linger Tor:
Montag, 26.04.2021, 18-19 Uhr
Send­linger-Tor-Platz 11