Anstehen für das Filmtheater Sendlinger Tor |
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»Wir lieben Kino«: Ein stiller, schöner Protest gegen Kinoschließungen, der jeden Montag in München stattfindet | ||
(Foto: Matti Bauer) |
Von Dunja Bialas
Montag ist Kinotag. Seit ein paar Wochen gilt das wieder, obwohl die Kinos seit jetzt fast einem halben Jahr pandemiebedingt geschlossen sind. Eine Initiative aus Dokumentarfilmern, die ihre Filme – stellvertretend für die Kolleginnen und Kollegen – wieder im Kino sehen wollen, und leidenschaftlichen Kinogängern (die berüchtigten »Heavy Users«) trifft sich seit dem 15. März jeden Montag, um vor einem Kino anzustehen und damit symbolisch auf den Beginn des nächsten Films zu warten (wir berichteten).
Seit fünf Wochen geht es der vitalen Initiative darum, auf die prekäre Situation der Kinos in München aufmerksam zu machen. »artechock« hat sich der Initiative angeschlossen und hat ausgerechnet, dass allein im vergangenen Jahrzehnt 18 Prozent der Kinos in München geschlossen wurden. Dafür waren viele Gründe verantwortlich, wie die anstehende Digitalisierung der Kinosäle bei gleichzeitiger Notwendigkeit zu renovieren (Atlantis 2012), die schlechte Lage respektive Unrentabilität (Tivoli 2011, Eldorado 2016, Gabriel 2019), Gentrifizierung (Filmcasino 2011) und Verdrängung durch Nutzungsänderung (Kinos Münchner Freiheit 2019).
Um das Filmtheater Sendlinger Tor wird seit letztem Jahr gerungen. Es ist mit seinen 108 Jahren das mittlerweile älteste Kino der Stadt und das letzte, das von einst 135 Kinos aus dieser Zeit übrig geblieben ist (hier unser ausführliches Kinoportrait). Kinobetreiber Fritz Preßmar führt seit über fünfzig Jahren das Einsaalkino, was kein leichtes Unterfangen ist. Er hat auch in Zeiten geänderter Gewohnheiten mit einem gleichbleibend großen Saal zu tun und mit einer zwangsläufig relativ starren Programmstruktur. Das Kino aber ist stabil und schreibt schwarze Zahlen. Die Coronaschließung ausgenommen, die zwangsläufig Nichtrentabilität mit sich bringt, ist der finanzielle Faktor also kein Grund für die drohende Schließung – zumindest nicht aus Sicht des Kinobetreibers. Am Telefon erklärt er, worum es stattdessen geht.
Hintergrund für die jetzige Zwangslage ist die Kündigung im Jahr 2020 (wir berichteten) und die nachfolgende Räumungsklage seitens der Vermieter, die derzeit beim Landgericht München anhängig ist – die abschließende Verhandlung ist nach einer Vertagung nun für den 30. April anberaumt. Strittig ist die Rechtmäßigkeit der Kündigung, die von Kinobetreiber Fritz Preßmar angezweifelt wird, weil sie nicht von allen der Eigentümergemeinschaft – was automatisch auch komplizierte Vertragsverhältnisse mit sich bringt – unterzeichnet wurde. Einstimmigkeit wäre erforderlich gewesen. Im Zuge der Streitigkeiten kam aber an die Öffentlichkeit, dass es den Vermietern vor allem darum geht, eine höhere Grundmiete zu verlangen. Die Familie Preßmar betreibt das Kino seit 1956, mittlerweile steht Sohn Christoph, der beim Filmverleih Concorde gearbeitet hat, als Nachfolger bereit. Der Pachtzins ist seitdem gleichbleibend niedrig, was nahezu traumhafte Umstände bedeutet und in konkreten Zahlen ausgedrückt heute monatlich 2300 Euro ausmacht. Oben drauf kommt allerdings noch eine Ticket-Umsatzbeteiligung von 14 Prozent. Das hat den Vermietern, die bis vor zehn Jahren noch Mitgesellschafter des Kinos waren, lange Zeit gereicht. Durchschnittlich kam eine Miete von 23.000 Euro im Monat heraus, rechnet Preßmar vor.
Jetzt aber will die Eigentümergemeinschaft eine Grundmiete von 20.000 Euro und zusätzlich 14 Prozent Umsatzbeteiligung auch an den Verkäufen von Snacks und Getränken, nicht nur am Ticketverkauf. Das klingt von der Ferne besehen nach einer relativen Gier. Preßmar wendet gegen diese Forderung ein, dass er das Kino niemals derart gewinnbringend führen könnte, um einen so hohen Mietzins abzuwerfen. Ein Kino ist nunmal eine kulturelle und keine kommerzielle Einrichtung, möchte man hinzufügen.
Das Haus wurde von den Eigentümern bereits als Kino erworben. Und auch wenn dies zu einer Zeit war, als das Kino noch in großer Blüte stand und viel Umsatz bedeutet hat, muss klar gewesen sein, dass es sich bei ihm nicht um eine börsennotierte Gesellschaft handelt. Außerdem sind die Innenräume sowie das geschwungene Foyer denkmalgeschützt – und damit niemals zum Höchstsatz zu vermieten. Die Lage am Sendlinger Tor sei außerdem nur »1C«, berichtet Preßmar, und also keine der Toplagen der Innenstadt.
Die hohe Forderung von 20.000 Euro Mindestmiete, die jetzt im Raum steht, stammt aus einer finsteren Episode. Preßmar war es vor fünf Jahren gerade noch gelungen, die hinter seinem Rücken eingeleitete Übernahme durch den Cinemaxx-Gründer Joachim Flebbe zu verhindern (heute: Arri Astor Film Lounge), der aus dem Filmtheater Sendlinger Tor ein Premium-Kino im Luxussegment machen wollte. Nicht erst seitdem muss Preßmar alle fünf Jahre um den Bestand seines Kinos fürchten, denn nur so lange läuft jeweils der Mietvertrag. Der nächste Mietvertrag ginge bis 2025.
Preßmar ist jedoch zur gütlichen Einigung bereit. Er hat das Angebot einer monatlichen Grundmiete von 8.500 Euro beziehungsweise einer Jahresmindestmiete von 100.000 Euro an die Vermieter überbracht. Von einem Makler ließ er auf Basis der 1C-Lage und der Grundfläche für einen fiktiven Laden ausrechnen, dass das Erdgeschoss der Immobilie höchstens für 8000 Euro zu vermieten sei. »Mehr ist nicht drin.« Umbauten seien aufgrund des Denkmalschutzes nicht möglich.
Jetzt ist der 76-Jährige aus persönlichen und vielleicht auch aus Altersgründen zum Rückzug bereit und räumt das Kino gerne für seinen Sohn Christoph Preßmar. Seit 50 Jahren führt er das Kino, das schmeiße er nicht einfach so hin, sagt er mit Nachdruck. Das Tivoli in der Fußgängerzone hingegen, ebenfalls ein von Preßmar geführtes Kino, sei ein »sehr teures Hobby« gewesen, das er bereitwillig abgestoßen habe.
Rings um das Sendlinger Tor kann man beobachten, wie die Läden schließen. Der Kürschner von einst ist schon länger verschwunden, zuletzt hat das Roy, ein Lokal für Nachtschwärmer mit dem Hang zu überbordendem Roy-Black-Kitsch, dichtgemacht. Auch in der kleinen Kreuzstraße und sogar in der Sendlinger Straße sind Ladenschließungen zu beobachten. Am verkehrsreichen Sendlinger-Tor-Platz treffen unterirdisch mehrere U-Bahnlinien und oberirdisch Busse und Trambahnen zusammen, das sei das einzig Interessante an der Lage, meint Preßmar. Selbst ein Clubbetrieb wie im ehemaligen Filmcasino sei ausgeschlossen – Schallmessungen haben eine Akustikübertragung bis in die oberen Stockwerke festgestellt. Bevor man also – aus Vermieterperspektive gesprochen – Leerstand in Kauf nehme, hoffe er, »dass die Vernunft siegt«.
So würde der Erhalt des Filmtheaters Sendlinger Tor auch die Verödung der Innenstadt aufhalten, mit den immer gleichen Einkaufsketten, mit Starbucks und McDonald’s, wie man sie am Stachus bewundern kann. Es gibt also zahlreiche und sehr gute Gründe, für das Filmtheater Sendlinger Tor anzustehen. Am kommenden Montag, dem 26. April, ist es soweit.
Montag ist Kinotag oder: Wir lieben Kino
Eine Initiative macht auf die prekäre Lage der Münchner Kinos aufmerksam
Die Aktion ist beim Münchner Kreisverwaltungsreferat angemeldet und gehorcht den gültigen Corona-Regeln: Maske auf, Abstand wahren. Bei Wind und Wetter und trotz hoher Inzidenz wird die Aktion durchgeführt. Aerosolforscher weisen mit Nachdruck darauf hin, dass Aktionen im Freien unbedenklich sind.
Anstehen für das Filmtheater Sendlinger Tor:
Montag, 26.04.2021, 18-19 Uhr
Sendlinger-Tor-Platz 11