25.02.2021

Wolfram Paulus – eine Revision

Heidenlöcher
Wolfram Paulus' Heidenlöcher (1986)
(Foto: Film Archiv Austria)

Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und das Mozarteum Salzburg wagten in Zusammenarbeit mit dem Filmarchiv Austria einen interdisziplinären Blick auf Paulus’ Schaffen

Von Ulrich Mannes

Man kann sagen, dass Wolfram Paulus, Absolvent der Hoch­schule für Fernsehen und Film München, bei seinem Langfilm-Debüt HEIDENLÖCHER alles richtig gemacht hat. Den Stoff um einen fahnen­flüch­tigen Bauern aus dem Salz­burger Land, der sich während des Zweiten Welt­kriegs in Felsen­höhlen versteckt hält, hat er überaus karg, aber mit großer Detail­liebe umgesetzt und sich dabei konse­quent am sparsamen Insze­nie­rungs­stil von Robert Bresson orien­tiert. HEIDENLÖCHER feierte 1986 im Wett­be­werb der Berlinale seine Premiere, gewann einen Baye­ri­schen Filmpreis (Kategorie Regie­nach­wuchs) und fand bei der Kritik mehr als nur wohl­wol­lende Beachtung. So konnte er mit den folgenden Film­pro­jekten Nach­saison und DIE MINISTRANTEN seiner Linie und dem Salz­burger Land treu bleiben und sich als einer der Erneuerer des öster­rei­chi­schen Heimat­films etablieren. Paulus erwei­terte darauf sein Spektrum, drehte Bezie­hungs­dramen, Kinder­filme, TV-Mehr­teiler, Doku­men­ta­tionen, landete bald »in den Niede­rungen der deutschen Fern­seh­bilder« (wie es ein Kritiker formu­lierte), bekam aber irgend­wann selbst seine TV-Projekte nicht mehr finan­ziert, weshalb er sich die letzten Lebens­jahre fast ausschließ­lich auf pädago­gi­sche Projekte beschränkte.

2020 bot sich nun die Chance, Wolfram Paulus und sein Œuvre einer Revision zu unter­ziehen. Für März hatte das Film­ar­chiv Austria noch zusammen mit dem Regisseur eine (fast) voll­s­tän­dige Retro orga­ni­siert, die dann dem ersten Corana-Lockdown zum Opfer fiel und im September nur noch als Gedenk-Veran­stal­tung nach­ge­holt werden konnte, da Paulus am 28. Mai 2020 mit 63 Jahren gestorben war. Gewis­ser­maßen als Vertie­fung der Paulus-Nachlese veran­stal­teten die Martin-Luther-Univer­sität Halle-Witten­berg und das Mozarteum Salzburg in Zusam­men­ar­beit mit dem Film­ar­chiv Austria Ende Januar ein zwei­tä­giges Online-Symposium, das einen inter­dis­zi­plinären Blick auf Paulus’ Schaffen werfen konnte.

Ohne Hoffnung aufs Glück ist man in der Filmerei »daschossen«, soll Paulus einmal gesagt haben. Er arti­ku­lierte schon früh, dass man in einem Filme­mach­er­leben laufend zwischen den Ansprüchen eines Auteurs und den Unwäg­bar­keiten der Film­in­dus­trie lavieren und am Ende eben auch Glück haben muss. Diese Hoffnung diente Paulus als »Bewäl­ti­gungs­stra­tegie für die massive Kontin­genz, die der Medi­en­wirt­schaft während der Vorbe­rei­tung, Herstel­lung und Auswer­tung eines Kinofilms immanent ist«. So formu­lierte es Mitver­an­stalter Andreas Ehren­reich in seinem Beitrag »Filmerei und Kontin­genz« – eine Über­schrift, die auch als Motto fürs ganze Symposium stehen kann.

Ob es in den 13 Vorträgen (die auf vier Panels unter bewusst vage gehal­tenen Stich­worten wie Heimat, Politik, Identität, Genre usw. aufge­teilt worden sind) nun um die erzählte Provinz oder um Tourismus und Touristen oder die Rolle der Holz­wirt­schaft ging, ob am Beispiel des Regis­seurs der Realismus im öster­rei­chi­schen Film allgemein verhan­delt oder die Affi­ni­täten seiner Bezie­hungs­filme zur klas­si­schen Screwball-Komödie analy­siert wurden, ob der pädago­gi­sche Wert seiner Kinder­filme oder die Rezeption in Italien oder gar seine nicht reali­sierten Film­pro­jekte unter­sucht wurden: Offen oder verschlüs­selt ging es für die Vortra­genden auch ums »elende Strampeln auf Leben und Tod«, also um den schmerz­li­chen Prozess des Filme­ma­chens.

Und natürlich hob das Symposium Wech­sel­be­zie­hungen und Konti­nui­täten in Paulus’ Schaffen hervor, die einem bei der puren chro­no­lo­gi­schen Betrach­tung seiner Filme entgehen können. Wo z.B. finden sich Spuren von Paulus’ großem Leitbild Robert Bresson? Nicht nur im ambi­tio­nierten Frühwerk, sondern auch in seinen späteren, formal viel konven­tio­nel­leren Familien- und Seiten­sprung­filmen. Das »System Familie« wiederum ist nicht nur Thema seiner späten Werke, es wird auch in seinen frühen Filmen auf die Probe gestellt. Die nahe­lie­gende Frage, ob Paulus’ Karriere aufs Ganze gesehen geschei­tert ist (er selber sprach von einem »lang­jäh­rigen Trauertal«, das für ihn irgend­wann mal begann), blieb ausge­klam­mert, eine Frage, die sich viel­leicht auch deswegen erübrigt, weil sein Schaffen doch nicht abge­schlossen scheint. Zu Tage gefördert hat das Symposium nämlich noch eine Unmenge von unver­wirk­lichten Projekten, und schließ­lich konnte man erfahren, dass Paulus wenige Tage vor seinem Tod noch ein Drehbuch mit dem Titel »Berghof« vollendet hat: die nur halb erfundene Geschichte um einen Berch­tes­ga­dener Holz­schnitzer, der von den Nazis darauf präpa­riert wird, Adolf Hitler als Doppel­gänger zu ersetzen – ein Film­pro­jekt, mit dem er den Bogen zu seinem Erstling HEIDENLÖCHER zurück­ge­spannt und sein Werk vernehmbar abge­rundet hätte, wenn ihm die Verfil­mung noch vergönnt gewesen wäre.

Nachträge:

Verant­wortet haben dieses Symposium Iris Laner (Salzburg) und Andreas Ehren­reich (Halle). Ehren­reich stellte schon die Symposien über den Hexenfilm von Adrian Hoven und den Giallo auf die Beine.

Das Programm und die Teil­nehmer finden sich auf der Sympo­siums-Webseite.

Da diese Online-Veran­stal­tung unter dem Radar der Öffent­lich­keit stattfand, plant das Film­ar­chiv Austria in seiner Schrif­ten­reihe eine Publi­ka­tion mit den Sympo­siums-Beiträgen.