06.08.2015

Die seltsamen Laster von Mrs. Wardh

Giallo ist sexy: Das offizielle Kongressplakat verheißt so manches
Giallo ist sexy: Das offizielle Kongressplakat verheißt so manches

Ein Giallo-Kongress in Rom

Von Ulrich Mannes

Mrs. Wardh sieht phan­tas­tisch aus, sie hat Stil und kennt keine mate­ri­elle Not. Gleich­wohl hadert sie schwer mit ihrem Schicksal. Denn sie ist unglück­lich verhei­ratet, weshalb ein dubios-char­manter Verführer leichtes Spiel mit ihr hat, was wiederum einen anonymen Erpresser auf den Plan ruft. Zugleich stellt ihr ein ehema­liger Liebhaber nach, mit dem sie eine sado­ma­so­chis­ti­sche Beziehung hatte; und zu allem Überfluss treibt sich noch ein Seri­en­killer in der Stadt herum, der, so will’s scheinen, es letztlich auch nur auf sie abgesehen haben kann. Der Ort des Gesche­hens ist Wien, dessen morbide Grandezza einen idealen Hinter­grund für diesen Plot abgibt. Psycho­lo­gisch morbide sollten die Charak­tere im Giallo nämlich sein, am besten irgend­welche Komplexe aus der Kindheit mit sich herum­schleppen oder abson­der­liche sexuelle Erfah­rungen. So erklären es Ernesto Gastaldi und Sergio Martino, der Co-Autor und der Regisseur vom Der Killer von Wien. Das Morbide der Haupt­figur Mrs. Wardh, gespielt von Edwige Fenech, offenbart sich in verschwom­menen Rück­blenden, die sie beim riskanten Liebe­spiel mit ihrem geheim­nis­vollen Ex-Lover zeigen. Darüber hinaus bekommt man noch etliche sexuell aufge­la­dene Slas­her­szenen geboten (darunter eine unter der Dusche, seit Hitch­cocks Psycho fast schon obli­ga­to­risch fürs Genre), welche nicht selten mit aben­teu­er­li­chen Plot­wen­dungen zusam­men­hängen, die den Zuschauer immer wieder vor den Kopf stoßen sollen, und erst eine »doppelte Auflösung« kann dieser »Twis­t­orgie«, ein Ende bereiten. Welchen Rang man dem Killer von Wien im Spektrum des Giallo zuordnen kann, darüber streiten die Experten. Wegen seiner Formel­haf­tig­keit eignet sich der Film aller­dings sehr gut als reprä­sen­ta­tiver Vertreter des Genres – und damit als idealer Aufhänger für einen film­wis­sen­schaft­li­chen Kongress.

Ein gutes Jahr nach seinem Hexen-Symposium im öster­rei­chi­schen Tamsweg, wo Adrian Hovens Hexen bis aufs Blut gequält gedreht wurde, hat Andreas Ehren­reich (diesmal von der »Sheffield Hallam Univer­sitiy« aus) wieder Film­wis­sen­schaftler zu einer Veran­stal­tung geladen. Jetzt ging es eben um den Killer von Wien und den Giallo an sich (The Strange Vice of Mrs. Wardh and the Gaillo nannte sich der Kongress nach dem Origi­nal­titel). Konse­quen­ter­weise hätte man diesmal ja Wien zum Tagungsort machen müssen, doch Ehren­reich entschied sich für Rom, weil die Mitwir­kenden des Films und andere Zeit­zeugen hier einfacher zusam­men­zu­bringen und die wissen­schaft­li­chen Teil­nehmer für eine früh­som­mer­liche Romreise leicht zu gewinnen waren. Mit dem Öster­rei­chi­schen Kultur­in­stitut ließ sich zudem ein respek­ta­bler Koope­ra­ti­ons­partner mitsamt präch­tigem Tagungs­ge­bäude finden. Im Biblio­theks­saal des herr­schaft­lich gelegenen »Istituto Storico Austriaco« wurde also zwei Tage lang in sieben Panels und einer Podi­ums­dis­kus­sion dem Giallo seine Reverenz erwiesen.

Eigent­lich handelt es sich beim Giallo um eine Groschen­ro­man­serie, die sich bereits in den 20er Jahren in Italien etabliert hatte (die Bezeich­nung Giallo verdankt sie ihren gelben Einbänden), aber erst in den 60ern zu einem filmi­schen Marken­zei­chen wurde. Zwei Regis­seurs-Namen bleiben vornehm­lich (und noch vor Sergio Martino) mit dem Giallo verknüpft: Mario Bava und Dario Argento. Während Bava mit zwei Filmen aus den frühen 60ern (The Girl Who Know Too Much und Blutige Seide) gleichsam für die Giallo-Initi­al­zün­dung sorgte, lieferte Argento in der deli­rie­renden Phase der 70er und frühen 80er Jahre die unbe­strit­tenen Klassiker, wie ROSO, TENEBRE & SUSPIRIA.

Vor allem anhand dieser Filme sind sie durchaus fest­zu­ma­chen, die wieder­keh­renden Formeln, Motive und Acces­soires des Giallo: schwarze Hand­schuhe, sadis­ti­sche Morde, verwegene Plot­points. Dennoch läßt er sich als Genre nur vage eingrenzen, oft genug könnte man den einen oder anderen Giallo genauso gut dem Poli­zei­film (»Poli­ziot­tesco«) zuordnen, oder dem Horror­genre, bisweilen sogar der Komödie.

Die Refe­renten (Kongress-Sprache war natürlich englisch) benützten deshalb bevorzugt den Begriff »Giallo-Cycle«, was man nur unbe­holfen mit »Giallo-Film­zy­klus« ins Deutsche über­setzen kann. Aber wozu soll man sich mit solchen Zuschrei­bungen noch aufhalten, wenn der inter­pre­ta­to­ri­sche Rahmen hier sowieso in keine Grenzen gefaßt ist? Das zeigten die vielen Beiträge, in denen es um die Topo­gra­phie des Giallo geht, die sich in urbanen Plätzen, in Post­kar­ten­an­sichten, in Laby­rin­then, aber auch in den italie­ni­schen Land­schaften (»Rural Italian Horror«) offenbart und bisweilen sogar in andere Konti­nente (»Beyond Kili­man­jaro«) ausschlägt. Zu den Themen­spek­tren des Kongresses gehörten gleich­wohl auch die psycho­lo­gi­schen und sozio­lo­gi­schen Dispo­si­tionen, so ging es um die Psycho­logie des Bösen, um die Wandlung der fami­liären Werte, die Rolle der Homo­se­xua­lität und mehrmals um das Frau­en­bild im Giallo. Es wurden nahe­lie­gende und verwegene Theorien sowie akri­bi­sche Einzel­ana­lysen aufge­boten. Auf einer ganz anderen Ebene drehten sich Präsen­ta­tionen um die mediale Aufar­bei­tung, um Distri­bu­tion und Rezeption des Giallo und sogar um die Verdienste der umtrie­bigen Italo-Fange­meinde bei der Bewahrung des Giallo-Filmerbes. Ein kleines bisschen zu kurz kam womöglich nur der große film­ge­schicht­liche Rahmen, es fehlte m.E. ein Beitrag, der ganz konkret die film­his­to­ri­schen Refe­renzen des Giallo ausfindig gemacht und dabei über Sergio Martinos Vorbilder Hitchcock und Clouzot hinaus­ge­schaut hätte.

Sergio Martino selbst kam natürlich auch zu Ehren, einmal zum Auftakt der Veran­stal­tung: er wurde von der Italie­ni­schen Kine­ma­thek mit einer drei­tei­ligen Werkschau geehrt. Und vor allem zum Abschluss, da versam­melten sich Martinos Wege­fährten und andere Giallo-Zeit­zeugen zu einer Podi­ums­dis­kus­sion, was den wissen­schaft­li­chen Rahmen der Veran­stal­tung endgültig sprengte. Die Zusam­men­set­zung war am Ende ganz anders als vom Veran­stalter vorge­sehen: Die weib­li­chen Giallo-Ikonen wie Edwige Fenech oder Dagmar Lassander ließen sich entschul­digen. Wett­ge­macht wurde das durch die Regis­seure Ruggero Deodato und Antonio Bido, die viel zu erzählen hatten über die Produk­ti­ons­be­din­gungen der 70er Jahre, sowie von der Kompo­nistin Nora Orlandi, deren Score viel zum psyche­de­li­schen Flair von The Strange Vice beitrug. Star der Veran­stal­tung war aber George Hilton, Edwige Fenechs dubios-char­manter Verführer, der mit seinen mitt­ler­weile 80 Jahren von seiner abgrün­digen Ausstrah­lung nichts verloren hat… Aber hier brechen wir unseren Giallo-Kongress-Bericht ab und blicken, wie nach dem Hexen­sym­po­sium, erwar­tungs­froh der ange­kün­digten Publi­ka­tion entgegen.