Ein Hoch auf den längsten Penis der Welt |
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»Einen blasen« etwas anders interpretiert. | ||
(Foto: Adalsteinn Hallgrimsson / DR) |
Von Axel Timo Purr
Es gibt natürlich viel gegen ein Leben in Dänemark zu sagen (bitte nicht fragen, was), aber über eins sind sich wahrscheinlich alle einig: dass eine Kindheit in Dänemark so ziemlich das Tollste ist, was einem passieren kann. Nein, nicht wegen der Strände, oder wegen Legoland, oder der Speedway-Rennbahn in Vojens, oder der grandiosen Pölserkultur. Sondern ganz einfach, weil Dänemark das Land ist, wo es die besten Kinderfilme gibt, wo es eine Kinderfilmförderung gibt, die Lehrer wie Schüler gleichermaßen miteinbezieht, wo Kinderfilm nicht Lebenslügentrash, sondern tatsächlich kontroverse Bewältigung realen Lebens ist. Wo Risiken eingegangen werden, wo es natürlich auch Scheitern gibt (siehe Kaspar Munks Wildhexe), aber auch großartige Siege, man denke etwa an Mina und die Traumzauberer oder die auf den letzten beiden Lucas gezeigten Hacker von Poul Berg und Land aus Glas von Jeppe Vig Find.
Es ist vor allem der Mut, das überraschende Element, die Auslotung neuer Grenzen, die den dänischen Kinderfilm so einzigartig macht. Und kaum zu glauben: dieser Mut reicht sogar bis in die unendlichen Weiten des öffentlich rechtlichen dänischen Fernsehens DR. Nicht zu vergleichen mit der verschnarchten ARD, die auf generationsübergreifende Klassiker wie „Die Sendung mit der Maus“ setzt. Im DR wäre so etwas wohl undenkbar, vielleicht als Dreingabe für die ewig Jungen unter uns. Doch für die wirklich Jungen wird immer wieder neu aufgemischt, sei es mit Onkel Reje, der so wild flucht wie er raucht oder Ultra Smider Tøjet, ein Panel aus nackt dasitzenden Erwachsenen, denen Kinder Fragen zu ihren alles andere als perfekten Körpern stellen dürfen und deutlich gemacht werden soll, dass es den in den sozialen Medien propagierten, perfekten Körper und seine noch viel perfekteren Einzelteile einfach nicht gibt.
In ähnlichem Fahrwasser bewegt sich die seit letzten Samstag ausgestrahlte Stop-Motion-Serie John Dillermand (alle Folgen in Dänisch streambar), die für die Altersgruppe der 4-8-jährigen konzipiert wurden. John Dillermand (Diller=Penis, Mand=Mann => Penismann), der Held der Serie, erinnert ein wenig an André Franquins Marsupilami, das mit seinem (Hinter-) Schwanz so ziemlich alles kann, was im Alltag zum Problem wird.
Auch John hat diese Gabe, nur das er einen erstaunlich ausfahrbaren explizit männlichen Schwanz hat und ähnlich wie dem Marsupilami und Kindern sowieso, fehlt es John an Impulskontrolle. Wann immer er in seinen fünf-minütigen Alltagsabenteuern auf ein Problem trifft – sei es ein gefährlicher Grillanzünder oder ein auf einer Ampel gestrandetes Eis oder der widerliche Autoverkehr in einer Stadt – Johns Pillermann weiß Abhilfe zu schaffen. Doch ganz so ignorant wie Kinder oft sind, ist John nicht. Als eine Frau ihn bittet, doch nicht immer gleich seinen Schwanz rauszuholen, hört er sich geduldig ihre Beschwerde an, um sich dann „zurückzuziehen“.
So wie Ultra Smider Tøjet wurde auch John Dillermand seit seiner Erstausstrahlung heftig kritisiert. Warum grad jetzt eine Penis-zentrierte Serie, nachdem viel zu spät, erst Ende September 2020, das dänische MeToo-Movement online gegangen ist? Warum eine Serie, die alte (Geschlechter-) Verhältnisse zu restaurieren scheint, indem sie das Selbstbewusstsein des Mannes mit der Größe seines Penis gleichsetzt? Das dänische Fernsehen hat schnell reagiert und gemeint, dass es natürlich genauso eine Serie über eine Frau hätte machen können, die keine Kontrolle über ihre Vagina hat, aber das man doch vor allem bitte erstmal den Kindern ihren Spaß haben lassen sollte.
Dieser Spaß ist durch den konzentrierten Slapstick allemale gegeben, aber mehr noch gelingt es der Serie so wie der Reform-Pädagogik der frühen 1970er, aufzuklären ohne aufzuklären und Geschlechterverhältnisse zu demonstrieren, die weit von der peniszentrierten Kultur jener Menschheit entfernt ist, die Werner Herzog in seiner Gastsprechrolle in Rick und Morty analysiert.
Denn John Dillermand macht genau das, was er als „neuer“ Mann unserer »jungen« Welt machen sollte. Er schert sich einen Dreck um den Schöpferauftrag und macht mit seinem Penis lieber das, wofür er im „rein biologischen Sinn“ wohl nie vorgesehen war. Und das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern in jeder Hinsicht grotesk, zutiefst komisch und äußerst anregend. Und außerdem ein markantes Zeichen gerade gegen unsere im Kern so restaurativen Zeiten, in denen Penis und Vagina und damit auch Sexualität immer weniger auf Bildschirmen und Kinoleinwänden auftauchen.
Alle 12 Folgen von John Dilleramand sind auf den Seiten des DR abrufbar und auch ohne Dänisch-Kenntnisse gut zu verstehen.