07.01.2021

Ein Hoch auf den längsten Penis der Welt

John Dillermand
»Einen blasen« etwas anders interpretiert.
(Foto: Adalsteinn Hallgrimsson / DR)

Der dänische Kinderfilm reizt mal wieder die Grenzen aus: Seit letzten Samstag gibt es mit John Dillermand einen Helden, der vor allem mit Hilfe eines Superpenis kleine Alltagsabenteuer besteht

Von Axel Timo Purr

Es gibt natürlich viel gegen ein Leben in Dänemark zu sagen (bitte nicht fragen, was), aber über eins sind sich wahr­schein­lich alle einig: dass eine Kindheit in Dänemark so ziemlich das Tollste ist, was einem passieren kann. Nein, nicht wegen der Strände, oder wegen Legoland, oder der Speedway-Rennbahn in Vojens, oder der gran­diosen Pöls­er­kultur. Sondern ganz einfach, weil Dänemark das Land ist, wo es die besten Kinder­filme gibt, wo es eine Kinder­film­för­de­rung gibt, die Lehrer wie Schüler glei­cher­maßen mitein­be­zieht, wo Kinder­film nicht Lebens­lü­gen­trash, sondern tatsäch­lich kontro­verse Bewäl­ti­gung realen Lebens ist. Wo Risiken einge­gangen werden, wo es natürlich auch Scheitern gibt (siehe Kaspar Munks Wildhexe), aber auch großar­tige Siege, man denke etwa an Mina und die Traum­zau­berer oder die auf den letzten beiden Lucas gezeigten Hacker von Poul Berg und Land aus Glas von Jeppe Vig Find.

Es ist vor allem der Mut, das über­ra­schende Element, die Auslotung neuer Grenzen, die den dänischen Kinder­film so einzig­artig macht. Und kaum zu glauben: dieser Mut reicht sogar bis in die unend­li­chen Weiten des öffent­lich recht­li­chen dänischen Fern­se­hens DR. Nicht zu verglei­chen mit der verschnarchten ARD, die auf genera­ti­ons­ü­ber­grei­fende Klassiker wie „Die Sendung mit der Maus“ setzt. Im DR wäre so etwas wohl undenkbar, viel­leicht als Dreingabe für die ewig Jungen unter uns. Doch für die wirklich Jungen wird immer wieder neu aufge­mischt, sei es mit Onkel Reje, der so wild flucht wie er raucht oder Ultra Smider Tøjet, ein Panel aus nackt dasit­zenden Erwach­senen, denen Kinder Fragen zu ihren alles andere als perfekten Körpern stellen dürfen und deutlich gemacht werden soll, dass es den in den sozialen Medien propa­gierten, perfekten Körper und seine noch viel perfek­teren Einzel­teile einfach nicht gibt.

In ähnlichem Fahr­wasser bewegt sich die seit letzten Samstag ausge­strahlte Stop-Motion-Serie John Diller­mand (alle Folgen in Dänisch streambar), die für die Alters­gruppe der 4-8-jährigen konzi­piert wurden. John Diller­mand (Diller=Penis, Mand=Mann => Penismann), der Held der Serie, erinnert ein wenig an André Franquins Marsu­pi­lami, das mit seinem (Hinter-) Schwanz so ziemlich alles kann, was im Alltag zum Problem wird.

Auch John hat diese Gabe, nur das er einen erstaun­lich ausfahr­baren explizit männ­li­chen Schwanz hat und ähnlich wie dem Marsu­pi­lami und Kindern sowieso, fehlt es John an Impuls­kon­trolle. Wann immer er in seinen fünf-minütigen Alltags­aben­teuern auf ein Problem trifft – sei es ein gefähr­li­cher Gril­lan­zünder oder ein auf einer Ampel gestran­detes Eis oder der wider­liche Auto­ver­kehr in einer Stadt – Johns Piller­mann weiß Abhilfe zu schaffen. Doch ganz so ignorant wie Kinder oft sind, ist John nicht. Als eine Frau ihn bittet, doch nicht immer gleich seinen Schwanz raus­zu­holen, hört er sich geduldig ihre Beschwerde an, um sich dann „zurück­zu­ziehen“.

So wie Ultra Smider Tøjet wurde auch John Diller­mand seit seiner Erst­aus­strah­lung heftig kriti­siert. Warum grad jetzt eine Penis-zentrierte Serie, nachdem viel zu spät, erst Ende September 2020, das dänische MeToo-Movement online gegangen ist? Warum eine Serie, die alte (Geschlechter-) Verhält­nisse zu restau­rieren scheint, indem sie das Selbst­be­wusst­sein des Mannes mit der Größe seines Penis gleich­setzt? Das dänische Fernsehen hat schnell reagiert und gemeint, dass es natürlich genauso eine Serie über eine Frau hätte machen können, die keine Kontrolle über ihre Vagina hat, aber das man doch vor allem bitte erstmal den Kindern ihren Spaß haben lassen sollte.

Dieser Spaß ist durch den konzen­trierten Slapstick allemale gegeben, aber mehr noch gelingt es der Serie so wie der Reform-Pädagogik der frühen 1970er, aufzu­klären ohne aufzu­klären und Geschlech­ter­ver­hält­nisse zu demons­trieren, die weit von der penis­zen­trierten Kultur jener Mensch­heit entfernt ist, die Werner Herzog in seiner Gast­sprech­rolle in Rick und Morty analy­siert.

Denn John Diller­mand macht genau das, was er als „neuer“ Mann unserer »jungen« Welt machen sollte. Er schert sich einen Dreck um den Schöp­fer­auf­trag und macht mit seinem Penis lieber das, wofür er im „rein biolo­gi­schen Sinn“ wohl nie vorge­sehen war. Und das ist nicht nur unge­wöhn­lich, sondern in jeder Hinsicht grotesk, zutiefst komisch und äußerst anregend. Und außerdem ein markantes Zeichen gerade gegen unsere im Kern so restau­ra­tiven Zeiten, in denen Penis und Vagina und damit auch Sexua­lität immer weniger auf Bild­schirmen und Kino­lein­wänden auftau­chen.

Alle 12 Folgen von John Dillera­mand sind auf den Seiten des DR abrufbar und auch ohne Dänisch-Kennt­nisse gut zu verstehen.