The New (Ab-)Normal (Update) |
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Die Gemeinschaft der Münchner Arthouse-Kinos | ||
(Foto: artechock) |
Von Dunja Bialas
Erst relativ zum Ende, unter »Kinospezifische Bestimmungen und Empfehlungen«, findet sich der entscheidende Punkt des amtlichen »Hygienekonzepts für Kinobetriebe«. »Maskenpflicht beim Verzehr von Speisen und Getränken« heißt es in der Überschrift. Anstatt im weiteren aber den Ausführungen des bayerischen Kunstministers Bernd Sibler zu folgen, der in der Pressekonferenz vor zwei Wochen angekündigt hatte, dass auch beim Verzehr von Snacks im Kinosaal eine Maske getragen werden muss (seiner Vorstellung nach sollte man sich das Popcorn unter einem Visier in den Mund schaufeln), ist jetzt in der Verordnung zu lesen: »Auf dem Sitzplatz darf die Mund-Nasen-Bedeckung zum Verzehr von Speisen und Getränken abgenommen werden.«
Das also ist das kleine Schlupfloch für alle, die sich einen Filmgenuss mit Maske nicht vorstellen können. Getränke und Snacks im Kino sind nun also nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, das freut natürlich die Kinobetreiber. Und eine Maske kann umgangen werden, wenn man sich zum Film ein Getränk gönnt, das freut die Kinobesucher. Auch wenn jetzt Diskussionen anbrechen, ob man eine Dauerbreze in der Hand halten muss, um an ihr 90 Minuten herumzukauen, ist klar, dass die Kinobetreiber nicht die Polizei sind, die kontrolliert, ob auch alle schön brav den Mund richtig voll nehmen.
Die schlechte Nachricht (Gegenfrage: gab’s schon eine gute?): Entgegen dem, was wir an dieser Stelle schon vermeldet haben, gibt es eine im Vergleich zu anderen Bundesländern extrem strenge Obergrenze für die Besucherzahl. 50 (Update vom 16.06.: 100 ab Montag 22.06.) dürfen maximal in einem Saal sitzen, egal wie groß und weitläufig der ist. Das ist vor allem für die großen Häuser und Multiplexe ein Faustschlag ins Gesicht. Der Kinobetrieb ist jetzt keinesfalls (Update: mit großen Abstrichen, wünschenswert wäre keine Obergrenze) rentabel – Familie Rusch der Cineplexe kündigte am Montag prompt an, den Betrieb erst zum 2. Juli aufzunehmen. Eigentlich sind die großen Kinos ja dafür da, Kasse zu machen, die FFA zu füttern – und die Jugendlichen von der Straße wegzuholen. Daran hätte Söder, Sibler und Co. doch eigentlich gelegen sein müssen, wenn man sich vor Augen hält, wie es mittlerweile in der Stadt zugeht und nicht nur wegen des Regens das Wasser über die Ufer der Isar tritt (Update: Söder zeigt sich jetzt in Ansätzen einsichtig. Ausdrücklich rückt er am heutigen Dienstag die Sperrstunde auf 23 Uhr, »damit die jungen Menschen zum Biertrinken nicht auf dem Bürgersteig sitzen«.)
Immerhin: Die Kinos müssen keine Reihe frei lassen. Zumindest hat mir unter der Hand ein Mitarbeiter aus dem Digitalministerium das gesagt. »Keiner misst nach.« Die Besucher dürfen sich also ab Montag im großzügigen Schachbrettmuster platzieren, in einem Abstand von 1 Meter 50 zum nächsten Grüppchen. Aber: Nur Pärchen, Familien und WGs dürfen zusammensitzen. (Update einen Tag später: bis zu zehn Freund*innen dürfen zusammenkommen) Update: Dann können sich die Kinobetreiber wenigstens jetzt doch noch freuen, wenn wieder die Freundinnen zu zweit kommen, oder die Freundinnen gar auf einen gemeinsamen Kinobesuch.
Auch wenn es einem die Politiker einreden wollten: Ein Kinobesuch ist nicht gefährlicher als ein Restaurantbesuch. Daher soll man sich auch nicht wundern, wenn man sich beim Betreten des Kinos nicht die Hände desinfizieren muss, oder wenn nicht hinter einem hergewischt wird. Das Robert Koch Institut schreibt ausdrücklich: »Nachweise über eine Übertragung durch Oberflächen im öffentlichen Bereich liegen nicht vor. Eine routinemäßige Flächendesinfektion in häuslichen und öffentlichen Bereichen, auch der häufigen Kontaktflächen, wird nicht empfohlen.«
Manche Kinos haben allerdings die Desinfektionsspender schon besorgt und werden sie auch aufstellen. Das heißt aber nicht, dass mehr Gefahr herrscht. Auch den Stift, mit dem man seinen Namen und seine Telefonnummer auf einem Blatt zur Nachverfolgung möglicher Infektionsketten hinterlassen muss, kann man also getrost anfassen.
Noch nicht einmal Plexiglasscheiben wie in den Supermärkten sind vorgeschrieben. Man darf mit den Mitarbeitern des Kinos also weitgehend barrierelos sprechen. Allerdings muss man im mobilen Bereich des Kinos, also überall, wo man laufen kann (Eingang, Ausgang, Kiosk, Toilette), einen Nasen-Mundschutz tragen. Und auch im Sitzen, außer man möchte während dem Film etwas essen oder trinken.
Die Kinobesucher erwartet also eine dem Anschein nach relativ normale Kinoatmosphäre, die aber hinter den Kulissen streng reglementiert ist, nach dem Motto: Es soll sich für die Kinobetreiber keinesfalls lohnen (Update: es lohnt sich immer noch nicht). Für das Personal, das für den Einlass und die Platzierung des Publikums eine logistische Meisterprüfung ablegen muss, wird es extrem stressig. Zwischen den Vorstellungen wird auch deshalb mehr Zeit gelassen, damit sich der Stress etwas entzerrt.
Eigentlich wollte der Nürnberger Multiplex Cinecittà bereits am 10. Juni wiederöffnen. Vorauseilend wurde ein Hygienekonzept erarbeitet, das über die jetzt gültigen Vorschriften deutlich hinausgeht. Genützt hat es nichts. Kinobetreiber Wolfram Weber eröffnet jetzt, wie allen erlaubt, am kommenden Montag, und bleibt optimistisch, wenn er Christopher Nolans heiß erwarteten Tenet ab dem 16. Juli ankündigt, der von einem globalen Release abhängt. Laut »Deadline« müssten dafür 80 Prozent der Kinos weltweit geöffnet sein, damit sich der Coup für das 200-Millionen-Dollar-Baby lohnt. Am vergangenen Dienstag hat nun AMC, die weltweit größte Kinokette und Tochterfirma der chinesischen Dalian Wanda Group, angekündigt, fast alle Kinos in den USA und Großbritannien im Juli zu öffnen. Damit ist Tenet der Weg geebnet.
Zurück nach München. Gleich am Montag macht das Royal am Goethe-Platz auf. Am Donnerstag, zu Beginn der eigentlichen Kinowoche, kommt dann der Auftakt für die Arthouse-Kinos. Das Theatiner zeigt Emin Alpers in Anatolien spielenden Eine Geschichte von drei Schwestern als neuen Filmstart, dazu kommen der dänische Film Königin von May el-Toukhy mit »Borgen«-Darstellerin Trine Dyrholm und Filme, die vor Corona hängengeblieben sind, wie La Vérité – Leben und lügen lassen und Die perfekte Kandidatin, der am 12. März, vier Tage vor dem Shutdown, gestartet ist. Auch das Rottmann-Kino wird starten, am Programm wird gerade noch gefeilt, erst habe man die Hygienevorschriften abgewartet. Das Werkstattkino zeigt noch im Juni eine Reihe mit neuen Filmen von Eckhart Schmidt. Das Filmtheater Sendlinger Tor, das – good news! – die Kündigung durch die Vermieterin fürs erste ausgesessen hat, startet am 29. Juni mit einem Auftaktprogramm. Ab dem 2. Juli geht es dann wieder in allen Münchner Kinos los.
Der Kino-Sommer kann beginnen. Wir drücken den Kinos die Daumen, dass er allen Widrigkeiten zum Trotz gut wird. Und dass sich Söder, natürlich nur wenn es die Zahlen weiterhin hergeben, noch einsichtiger zeigt als am heutigen Update vom gestrigen Montag, den 15.06.
Dies ist ein Update vom 15.6.2020, das am ursprünglichen Artikel vom 11.6. vorgenommen werden musste. Im Zuge der Änderungen hat sich der Titel von »The New Normal« zu »The New Abnormal« gewandelt. Hintergrund des Wandels ist nicht etwa, dass wir nicht lesen können, sondern dass bis zum Tag der Wiedereröffnung der Kinos die Bayerische Staatsregierung durch kryptische Lückentexte die Kinobetreiber im Unklaren hielt, ob die Obergrenze von 50 auch für Kinos gilt. Alles deutete darauf hin, dass nicht. Entstanden ist dadurch ein regelrechtes Informationschaos. Und noch immer heißt es in der Verordnung: »Für gastronomische Angebote sowie für Theateraufführungen, Filmvorführungen und ähnliche Veranstaltungen gelten die jeweils speziellen Regelungen dieser Verordnung.« Diese speziellen Regelungen allerdings sind so speziell, dass sie noch nicht einmal publiziert wurden.