11.06.2020

The New (Ab-)Normal (Update)

Kinobetreiber
Die Gemeinschaft der Münchner Arthouse-Kinos
(Foto: artechock)

Die Kinos in Bayern dürfen ab Montag wieder öffnen. Sie haben für die beste aller Hygieneregeln gefochten – und die schlechteste bekommen, immerhin mit einem kleinen Schlupfloch. Damit dies nur die zweitschlechteste wird, hat sie Söder einen Tag nach der Veröffentlichung gleich wieder geändert. Wie es in den nächsten Wochen mit dem Kino wieder losgeht (mit einem weiteren Update am 16.06.2020)

Von Dunja Bialas

Kein Popcorn unterm Visier

Erst relativ zum Ende, unter »Kino­spe­zi­fi­sche Bestim­mungen und Empfeh­lungen«, findet sich der entschei­dende Punkt des amtlichen »Hygie­nekon­zepts für Kino­be­triebe«. »Masken­pflicht beim Verzehr von Speisen und Getränken« heißt es in der Über­schrift. Anstatt im weiteren aber den Ausfüh­rungen des baye­ri­schen Kunst­mi­nis­ters Bernd Sibler zu folgen, der in der Pres­se­kon­fe­renz vor zwei Wochen ange­kün­digt hatte, dass auch beim Verzehr von Snacks im Kinosaal eine Maske getragen werden muss (seiner Vorstel­lung nach sollte man sich das Popcorn unter einem Visier in den Mund schaufeln), ist jetzt in der Verord­nung zu lesen: »Auf dem Sitzplatz darf die Mund-Nasen-Bedeckung zum Verzehr von Speisen und Getränken abge­nommen werden.«

Das also ist das kleine Schlupf­loch für alle, die sich einen Film­ge­nuss mit Maske nicht vorstellen können. Getränke und Snacks im Kino sind nun also nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, das freut natürlich die Kino­be­treiber. Und eine Maske kann umgangen werden, wenn man sich zum Film ein Getränk gönnt, das freut die Kino­be­su­cher. Auch wenn jetzt Diskus­sionen anbrechen, ob man eine Dauer­breze in der Hand halten muss, um an ihr 90 Minuten herum­zu­kauen, ist klar, dass die Kino­be­treiber nicht die Polizei sind, die kontrol­liert, ob auch alle schön brav den Mund richtig voll nehmen.

Die schlechte Nachricht (Gegen­frage: gab’s schon eine gute?): Entgegen dem, was wir an dieser Stelle schon vermeldet haben, gibt es eine im Vergleich zu anderen Bundes­län­dern extrem strenge Ober­grenze für die Besu­cher­zahl. 50 (Update vom 16.06.: 100 ab Montag 22.06.) dürfen maximal in einem Saal sitzen, egal wie groß und weit­läufig der ist. Das ist vor allem für die großen Häuser und Multi­plexe ein Faust­schlag ins Gesicht. Der Kino­be­trieb ist jetzt keines­falls (Update: mit großen Abstri­chen, wünschens­wert wäre keine Ober­grenze) rentabel – Familie Rusch der Cineplexe kündigte am Montag prompt an, den Betrieb erst zum 2. Juli aufzu­nehmen. Eigent­lich sind die großen Kinos ja dafür da, Kasse zu machen, die FFA zu füttern – und die Jugend­li­chen von der Straße wegzu­holen. Daran hätte Söder, Sibler und Co. doch eigent­lich gelegen sein müssen, wenn man sich vor Augen hält, wie es mitt­ler­weile in der Stadt zugeht und nicht nur wegen des Regens das Wasser über die Ufer der Isar tritt (Update: Söder zeigt sich jetzt in Ansätzen einsichtig. Ausdrück­lich rückt er am heutigen Dienstag die Sperr­stunde auf 23 Uhr, »damit die jungen Menschen zum Bier­trinken nicht auf dem Bürger­steig sitzen«.)

Immerhin: Die Kinos müssen keine Reihe frei lassen. Zumindest hat mir unter der Hand ein Mitar­beiter aus dem Digi­tal­mi­nis­te­rium das gesagt. »Keiner misst nach.« Die Besucher dürfen sich also ab Montag im groß­zü­gigen Schach­brett­muster plat­zieren, in einem Abstand von 1 Meter 50 zum nächsten Grüppchen. Aber: Nur Pärchen, Familien und WGs dürfen zusam­men­sitzen. (Update einen Tag später: bis zu zehn Freund*innen dürfen zusam­men­kommen) Update: Dann können sich die Kino­be­treiber wenigs­tens jetzt doch noch freuen, wenn wieder die Freun­dinnen zu zweit kommen, oder die Freun­dinnen gar auf einen gemein­samen Kino­be­such.

Ein Kino­be­such ist nicht gefähr­lich

Auch wenn es einem die Politiker einreden wollten: Ein Kino­be­such ist nicht gefähr­li­cher als ein Restau­rant­be­such. Daher soll man sich auch nicht wundern, wenn man sich beim Betreten des Kinos nicht die Hände desin­fi­zieren muss, oder wenn nicht hinter einem herge­wischt wird. Das Robert Koch Institut schreibt ausdrück­lich: »Nachweise über eine Über­tra­gung durch Ober­flächen im öffent­li­chen Bereich liegen nicht vor. Eine routi­ne­mäßige Flächen­des­in­fek­tion in häus­li­chen und öffent­li­chen Bereichen, auch der häufigen Kontakt­flächen, wird nicht empfohlen.«

Manche Kinos haben aller­dings die Desin­fek­ti­ons­spender schon besorgt und werden sie auch aufstellen. Das heißt aber nicht, dass mehr Gefahr herrscht. Auch den Stift, mit dem man seinen Namen und seine Tele­fon­nummer auf einem Blatt zur Nach­ver­fol­gung möglicher Infek­ti­ons­ketten hinter­lassen muss, kann man also getrost anfassen.

Noch nicht einmal Plexi­glas­scheiben wie in den Super­märkten sind vorge­schrieben. Man darf mit den Mitar­bei­tern des Kinos also weit­ge­hend barrie­relos sprechen. Aller­dings muss man im mobilen Bereich des Kinos, also überall, wo man laufen kann (Eingang, Ausgang, Kiosk, Toilette), einen Nasen-Mund­schutz tragen. Und auch im Sitzen, außer man möchte während dem Film etwas essen oder trinken.

Die Kino­be­su­cher erwartet also eine dem Anschein nach relativ normale Kino­at­mo­s­phäre, die aber hinter den Kulissen streng regle­men­tiert ist, nach dem Motto: Es soll sich für die Kino­be­treiber keines­falls lohnen (Update: es lohnt sich immer noch nicht). Für das Personal, das für den Einlass und die Plat­zie­rung des Publikums eine logis­ti­sche Meis­ter­prü­fung ablegen muss, wird es extrem stressig. Zwischen den Vorstel­lungen wird auch deshalb mehr Zeit gelassen, damit sich der Stress etwas entzerrt.

Die ersten Kinos machen auf

Eigent­lich wollte der Nürn­berger Multiplex Cinecittà bereits am 10. Juni wiederöffnen. Voraus­ei­lend wurde ein Hygie­nekon­zept erar­beitet, das über die jetzt gültigen Vorschriften deutlich hinaus­geht. Genützt hat es nichts. Kino­be­treiber Wolfram Weber eröffnet jetzt, wie allen erlaubt, am kommenden Montag, und bleibt opti­mis­tisch, wenn er Chris­to­pher Nolans heiß erwar­teten Tenet ab dem 16. Juli ankündigt, der von einem globalen Release abhängt. Laut »Deadline« müssten dafür 80 Prozent der Kinos weltweit geöffnet sein, damit sich der Coup für das 200-Millionen-Dollar-Baby lohnt. Am vergan­genen Dienstag hat nun AMC, die weltweit größte Kinokette und Toch­ter­firma der chine­si­schen Dalian Wanda Group, ange­kün­digt, fast alle Kinos in den USA und Groß­bri­tan­nien im Juli zu öffnen. Damit ist Tenet der Weg geebnet.

Zurück nach München. Gleich am Montag macht das Royal am Goethe-Platz auf. Am Donnerstag, zu Beginn der eigent­li­chen Kinowoche, kommt dann der Auftakt für die Arthouse-Kinos. Das Theatiner zeigt Emin Alpers in Anatolien spie­lenden Eine Geschichte von drei Schwes­tern als neuen Filmstart, dazu kommen der dänische Film Königin von May el-Toukhy mit »Borgen«-Darstel­lerin Trine Dyrholm und Filme, die vor Corona hängen­ge­blieben sind, wie La Vérité – Leben und lügen lassen und Die perfekte Kandi­datin, der am 12. März, vier Tage vor dem Shutdown, gestartet ist. Auch das Rottmann-Kino wird starten, am Programm wird gerade noch gefeilt, erst habe man die Hygie­ne­vor­schriften abge­wartet. Das Werk­statt­kino zeigt noch im Juni eine Reihe mit neuen Filmen von Eckhart Schmidt. Das Film­theater Send­linger Tor, das – good news! – die Kündigung durch die Vermie­terin fürs erste ausge­sessen hat, startet am 29. Juni mit einem Auftakt­pro­gramm. Ab dem 2. Juli geht es dann wieder in allen Münchner Kinos los.

Der Kino-Sommer kann beginnen. Wir drücken den Kinos die Daumen, dass er allen Widrig­keiten zum Trotz gut wird. Und dass sich Söder, natürlich nur wenn es die Zahlen weiterhin hergeben, noch einsich­tiger zeigt als am heutigen Update vom gestrigen Montag, den 15.06.

Dies ist ein Update vom 15.6.2020, das am ursprüng­li­chen Artikel vom 11.6. vorge­nommen werden musste. Im Zuge der Ände­rungen hat sich der Titel von »The New Normal« zu »The New Abnormal« gewandelt. Hinter­grund des Wandels ist nicht etwa, dass wir nicht lesen können, sondern dass bis zum Tag der Wiedereröff­nung der Kinos die Baye­ri­sche Staats­re­gie­rung durch kryp­ti­sche Lücken­texte die Kino­be­treiber im Unklaren hielt, ob die Ober­grenze von 50 auch für Kinos gilt. Alles deutete darauf hin, dass nicht. Entstanden ist dadurch ein regel­rechtes Infor­ma­ti­ons­chaos. Und noch immer heißt es in der Verord­nung: »Für gastro­no­mi­sche Angebote sowie für Thea­ter­auf­füh­rungen, Film­vor­füh­rungen und ähnliche Veran­stal­tungen gelten die jeweils spezi­ellen Rege­lungen dieser Verord­nung.« Diese spezi­ellen Rege­lungen aller­dings sind so speziell, dass sie noch nicht einmal publi­ziert wurden.