»Innenleben. Okay, netter Versuch.« |
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Betont bescheiden: Woody Allens Autobiographie | ||
(Foto: Rowohlt-Verlag) |
Schon im Vorfeld hat die angekündigte Autobiographie des New Yorker Regisseurs Woody Allen für einige Unruhe gesorgt: Es gab Streit, Proteste, und sogar eine kleine Feuilletondebatte um Fragen der Meinungsfreiheit. Denn den unbestrittenen Qualitäten und Verdiensten dieses Regisseurs, seinen spritzigen, eleganten Komödien und den vielen Preisen, die der heute 84-Jährige in den letzten Jahrzehnten gewann, stehen nach wie vor ungeklärte Vorwürfe entgegen: Woody Allen habe
seine Adoptivtochter Dylan missbraucht, sagen seine Ankläger, unter anderem Ronan Farrow, einer seiner Söhne.
An den Vorwürfen sei nichts dran, dies seien Legenden in dem schmutzigen Trennungskrieg von seiner Ex-Frau Mia Farrow vor 28 Jahren, sagen seine Verteidiger, auch unter ihnen ist mit Moses Farrow ebenfalls einer von Allens Söhnen. Auf seinem Blog charakterisiert er seine Mutter Mia als intrigante, manipulative Verrückte.
Auch wenn diese Vorwürfe inhaltlich nach wie vor völlig unbelegt sind, sorgten sie dafür, dass die Autobiographie mit dem Titel »A Propos of Nothing« in den USA zunächst nicht erscheinen konnte: Mitarbeiter des Hachette-Verlags hatten, angestachelt von Ronan Farrow, ebenfalls Hachette-Autor, gegen die geplante Veröffentlichung protestiert, und der Verlag die Rechte daraufhin zurückgegeben.
Auch in Deutschland hatte es nach der angekündigten Veröffentlichung im Rowohlt-Verlag vereinzelt medienwirksame Proteste gegeben – allerdings nicht von Mitarbeitern des Rowohlt-Verlags, sondern von einer Handvoll Autoren, angeführt von der Kolumnistin Margarete Stokowski.
Am Montag ist »A Propos of Nothing« nun doch in den USA herausgekommen, bei einem anderen Verlag. Und ab diesem Mittwoch ist das Buch auch in Deutschland erhältlich, zunächst nur als E-Book, ab Samstag auch in Druckform. Der Rowohlt-Verlag hatte den ursprünglichen April-Termin um mehr als eine Woche vorgeschoben.
Offensichtlich ging es hier darum, schnell nachzuziehen, und auch darum, eine erneute längere Debatte zu vermeiden, bei der nicht das Buch oder der Filmemacher Woody Allen im Mittelpunkt gestanden hätte, sondern die, wie gesagt, komplett unbelegten Vorwürfe.
Nun kann sich jeder selbst ein Bild machen: »Ganz nebenbei«, die jetzt erschienene Autobiographie des Regisseurs Woody Allen ist ein bisschen holprig und stellenweise schwach übersetzt, inhaltlich aber eine spannende, facettenreiche und, nicht zuletzt durch viel Klatsch sehr kurzweilige Reise durch über 70 Jahre Filmgeschichte, durch das linksliberale Amerika und die jüdisch-amerikanische Kultur.
Was steht nun in diesem Buch? Man muss sich fragen, ob Woody Allen nach dieser ganzen Vorgeschichte überhaupt noch »ganz normale« Memoiren schreiben kann? Kaum überraschend geht er in dem Buch auf die Vorwürfe seiner Ex-Freundin und »die Metzelei napoleonischen Ausmaßes« ein.
Kaum überraschend auch verteidigt er sich, und weist den Vorwurf, er habe seine Tochter sexuell missbraucht, in ruhigen Worten, und mit Argumenten, aber inhaltlich unmissverständlich zurück. Er versucht eine offene, vermittelnde Position einzunehmen, ist aber auch erkennbar getroffen. Allen argumentiert, Farrow habe sich den Missbrauch ausgedacht, um ihn im Sorgerechtsprozess um die drei gemeinsamen Kinder zu diskreditieren.
So geht es tatsächlich schon zu einem Teil um die Beziehung zu Mia Farrow, was ihr voranging und was folgte. Aber tatsächlich nicht zu einem großen Teil. Denn im Zentrum stehen Filme und Allens Verhältnis zum Kino. Farrow taucht zwar einmal auf Seite 27 auf, dann erst etwa 100 Seiten später wieder, »zu diesem ganzen Schlamassel kommen wir später« heißt es mehr als einmal, und erst nach über 240 Seiten geht es dann erstmals ausführlicher um beider Beziehung, die beide für den Rest ihres Lebens zumindest öffentlich gezeichnet hat.
Es ist nicht leicht, zu abstrahieren. Was in anderem Zusammenhang einfach als bissige Beschreibung einer Ex-Beziehung durchgegangen wäre, liest man hier auch als Plädoyer in eigener Sache: »Wir kamen aus völlig verschiedenen Welten. Ich war in einer jüdischen Familie der unteren Mittelschicht aufgewachsen. Meine Eltern, Cousins, Tanten und Onkel hatten zwar ihre Macken und Konflikte, doch die hielten sich im Rahmen. Keine Gewalt, keine Scheidungen, kein Selbstmord, keine Drogen und kein Alkohol. Nur ein bisschen Nörgelei und Geschimpfe wegen Geld oder weil der Chirurg nicht genug von Ruthies Nase weggeschnippelt hatte, vielleicht wäre der Typ, der bei Russ and Daughters den Fisch schneidet, doch die bessere Wahl gewesen. Mias Familie hingegen bot eine Galerie extrem bedenklicher Verhaltensauffälligkeiten, und in den Jahren unserer Beziehung wurde es immer schlimmer. Alkohol und massive Drogenprobleme bei den Geschwistern, Kriminalität und Vorstrafen, Selbstmord, Zwangseinweisung, und irgendwann wanderte ein Bruder wegen Kindesmissbrauchs ins Gefängnis. Jedes Mitglied der Familie Farrow hatte seinen eigenen Schaden, sie deckten das gesamte Spektrum ab, vom klassischen griechischen Theater bis ›Lost Weekend‹, außer Mia; so schien es jedenfalls. Mia schlich auf Zehenspitzen durch das Minenfeld des Wahnsinns und ging am Ende als reizende, leistungsfähige, liebenswerte und unbeschadete Person daraus hervor. Das fand ich erstaunlich. Doch sie war nicht unbeschadet, und es hätte mir früher auffallen sollen.«
Mit verständlicher Empfindlichkeit reagiert Allen auf alle Vorwürfe, die ihn in die Nähe von »#MeToo« rücken sollen. Er rechnet den Lesern vor, dass er in über 50 Jahren im Filmgeschäft, und über 50 Filmen, in denen er mit Hunderten von Schauspielerinnen zusammengearbeitet hat, es »auf einhundertsechs weibliche Hauptrollen und zweiundsechzig Preisnominierungen für Schauspielerinnen gebracht« habe, »und ich habe mich keiner einzigen gegenüber auch nur das kleinste bisschen ungehörig verhalten. Und auch keiner der Statistinnen gegenüber. Oder der Doubles. Seit ich nicht mehr an ein Studio gebunden bin, habe ich außerdem zweihundertdreißig Frauen als leitende Crewmitglieder hinter der Kamera beschäftigt, ganz zu schweigen von Cutterinnen und Produzentinnen.« Und er habe ihnen immer exakt das Gleiche gezahlt wie den Männern in seinen Filmen.
»Das Positive ist, dass ich unter dem Einfluss von Bergman und Williams eine ganze Menge Frauenrollen geschrieben habe, darunter auch ein paar ziemlich saftige. Für einen Kerl, der von #MeToo-Fanatikern ordentlich sein Fett weggekriegt hat, kann sich meine Bilanz für das andere Geschlecht durchaus sehen lassen.«
Etwas zu lässig, so denkt man manchmal, ist vielleicht der Tonfall. Etwa hier: »Und wie ging es mir mit all dem? Warum habe ich nach Angriffen auf mich nur selten das Wort ergriffen oder bin nur selten aus der Haut gefahren? Nun ja, was bedeutet angesichts des feindseligen Chaos eines ziel- und planlosen Universums schon so eine kleine falsche Anschuldigung? Und zweitens hat es durchaus sein Gutes, wenn man ein Misanthrop ist: Die Menschen können einen niemals enttäuschen.
Zu
guter Letzt hat man als Unschuldiger eine ganz andere Perspektive als jemand, der so etwas als Schuldiger durchmacht. Man frohlockt, wenn jemand genauer hinsieht und Ermittlungen anstellt, statt sich davor zu fürchten, denn man hat ja nichts zu verbergen. Man macht liebend gern einen Lügendetektortest, statt sich davor zu drücken.«
Zugleich ist dies ein Buch, das von selbstironischen Bemerkungen und pessimistischer Eleganz durchtränkt ist: Über Melinda und Melinda schreibt er recht treffend: »Der Film war okay, weder toll noch grottenschlecht.« Und redet offen über seine Schwierigkeiten, weil ihm in den sich wandelnden US-Film-Verhältnissen die Geldgeber ausgingen, »weil meine Filme nicht viel abwarfen, ich aber in Sachen künstlerischer Kontrolle so anspruchsvoll blieb, als wäre ich Toscanini. Das schreckte selbst Studios ab, die eigentlich gern mit mir zusammenarbeiten wollten.«
Allens Stolz und Eitelkeit verstecken sich hinter verschmitzter Bescheidenheit: »Ich feiere auch den einen oder anderen Erfolg. Aber was bedeutet das schon, wenn man sich danach sehnt, künstlerisch auf Augenhöhe mit Aischylos, O’Neill, Strindberg und Tennessee Williams zu sein.« Sein erster Versuch eines filmischen Dramas war von Bergman beeinflusst. Allen träume von Filmen wie Das siebente Siegel und Wilde Erdbeeren – »ich dilettierte stattdessen mit Der Schläfer, Die letzte Nacht des Boris Gruschenko und Der Stadtneurotiker. Vielleicht ganz amüsant, aber eigentlich will ich woandershin. Innenleben. Okay, netter Versuch. Kein Film, der ohne Ansprüche daherkommt, aber eben auch nichts für die Prime Time«.
Zutreffende Urteile über die Verantwortlichen in den Studios, die jeder Filmschaffende auch in Deutschland in Bezug auf alle Förderer, viele Fernsehredakteure und manche Produzenten sofort unterschreiben würde: »Diese Krawattenträger, kennen sich mit Kreativität noch weniger aus als gar nicht. Das ist keine Sünde. Schon wir, die wir Filme drehen, wissen fast nichts. Es ist keine exakte Wissenschaft, und jeder Film ist eine neue Erfahrung mit ganz eigenen Problemen. Man
folgt seinem Kopf, seiner Erfahrung, soweit die überhaupt hilfreich ist, vor allem aber folgt man seinem Gespür. Aber die Künstler tragen diese Unsicherheit in sich und wissen, dass sie nichts wissen. Die meisten der Finanzleute haben weder Ahnung noch Gespür, glauben aber oft, sie wüssten besser Bescheid als der Künstler. Sie verstümmeln und vernichten die unfertige Arbeit, versuchen sie mit allen Mitteln auf den Publikumsgeschmack zu trimmen, und am Ende kommt etwas raus, das zehnmal
schlechter ist, als wenn sie den Künstler in Ruhe gelassen hätten.«
Seine solide Erfolgsbilanz war angesichts der aufkommenden Blockbustermentalität dann doch zu mager.
Allen beschreibt die Motivation für seine Arbeitsbessenheit klar: Nicht Geld oder Preise. »Es geht um das Filmemachen selbst. Man verwirklicht eine Idee, haucht ihr Leben ein, und dann wacht man frühmorgens in Südfrankreich auf, wird von jemandem wie Emma Stone begrüßt und darf den ganzen Tag lang mit ihr arbeiten.«
Und wenn der Film dann zum Misserfolg wird, gibt Allen den coolen Desinteressierten: »Die niedrigen Besucherzahlen haben mich überrascht. Doch das Gute an einem Film ist, dass er ein Haufen Celluloid ist, also wirklich existiert, und so von denen, die ihn verpasst haben, später noch angesehen werden kann. Man kann ihn eines Tages als vernachlässigtes oder missverstandenes Meisterwerk bejubeln. Mir ist das natürlich nie passiert.«
Wer Allens Filme kennt, weiß um seine Liebe zu Ingmar Bergman. Wie ein Bergman Ehe-Melo und Selbstzerfleischungsdrama muss ihm sein Privatleben vorkommen. Er trägt es mit Fassung (oder Kälte?) und gießt es nun in ein sehr unterhaltsam geschriebenes Buch mit einer Menge Smalltalk und Namedropping, bei dem auch nicht fehlt, mit welchen Schauspielerinnen Allen alles eine Affaire hatte. Dann wieder selbstironisch: Er spricht von der eigenen »größenwahnsinnigen Demenz« und folgert: »Nachdem ich bewiesen hatte, dass ich nicht Tschechow bin, schickte ich mich an zu beweisen, dass ich auch nicht Bergman war.«
Woody Allen, Ganz nebenbei. Rowohlt Verlag, 2020. 25€ (Hardcover)