26.03.2020

»Innenleben. Okay, netter Versuch.«

Woody Allens Biographie
Betont bescheiden: Woody Allens Autobiographie
(Foto: Rowohlt-Verlag)

Selbstkritik & Pessimismus: Woody Allens Autobiographie und der lange Schatten der Vorwürfe

Von Rüdiger Suchsland

Schon im Vorfeld hat die angekün­digte Auto­bio­gra­phie des New Yorker Regis­seurs Woody Allen für einige Unruhe gesorgt: Es gab Streit, Proteste, und sogar eine kleine Feuil­le­ton­de­batte um Fragen der Meinungs­frei­heit. Denn den unbe­strit­tenen Quali­täten und Verdiensten dieses Regis­seurs, seinen sprit­zigen, eleganten Komödien und den vielen Preisen, die der heute 84-Jährige in den letzten Jahr­zehnten gewann, stehen nach wie vor unge­klärte Vorwürfe entgegen: Woody Allen habe seine Adop­tiv­tochter Dylan miss­braucht, sagen seine Ankläger, unter anderem Ronan Farrow, einer seiner Söhne.
An den Vorwürfen sei nichts dran, dies seien Legenden in dem schmut­zigen Tren­nungs­krieg von seiner Ex-Frau Mia Farrow vor 28 Jahren, sagen seine Vertei­diger, auch unter ihnen ist mit Moses Farrow ebenfalls einer von Allens Söhnen. Auf seinem Blog charak­te­ri­siert er seine Mutter Mia als intri­gante, mani­pu­la­tive Verrückte.

Auch wenn diese Vorwürfe inhalt­lich nach wie vor völlig unbelegt sind, sorgten sie dafür, dass die Auto­bio­gra­phie mit dem Titel »A Propos of Nothing« in den USA zunächst nicht erscheinen konnte: Mitar­beiter des Hachette-Verlags hatten, ange­sta­chelt von Ronan Farrow, ebenfalls Hachette-Autor, gegen die geplante Veröf­fent­li­chung protes­tiert, und der Verlag die Rechte daraufhin zurück­ge­geben.

Auch in Deutsch­land hatte es nach der angekün­digten Veröf­fent­li­chung im Rowohlt-Verlag verein­zelt medi­en­wirk­same Proteste gegeben – aller­dings nicht von Mitar­bei­tern des Rowohlt-Verlags, sondern von einer Handvoll Autoren, angeführt von der Kolum­nistin Margarete Stokowski.

Am Montag ist »A Propos of Nothing« nun doch in den USA heraus­ge­kommen, bei einem anderen Verlag. Und ab diesem Mittwoch ist das Buch auch in Deutsch­land erhält­lich, zunächst nur als E-Book, ab Samstag auch in Druckform. Der Rowohlt-Verlag hatte den ursprüng­li­chen April-Termin um mehr als eine Woche vorge­schoben.

Offen­sicht­lich ging es hier darum, schnell nach­zu­ziehen, und auch darum, eine erneute längere Debatte zu vermeiden, bei der nicht das Buch oder der Filme­ma­cher Woody Allen im Mittel­punkt gestanden hätte, sondern die, wie gesagt, komplett unbe­legten Vorwürfe.

Nun kann sich jeder selbst ein Bild machen: »Ganz nebenbei«, die jetzt erschie­nene Auto­bio­gra­phie des Regis­seurs Woody Allen ist ein bisschen holprig und stel­len­weise schwach übersetzt, inhalt­lich aber eine spannende, facet­ten­reiche und, nicht zuletzt durch viel Klatsch sehr kurz­wei­lige Reise durch über 70 Jahre Film­ge­schichte, durch das links­li­be­rale Amerika und die jüdisch-ameri­ka­ni­sche Kultur.

Was steht nun in diesem Buch? Man muss sich fragen, ob Woody Allen nach dieser ganzen Vorge­schichte überhaupt noch »ganz normale« Memoiren schreiben kann? Kaum über­ra­schend geht er in dem Buch auf die Vorwürfe seiner Ex-Freundin und »die Metzelei napo­leo­ni­schen Ausmaßes« ein.

Kaum über­ra­schend auch vertei­digt er sich, und weist den Vorwurf, er habe seine Tochter sexuell miss­braucht, in ruhigen Worten, und mit Argu­menten, aber inhalt­lich unmiss­ver­s­tänd­lich zurück. Er versucht eine offene, vermit­telnde Position einzu­nehmen, ist aber auch erkennbar getroffen. Allen argu­men­tiert, Farrow habe sich den Miss­brauch ausge­dacht, um ihn im Sorge­rechts­pro­zess um die drei gemein­samen Kinder zu diskre­di­tieren.

So geht es tatsäch­lich schon zu einem Teil um die Beziehung zu Mia Farrow, was ihr voranging und was folgte. Aber tatsäch­lich nicht zu einem großen Teil. Denn im Zentrum stehen Filme und Allens Verhältnis zum Kino. Farrow taucht zwar einmal auf Seite 27 auf, dann erst etwa 100 Seiten später wieder, »zu diesem ganzen Schla­massel kommen wir später« heißt es mehr als einmal, und erst nach über 240 Seiten geht es dann erstmals ausführ­li­cher um beider Beziehung, die beide für den Rest ihres Lebens zumindest öffent­lich gezeichnet hat.

Es ist nicht leicht, zu abstra­hieren. Was in anderem Zusam­men­hang einfach als bissige Beschrei­bung einer Ex-Beziehung durch­ge­gangen wäre, liest man hier auch als Plädoyer in eigener Sache: »Wir kamen aus völlig verschie­denen Welten. Ich war in einer jüdischen Familie der unteren Mittel­schicht aufge­wachsen. Meine Eltern, Cousins, Tanten und Onkel hatten zwar ihre Macken und Konflikte, doch die hielten sich im Rahmen. Keine Gewalt, keine Schei­dungen, kein Selbst­mord, keine Drogen und kein Alkohol. Nur ein bisschen Nörgelei und Geschimpfe wegen Geld oder weil der Chirurg nicht genug von Ruthies Nase wegge­schnip­pelt hatte, viel­leicht wäre der Typ, der bei Russ and Daughters den Fisch schneidet, doch die bessere Wahl gewesen. Mias Familie hingegen bot eine Galerie extrem bedenk­li­cher Verhal­tens­auf­fäl­lig­keiten, und in den Jahren unserer Beziehung wurde es immer schlimmer. Alkohol und massive Drogen­pro­bleme bei den Geschwis­tern, Krimi­na­lität und Vorstrafen, Selbst­mord, Zwangs­ein­wei­sung, und irgend­wann wanderte ein Bruder wegen Kindes­miss­brauchs ins Gefängnis. Jedes Mitglied der Familie Farrow hatte seinen eigenen Schaden, sie deckten das gesamte Spektrum ab, vom klas­si­schen grie­chi­schen Theater bis ›Lost Weekend‹, außer Mia; so schien es jeden­falls. Mia schlich auf Zehen­spitzen durch das Minenfeld des Wahnsinns und ging am Ende als reizende, leis­tungs­fähige, liebens­werte und unbe­scha­dete Person daraus hervor. Das fand ich erstaun­lich. Doch sie war nicht unbe­schadet, und es hätte mir früher auffallen sollen.«

Mit vers­tänd­li­cher Empfind­lich­keit reagiert Allen auf alle Vorwürfe, die ihn in die Nähe von »#MeToo« rücken sollen. Er rechnet den Lesern vor, dass er in über 50 Jahren im Film­ge­schäft, und über 50 Filmen, in denen er mit Hunderten von Schau­spie­le­rinnen zusam­men­ge­ar­beitet hat, es »auf einhun­dert­sechs weibliche Haupt­rollen und zwei­und­sechzig Preis­no­mi­nie­rungen für Schau­spie­le­rinnen gebracht« habe, »und ich habe mich keiner einzigen gegenüber auch nur das kleinste bisschen ungehörig verhalten. Und auch keiner der Statis­tinnen gegenüber. Oder der Doubles. Seit ich nicht mehr an ein Studio gebunden bin, habe ich außerdem zwei­hun­dert­dreißig Frauen als leitende Crew­mit­glieder hinter der Kamera beschäf­tigt, ganz zu schweigen von Cutte­rinnen und Produ­zen­tinnen.« Und er habe ihnen immer exakt das Gleiche gezahlt wie den Männern in seinen Filmen.

»Das Positive ist, dass ich unter dem Einfluss von Bergman und Williams eine ganze Menge Frau­en­rollen geschrieben habe, darunter auch ein paar ziemlich saftige. Für einen Kerl, der von #MeToo-Fana­ti­kern ordent­lich sein Fett wegge­kriegt hat, kann sich meine Bilanz für das andere Geschlecht durchaus sehen lassen.«

Etwas zu lässig, so denkt man manchmal, ist viel­leicht der Tonfall. Etwa hier: »Und wie ging es mir mit all dem? Warum habe ich nach Angriffen auf mich nur selten das Wort ergriffen oder bin nur selten aus der Haut gefahren? Nun ja, was bedeutet ange­sichts des feind­se­ligen Chaos eines ziel- und planlosen Univer­sums schon so eine kleine falsche Anschul­di­gung? Und zweitens hat es durchaus sein Gutes, wenn man ein Misan­throp ist: Die Menschen können einen niemals enttäu­schen.
Zu guter Letzt hat man als Unschul­diger eine ganz andere Perspek­tive als jemand, der so etwas als Schul­diger durch­macht. Man frohlockt, wenn jemand genauer hinsieht und Ermitt­lungen anstellt, statt sich davor zu fürchten, denn man hat ja nichts zu verbergen. Man macht liebend gern einen Lügen­de­tek­tor­test, statt sich davor zu drücken.«

Zugleich ist dies ein Buch, das von selbst­iro­ni­schen Bemer­kungen und pessi­mis­ti­scher Eleganz durch­tränkt ist: Über Melinda und Melinda schreibt er recht treffend: »Der Film war okay, weder toll noch grot­ten­schlecht.« Und redet offen über seine Schwie­rig­keiten, weil ihm in den sich wandelnden US-Film-Verhält­nissen die Geldgeber ausgingen, »weil meine Filme nicht viel abwarfen, ich aber in Sachen künst­le­ri­scher Kontrolle so anspruchs­voll blieb, als wäre ich Toscanini. Das schreckte selbst Studios ab, die eigent­lich gern mit mir zusam­men­ar­beiten wollten.«

Allens Stolz und Eitelkeit verste­cken sich hinter verschmitzter Beschei­den­heit: »Ich feiere auch den einen oder anderen Erfolg. Aber was bedeutet das schon, wenn man sich danach sehnt, künst­le­risch auf Augenhöhe mit Aischylos, O’Neill, Strind­berg und Tennessee Williams zu sein.« Sein erster Versuch eines filmi­schen Dramas war von Bergman beein­flusst. Allen träume von Filmen wie Das siebente Siegel und Wilde Erdbeeren – »ich dilet­tierte statt­dessen mit Der Schläfer, Die letzte Nacht des Boris Gruschenko und Der Stadt­neu­ro­tiker. Viel­leicht ganz amüsant, aber eigent­lich will ich woan­dershin. Innen­leben. Okay, netter Versuch. Kein Film, der ohne Ansprüche daher­kommt, aber eben auch nichts für die Prime Time«.

Zutref­fende Urteile über die Verant­wort­li­chen in den Studios, die jeder Film­schaf­fende auch in Deutsch­land in Bezug auf alle Förderer, viele Fern­seh­re­dak­teure und manche Produ­zenten sofort unter­schreiben würde: »Diese Krawat­ten­träger, kennen sich mit Krea­ti­vität noch weniger aus als gar nicht. Das ist keine Sünde. Schon wir, die wir Filme drehen, wissen fast nichts. Es ist keine exakte Wissen­schaft, und jeder Film ist eine neue Erfahrung mit ganz eigenen Problemen. Man folgt seinem Kopf, seiner Erfahrung, soweit die überhaupt hilfreich ist, vor allem aber folgt man seinem Gespür. Aber die Künstler tragen diese Unsi­cher­heit in sich und wissen, dass sie nichts wissen. Die meisten der Finanz­leute haben weder Ahnung noch Gespür, glauben aber oft, sie wüssten besser Bescheid als der Künstler. Sie vers­tüm­meln und vernichten die unfertige Arbeit, versuchen sie mit allen Mitteln auf den Publi­kums­ge­schmack zu trimmen, und am Ende kommt etwas raus, das zehnmal schlechter ist, als wenn sie den Künstler in Ruhe gelassen hätten.«
Seine solide Erfolgs­bi­lanz war ange­sichts der aufkom­menden Block­bus­ter­men­ta­lität dann doch zu mager.

Allen beschreibt die Moti­va­tion für seine Arbeits­bes­sen­heit klar: Nicht Geld oder Preise. »Es geht um das Filme­ma­chen selbst. Man verwirk­licht eine Idee, haucht ihr Leben ein, und dann wacht man früh­mor­gens in Südfrank­reich auf, wird von jemandem wie Emma Stone begrüßt und darf den ganzen Tag lang mit ihr arbeiten.«

Und wenn der Film dann zum Miss­erfolg wird, gibt Allen den coolen Desin­ter­es­sierten: »Die niedrigen Besu­cher­zahlen haben mich über­rascht. Doch das Gute an einem Film ist, dass er ein Haufen Celluloid ist, also wirklich existiert, und so von denen, die ihn verpasst haben, später noch angesehen werden kann. Man kann ihn eines Tages als vernach­läs­sigtes oder miss­ver­stan­denes Meis­ter­werk bejubeln. Mir ist das natürlich nie passiert.«

Wer Allens Filme kennt, weiß um seine Liebe zu Ingmar Bergman. Wie ein Bergman Ehe-Melo und Selbst­zer­flei­schungs­drama muss ihm sein Privat­leben vorkommen. Er trägt es mit Fassung (oder Kälte?) und gießt es nun in ein sehr unter­haltsam geschrie­benes Buch mit einer Menge Smalltalk und Name­drop­ping, bei dem auch nicht fehlt, mit welchen Schau­spie­le­rinnen Allen alles eine Affaire hatte. Dann wieder selbst­iro­nisch: Er spricht von der eigenen »größen­wahn­sin­nigen Demenz« und folgert: »Nachdem ich bewiesen hatte, dass ich nicht Tschechow bin, schickte ich mich an zu beweisen, dass ich auch nicht Bergman war.«

Woody Allen, Ganz nebenbei. Rowohlt Verlag, 2020. 25€ (Hardcover)