16.11.2017

Soll man TULPENFIEBER verbieten?

Jules und Jim
»Die Frau von artechock« – eine neue artechock-Kolumne aus weiblicher Sicht. Starring: Dunja Bialas

»Die Frau von artechock« zur aktuellen Sexismusdebatte

Von Dunja Bialas

Beginnen wir anek­do­tisch. Ob ich mich jetzt nicht auch mal zum »PingPong« zwischen »artechock«-Autor Rüdiger Suchsland und der femi­nis­ti­schen Film­kri­ti­kerin Sophie Charlotte Rieger äußern möchte?, wurde ich letzte Woche von Kollege Dennis Vetter gefragt. Ich antwor­tete ihm, die Weinstein-Debatte sei nicht meine Debatte. Und hielt es damit für erledigt. Jetzt kamen wieder Fragen auf: Was sagst du dazu, nicht zuletzt als »Frau von artechock«? Also gut, so ganz kann ich hier wohl nicht hindurch­tau­chen, schließ­lich bin ich verant­wort­liche Redak­teurin des Magazins, das die latent oder offen sexis­ti­schen Texte von Suchsland zur Weinstein-Debatte veröf­fent­licht hat. Dies ist zwar nicht meine Debatte, aber darf ich deshalb die Debatte anderen über­lassen?

Zunächst kann ich sagen, dass ich Sophie Charlotte Riegers Reaktion auf Suchs­lands Text »Mein Freund Harvey« (26.10.) sehr begrüße. Ihren Antwort­text »#Nicht­mein­freund Harvey – Eine Replik«, den sie auf ihrem eigenen Filmblog »Filmlöwin« veröf­fent­licht hat, habe ich mit großem Genuss und viel Gewinn gelesen. Eine erhel­lende Text­ana­lyse, in der sie auf die misogynen Stereo­typen von Suchsland hinweist und seine anti-femi­nis­ti­schen und sexis­ti­schen Abwehr­re­flexe bloßlegt, mit denen dieser versucht, den Miss­brauchsskandal von Hollywood klein­zu­reden. Insgesamt jedoch räumt sie, so finde ich, Suchsland eine viel zu große Aufmerk­sam­keit ein und begibt sich damit in eine unter­le­gene Position. Zumal doch klar ist, was dann kommen musste und auch kam: Suchsland ließ dies nicht auf sich sitzen und konterte über­ra­schend mit Bedacht. Und hatte damit das letzte Wort, was nicht zu unter­schätzen ist, will man sich überlegen fühlen.

Ist das aber jetzt schon eine Debatte? Oder nur eine Ausein­an­der­set­zung zwischen zwei streit­baren, aber auch streit­lus­tigen Film­kri­tiker*innen, die beide, wenn man sie ein bisschen kennt, wiederum selbst durch­schaubar sind: Rüdiger Suchsland ist ein Sophist, der es liebt, dagegen zu reden, wenn sich Konsens auftut. In der 164. Folge seiner Kolumne »Cinema Moralia« legt er seine Karten offen auf den Tisch: »Provo­ka­tion ist für diesen Blog wichtiger als Political Correct­ness. Aber keines­wegs Provo­ka­tion um der Provo­ka­tion Willen. Es geht darum, das Ungesagte zum Sprechen zu bringen, Minder­heits­mei­nungen und dissi­dente Posi­tionen zu Gehör zu bringen, nach­zu­fragen, wo sich alle einig sind. Ich schätze Parti­sanen, die Front­li­nien nach beiden Seiten über­schreiten.«

Auf der anderen Seite Sophie Charlotte Rieger, die sich auf das Frau­en­thema spezia­li­siert hat, und sich zu Filmen meist aus femi­nis­ti­scher Warte äußert. Jetzt hat sie sich in den sozialen Medien darüber beklagt, dass die Agentur »Crew United« die Suchsland-Replik geteilt hat, ohne ihren eigenen Text zu verlinken. Und hat selbst wiederum den Crew-United-Post mit dem Kommentar geteilt: »So läuft das in den deutschen Medien. Rüdiger Suchs­lands Antwort-Text wird unter Applaus gleich noch mal dupli­ziert, mein Aufschrei gegen Sexismus und Misogynie im Film­jour­na­lismus verkommt zur Referenz.« Dazu eine Offen­le­gung: Die »artechock«-Kolumne »Cinema Moralia« wurde vor ein paar Jahren von Crew United zur Zweit­ver­öf­fent­li­chung abonniert. Besser wäre auch gewesen, Rieger hätte ihre Empörung direkt bei Crew United gepostet, dann hätte sie die Adres­saten gleich erreicht.

Als artechock-Text­re­dak­teurin möchte ich betonen, dass die Meinung unserer Autoren niemals Redak­ti­ons­mei­nung darstellt, es generell keine »Redak­ti­ons­mei­nung« gibt. Unser Lieb­lings­format ist die Pro-und-Contra-Kritik, wie diese Woche im Zusam­men­hang mit Fikke­fuchs nach­zu­lesen. Wir wollen damit unsere Lese­rinnen und Leser nicht vor eine mono­li­thi­sche Meinung setzen, sondern ihnen Denk­an­s­töße und Sicht­weisen geben, zu denen sie selbst Position beziehen können.

Sehr erfri­schend inmitten der ganzen Aufregung fand ich Pro-Quote-Begrün­derin Tatjana Turanskyj, die mich schon öfter mit ihren nicht erwart­baren Äuße­rungen über­rascht hat. Anstatt also wie Rieger die Casting-Couch-Debatte für ihre Zwecke zu verein­nahmen, zeigt sie der Debatte auf Facebook die rote Karte: »Mich kotzt DAS an! VIELE TUN SO als wüßten sie erst seit gestern, dass ALLE, ja ALLE FRAUEN* überall an allen Arbeits­plätzen, auf dem Nach­hau­seweg, in der U-Bahn, in Clubs, vor allem ZUHAUSE – von sexua­li­sierten Über­griffen und Gewalt betroffen sind. DAS kotzt mich noch viel mehr an. Und nein, ich habe keine STORY für DICH, FACEBOOK.«

Dies ist nicht unsere Debatte. Sie wird von einer Ökonomie der Aufmerk­sam­keit diktiert, die immer neue Stra­te­gien braucht, um Klicks zu gene­rieren oder die Auflage zu erhöhen. Weinstein wurde aus der Akademie ausge­schlossen – ein wichtiges Zeichen. Es musste aber weiter­gehen, der Faden der Empörung durfte nicht abreißen. Nächstes Stufe war die Parti­zi­pa­tion, die Invol­vie­rung von vielen. Also: #MeToo. Nina Proll postete unter #not me: »Warum bestehen eigent­lich immer die Femi­nis­tinnen darauf, dass Frauen Opfer sind? Das verstehe ich nicht. Ich bin seit 20 Jahren in diesem Beruf tätig, und ich schwöre, ich bin dabei noch nie von einem Mann sexuell belästigt worden. Weder von einem mächtigen noch von einem ohnmäch­tigen.« Und zog damit einen Shitstorm auf sich, sekun­diert von verbaler Facebook-Anzüg­lich­keit: »Ich gebe ihnen völlig Recht, liebe Frau Proll, denn die meisten Frauen sind auf Sie so oder so nur neidig, weil Sie gut aussehen und eine andere Einstel­lung zur Sexua­lität haben.« Liebe Sophie, liebe Tatjana, ihr habt ja beide so recht.

Dann wurde bekannt, dass Kevin Spacey aus Ridley Scotts Alles Geld der Welt heraus­ge­schnitten wird und seine Para­de­rolle des fiesen Poli­ti­kers in der White-House-Serie »House of Cards« verliert, die doch gerade deshalb so toll war, weil er so unkorrekt handelte. Man konnte sich einbilden, Donald Trump direkt in die Karten zu gucken. Der Abschuss von Kevin Spacey kommt einem Berufs­verbot gleich. Die ganze sexua­li­sierte Aufregung und die Gefahr, sein Metier zu verlieren, erinnert in den hyste­risch werdenden Ausfor­mungen an die McCarthy-Ära und die Verfol­gung von Hollywood-Akteuren wegen »anti-ameri­ka­ni­scher Umtriebe«.

Vergessen wir nicht: Aus Ekel vor einem Präsi­denten wie Donald Trump hat sich die Sensi­bi­lität gegenüber sexueller Anzüg­lich­keit verschärft. Die Akademie hat ihm bei der Oscar-Verlei­hung mit guten State­ments Contra gegeben. Jetzt aber scheinen die Mittel zu entgleiten. Sie lassen die Donald-Trump-Ära unver­mutet zu einer Zeit rigider Moral­po­litik werden.

Es braucht eine positive Politik. Eine, die versucht, Maß zu halten, auf Augenhöhe zu handeln und Dinge konstruktiv zu verbes­sern. Nicht eine, die vernichtet und uns tatsäch­lich irgend­wann das alltäg­liche Mitein­ander erschwert. Und allen, jedem und jeder, sollte bewusst sein: Macht­miss­brauch, der sich in Diskri­mi­nie­rung und Zwangs­lagen äußert, gibt es allent­halben. Nicht nur im Geschlech­ter­kampf. Race-Class-Gender lautet der ernüch­ternde Dreiklang der Unter­drü­ckung. Viel­leicht sollte man noch einen Akkord hinzu­fügen: Age.

Vergessen wir bei alldem nicht: Es gilt die Freiheit der Kunst. Eine Ineins­set­zung von Werk und Autor, der im Zuge des öffent­li­chen Inter­esses an »perso­na­lity« immer mehr das Wort geredet wird, ist eine bequeme Abkürzung, damit man sich nicht mit dem Werk auf ästhe­ti­scher Ebene ausein­an­der­setzen muss. Kevin Spacey ist viel­leicht schwanz­ge­steuert: aber ein toller Schau­spieler. Weinstein ist ein ekliger Typ: der außerdem wenige gute und viele schreck­liche Filme produ­ziert hat.
Apropos: Wie wäre es eigent­lich damit, Tulpen­fieber zu verbieten?