Soll man TULPENFIEBER verbieten? |
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»Die Frau von artechock« – eine neue artechock-Kolumne aus weiblicher Sicht. Starring: Dunja Bialas |
Von Dunja Bialas
Beginnen wir anekdotisch. Ob ich mich jetzt nicht auch mal zum »PingPong« zwischen »artechock«-Autor Rüdiger Suchsland und der feministischen Filmkritikerin Sophie Charlotte Rieger äußern möchte?, wurde ich letzte Woche von Kollege Dennis Vetter gefragt. Ich antwortete ihm, die Weinstein-Debatte sei nicht meine Debatte. Und hielt es damit für erledigt. Jetzt kamen wieder Fragen auf: Was sagst du dazu, nicht zuletzt als »Frau von artechock«? Also gut, so ganz kann ich hier wohl nicht hindurchtauchen, schließlich bin ich verantwortliche Redakteurin des Magazins, das die latent oder offen sexistischen Texte von Suchsland zur Weinstein-Debatte veröffentlicht hat. Dies ist zwar nicht meine Debatte, aber darf ich deshalb die Debatte anderen überlassen?
Zunächst kann ich sagen, dass ich Sophie Charlotte Riegers Reaktion auf Suchslands Text »Mein Freund Harvey« (26.10.) sehr begrüße. Ihren Antworttext »#Nichtmeinfreund Harvey – Eine Replik«, den sie auf ihrem eigenen Filmblog »Filmlöwin« veröffentlicht hat, habe ich mit großem Genuss und viel Gewinn gelesen. Eine erhellende Textanalyse, in der sie auf die misogynen Stereotypen von Suchsland hinweist und seine anti-feministischen und sexistischen Abwehrreflexe bloßlegt, mit denen dieser versucht, den Missbrauchsskandal von Hollywood kleinzureden. Insgesamt jedoch räumt sie, so finde ich, Suchsland eine viel zu große Aufmerksamkeit ein und begibt sich damit in eine unterlegene Position. Zumal doch klar ist, was dann kommen musste und auch kam: Suchsland ließ dies nicht auf sich sitzen und konterte überraschend mit Bedacht. Und hatte damit das letzte Wort, was nicht zu unterschätzen ist, will man sich überlegen fühlen.
Ist das aber jetzt schon eine Debatte? Oder nur eine Auseinandersetzung zwischen zwei streitbaren, aber auch streitlustigen Filmkritiker*innen, die beide, wenn man sie ein bisschen kennt, wiederum selbst durchschaubar sind: Rüdiger Suchsland ist ein Sophist, der es liebt, dagegen zu reden, wenn sich Konsens auftut. In der 164. Folge seiner Kolumne »Cinema Moralia« legt er seine Karten offen auf den Tisch: »Provokation ist für diesen Blog wichtiger als Political Correctness. Aber keineswegs Provokation um der Provokation Willen. Es geht darum, das Ungesagte zum Sprechen zu bringen, Minderheitsmeinungen und dissidente Positionen zu Gehör zu bringen, nachzufragen, wo sich alle einig sind. Ich schätze Partisanen, die Frontlinien nach beiden Seiten überschreiten.«
Auf der anderen Seite Sophie Charlotte Rieger, die sich auf das Frauenthema spezialisiert hat, und sich zu Filmen meist aus feministischer Warte äußert. Jetzt hat sie sich in den sozialen Medien darüber beklagt, dass die Agentur »Crew United« die Suchsland-Replik geteilt hat, ohne ihren eigenen Text zu verlinken. Und hat selbst wiederum den Crew-United-Post mit dem Kommentar geteilt: »So läuft das in den deutschen Medien. Rüdiger Suchslands Antwort-Text wird unter Applaus gleich noch mal dupliziert, mein Aufschrei gegen Sexismus und Misogynie im Filmjournalismus verkommt zur Referenz.« Dazu eine Offenlegung: Die »artechock«-Kolumne »Cinema Moralia« wurde vor ein paar Jahren von Crew United zur Zweitveröffentlichung abonniert. Besser wäre auch gewesen, Rieger hätte ihre Empörung direkt bei Crew United gepostet, dann hätte sie die Adressaten gleich erreicht.
Als artechock-Textredakteurin möchte ich betonen, dass die Meinung unserer Autoren niemals Redaktionsmeinung darstellt, es generell keine »Redaktionsmeinung« gibt. Unser Lieblingsformat ist die Pro-und-Contra-Kritik, wie diese Woche im Zusammenhang mit Fikkefuchs nachzulesen. Wir wollen damit unsere Leserinnen und Leser nicht vor eine monolithische Meinung setzen, sondern ihnen Denkanstöße und Sichtweisen geben, zu denen sie selbst Position beziehen können.
Sehr erfrischend inmitten der ganzen Aufregung fand ich Pro-Quote-Begründerin Tatjana Turanskyj, die mich schon öfter mit ihren nicht erwartbaren Äußerungen überrascht hat. Anstatt also wie Rieger die Casting-Couch-Debatte für ihre Zwecke zu vereinnahmen, zeigt sie der Debatte auf Facebook die rote Karte: »Mich kotzt DAS an! VIELE TUN SO als wüßten sie erst seit gestern, dass ALLE, ja ALLE FRAUEN* überall an allen Arbeitsplätzen, auf dem Nachhauseweg, in der U-Bahn, in Clubs, vor allem ZUHAUSE – von sexualisierten Übergriffen und Gewalt betroffen sind. DAS kotzt mich noch viel mehr an. Und nein, ich habe keine STORY für DICH, FACEBOOK.«
Dies ist nicht unsere Debatte. Sie wird von einer Ökonomie der Aufmerksamkeit diktiert, die immer neue Strategien braucht, um Klicks zu generieren oder die Auflage zu erhöhen. Weinstein wurde aus der Akademie ausgeschlossen – ein wichtiges Zeichen. Es musste aber weitergehen, der Faden der Empörung durfte nicht abreißen. Nächstes Stufe war die Partizipation, die Involvierung von vielen. Also: #MeToo. Nina Proll postete unter #not me: »Warum bestehen eigentlich immer die Feministinnen darauf, dass Frauen Opfer sind? Das verstehe ich nicht. Ich bin seit 20 Jahren in diesem Beruf tätig, und ich schwöre, ich bin dabei noch nie von einem Mann sexuell belästigt worden. Weder von einem mächtigen noch von einem ohnmächtigen.« Und zog damit einen Shitstorm auf sich, sekundiert von verbaler Facebook-Anzüglichkeit: »Ich gebe ihnen völlig Recht, liebe Frau Proll, denn die meisten Frauen sind auf Sie so oder so nur neidig, weil Sie gut aussehen und eine andere Einstellung zur Sexualität haben.« Liebe Sophie, liebe Tatjana, ihr habt ja beide so recht.
Dann wurde bekannt, dass Kevin Spacey aus Ridley Scotts Alles Geld der Welt herausgeschnitten wird und seine Paraderolle des fiesen Politikers in der White-House-Serie »House of Cards« verliert, die doch gerade deshalb so toll war, weil er so unkorrekt handelte. Man konnte sich einbilden, Donald Trump direkt in die Karten zu gucken. Der Abschuss von Kevin Spacey kommt einem Berufsverbot gleich. Die ganze sexualisierte Aufregung und die Gefahr, sein Metier zu verlieren, erinnert in den hysterisch werdenden Ausformungen an die McCarthy-Ära und die Verfolgung von Hollywood-Akteuren wegen »anti-amerikanischer Umtriebe«.
Vergessen wir nicht: Aus Ekel vor einem Präsidenten wie Donald Trump hat sich die Sensibilität gegenüber sexueller Anzüglichkeit verschärft. Die Akademie hat ihm bei der Oscar-Verleihung mit guten Statements Contra gegeben. Jetzt aber scheinen die Mittel zu entgleiten. Sie lassen die Donald-Trump-Ära unvermutet zu einer Zeit rigider Moralpolitik werden.
Es braucht eine positive Politik. Eine, die versucht, Maß zu halten, auf Augenhöhe zu handeln und Dinge konstruktiv zu verbessern. Nicht eine, die vernichtet und uns tatsächlich irgendwann das alltägliche Miteinander erschwert. Und allen, jedem und jeder, sollte bewusst sein: Machtmissbrauch, der sich in Diskriminierung und Zwangslagen äußert, gibt es allenthalben. Nicht nur im Geschlechterkampf. Race-Class-Gender lautet der ernüchternde Dreiklang der Unterdrückung. Vielleicht sollte man noch einen Akkord hinzufügen: Age.
Vergessen wir bei alldem nicht: Es gilt die Freiheit der Kunst. Eine Ineinssetzung von Werk und Autor, der im Zuge des öffentlichen Interesses an »personality« immer mehr das Wort geredet wird, ist eine bequeme Abkürzung, damit man sich nicht mit dem Werk auf ästhetischer Ebene auseinandersetzen muss. Kevin Spacey ist vielleicht schwanzgesteuert: aber ein toller Schauspieler. Weinstein ist ein ekliger Typ: der außerdem wenige gute und viele schreckliche Filme produziert
hat.
Apropos: Wie wäre es eigentlich damit, Tulpenfieber zu verbieten?