Geschlossene Gesellschaft |
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Ein Glücksfall: Daphne Scoccia in Fiore |
Von Elke Eckert
Die Filmauswahl spiegelt wie jedes Jahr den aktuellen Stand des italienischen Filmschaffens wider. Im Mittelpunkt der diesjährigen Filme steht das Fremde, das Anderssein, das häufig Angst und Unbehagen hervorruft und zu Vorurteilen und Ablehnung führt. Aber Andersartigkeit kann auch ein Wert sein, der uns hilft, das Fremde, aber auch uns selbst zu verstehen.
Daphne und Josh sind anders als viele Jugendliche in ihrem Alter, weil sie wegen Eigentumsdelikten im Gefängnis sitzen. Trotzdem sehnen sie sich nicht nur nach Freiheit, sondern wie viele Gleichaltrige auch nach Liebe. Weil die Jungs und Mädchen jedoch getrennt voneinander inhaftiert sind, bleibt den beiden nichts anderes übrig, als sich durch die Zellenfenster zuzulächeln und heimlich Briefe zu schmuggeln. Was völlig ausreicht, um ihre Zuneigung wie eine Blume (Fiore) aufblühen zu lassen… Claudio Giovannesi kombiniert in seinem dritten Spielfilm Fiktion mit Realität, seine jugendlichen Darsteller spielen sich selbst. Vor allem Daphne Scoccia erweist sich dabei mit einer berührenden Mischung aus Wut und Zerbrechlichkeit als Glücksfall. (Donnerstag, 5. Oktober, 18.15 Uhr und 20.30 Uhr)
Unzertrennlich (Indivisibili), im wahrsten Sinn es Wortes, sind die siamesischen Zwillinge Viola und Daisy. Die zwei 18-Jährigen sind an den Hüften zusammengewachsen und werden in ihrem Heimatort als Wunder verehrt. Diesen Umstand und das musikalische Talent der beiden nutzt ihr Vater gnadenlos aus und vermarktet seine Töchter als Attraktion für kirchliche Veranstaltungen und diverse andere Festivitäten. Als sich Viola verliebt und die Schwestern durch eine Operation voneinander getrennt werden wollen, sieht nicht nur der Herr Papa seine lukrativen Geschäfte in Gefahr. Hypnotisch und intensiv verhandelt Edoardo de Angelis komplexe Themen wie Identität und Individualität. Auch dank der außergewöhnlichen Präsenz seiner Hauptdarstellerinnen wurde das Drama, das beim bedeutendsten italienischen Filmpreis „David di Donatello“ in 17 Kategorien nominiert war, sechsmal ausgezeichnet. (Montag, 9. Oktober, 18.15 Uhr und 20.30 Uhr)
Lass dich gehen (Lasciati andare) – weil das für den verkopften und introvertierten Psychoanalytiker Elia nicht infrage kommt, er aber trotzdem Süßspeisen nur sehr schwer widerstehen kann, lässt er sich von seinem Arzt ins Fitness-Studio schicken. Der Körperkult, mit dem er es dort zu tun bekommt, ist Elia genauso fremd wie seine quirlige Trainerin Claudia, die Probleme aller Art geradezu magnetisch anzieht. Francesco Amato inszenierte die Begegnung eines ungleichen Pärchens im Stil amerikanischer Screwball-Komödien mit witzigen Wortgefechten und viel Situationskomik. (Samstag, 7. Oktober, 18.15 Uhr und 20.30 Uhr)
Was passieren kann, wenn sich Politiker ausschließlich der Wahrheit verpflichtet fühlen und sich rigoros an die Gesetze halten, erzählt die satirische Komödie Ab heute sind wir ehrlich (L’ora legale). Die Einwohner einer sizilianischen Kleinstadt haben die Faxen dicke und wählen ihren korrupten Bürgermeister ab. Stattdessen heben sie den politisch unerfahrenen Lehrer Natoli ins Amt, der alle seine Wahlversprechen einlöst und kompromisslos für Recht und Ordnung sorgt. Zu kompromisslos, wie bald viele seiner Bürger finden… Das Komikerduo Salvo Ficarra und Valentino Picone ist in Italien seit den 1990er-Jahren erfolgreich. Die beiden geben allen ihren Filmen als Autoren, Regisseure und Darsteller eine unverwechselbare Handschrift. Ihr neuestes Werk war der größte italienische Komödienerfolg im Jahr 2017. (Freitag, 6. Oktober und Sonntag, 8. Oktober, 18.15 Uhr und 20.30 Uhr)
Die Welt der anderen (La ragazza del Mondo) wirft einen Blick in die Parallelgesellschaft der Zeugen Jehovas. Giulia und ihre Familie leben streng nach deren Glaubenssätzen. Beim Anwerben neuer Mitglieder lernt das Mädchen den attraktiven Libero kennen, der gerade eine Haftstrafe abgesessen hat. Als er einen Job in der Werkstatt von Giulias Vater annimmt, verliebt sich die junge Frau in ihn und merkt plötzlich, wie eng und reglementiert ihr Leben ist. Marco Danielis Spielfilmdebüt besticht vor allem durch das mitreißende Spiel seiner beiden Jungstars, die in Venedig mit dem Pasinetti-Preis als beste Darsteller ausgezeichnet wurden. (Dienstag, 10. Oktober, 18.15 Uhr und 20.30 Uhr)
Auch Lorenzo, Witwer und Rechtsanwalt im Ruhestand, taucht gewissermaßen in die Welt der Anderen ein, als er seine neuen Nachbarn näher kennenlernt. Zu seinen Kindern hat der verschlossene und verbitterte Rentner nur sehr sporadisch Kontakt. Die Zärtlichkeit (La Tenerezza), die in der eigenen Familie abhanden gekommen ist, findet Lorenzo bei seinen neuen Wahlverwandten. Bis ein schreckliches Ereignis alles verändert… Der schwierige Dialog der Generationen und die Kraft und Zerbrechlichkeit von Gefühlen sind zentrale Themen für Regie-Altmeister Gianni Amelio, die er in seinen Filmen immer wieder aufgreift. (Mittwoch, 11. Oktober, 18.15 Uhr und 20.30 Uhr)
Alle Filme des Festivals werden im italienischen Original mit deutschen Untertiteln gezeigt.