02.03.2017

Verge­wal­ti­gung als Schauwert und Metapher

Elle, The Salesman
Stolz & Angst: Elle und The Salesman

Elle vs. The Salesman: Die gefeierten und jetzt auch preisgekrönten Filme instrumentalisieren die Frau für ihre Zwecke. Womöglich eine feministische, mehr aber: eine erstaunte Lektüre

Von Dunja Bialas

Meine erste Reaktion auf Elle kannte nur ein Wort: »disgus­ting« entfuhr es mir nach der Pres­se­vor­füh­rung. Sieben Verge­wal­ti­gungen lagen hinter mir, sieben Mal war ich körper­lich mitge­rissen, zu Boden geworfen worden. Sieben Mal hatte sich niemand für mich gewehrt, bis Vincent, Spiel-Sohn von Isabelle Huppert, dem Treiben ein Ende setzte, mit einem tödlichen Schlag auf den Kopf. Wumm.

Verhoevens Kino der Schau­werte

Die Verge­wal­ti­gungen der Michèle Leblanc, darge­stellt von Isabelle Huppert, derart körper­lich erfahrbar zu machen, zeigt die unbe­strit­tene insze­na­to­ri­sche Meis­ter­schaft von Paul Verhoeven, die jetzt mit dem César für den besten Film und für seine Darstel­lerin Isabelle Huppert die höchsten fran­zö­si­schen Weihen empfangen hat. Verhoevens Kino ist eines der großen Gesten, der eindeu­tigen Bilder und grellen Hand­lungen, ein Kino, dem man nicht entkommt. Es ist ein Kino der Schau­werte, das seine Darsteller ebenso zu Boden wirft wie seine Zuschauer. Unter der grandios insze­nierten Ober­fläche aber tun sich Abgründe auf. Verhoeven möchte, dass wir die Verge­wal­ti­gungen als Perver­sion der Haupt­figur erleben. Denn was, wie in vielen Kritiken geäußert, vermeint­lich die Eman­zi­pa­tion der Frau feiert, die sich in sado­ma­so­chis­ti­scher Manier frei­willig der Unter­wer­fung, dem Schmerz und dem Thrill der Angst aussetzt, ist in Wirk­lich­keit eine biedere Geschichte von der kind­heits­trau­ma­ti­sierten Figur, die ausglei­chend nur in der Perver­sion Lust empfinden kann. Verhoeven setzt die Backstory Wound der Verge­wal­tigten ein wie dies land­läufig die Gesell­schaft mit der »schwie­rigen Kindheit« der Verge­wal­tiger und anderer Täter tut. Die Verge­wal­tigte ist in keinster Weise frei; ihre Lust in Schmerz und Schrecken ist nicht frei gewählt, sondern erklärt sich durch das trau­ma­ti­sche Kind­heits­er­lebnis. Die Verge­wal­tigte ist damit mögli­cher­weise ebenso pervers wie der Verge­wal­tiger. Und auch wenn uns hier die Vorge­schichte des Aggres­sors erspart bleibt, genügen die kleinen Hinweise auf dessen fanatisch-religiöse (also lust­ab­ge­kehrte, devote, demütige) Ehefrau, um im Verge­wal­tiger den unfrei­willig trieb­ge­hemmten und also frus­trierten Aggressor auszu­ma­chen. Richard Brody hat über die Veran­ke­rung der Haupt­figur in der Backstory einen wohltuend wütenden Artikel verfasst:»The Phony Sexual Trans­gres­sions of Paul Verhoeven’s Elle« ist, soweit ich das über­blicke, die einzige kritische Gegen­stimme zum allent­halben gefei­erten Elle.

Verhoeven hat ein seltsames Bild vom Verhältnis der Geschlechter. Schon in Basic Instinct (1992) insze­nierte er die Frau als Perso­ni­fi­ka­tion der Vagina dentata. Wenn die mutmaß­liche Eispi­ckel­mör­derin im Verhör ihre endlosen Beine über­ein­an­der­schlägt und dabei zeigt, dass auch die Frau ihr Geschlechts­teil zwischen den Beinen trägt, klafft mit diesem auch Paul Verhoevens Ratlo­sig­keit gegenüber dem weib­li­chen Wesen auf. Die gierige Vagina ist, wie der weitere Hand­lungs­ver­lauf ausführt, Ursprung allen männ­li­chen Verder­bens. Immerhin darf die Frau hier noch handelndes Subjekt sein, was sich drei Jahre später mit Showgirls, von einer Fange­meinde als Kultfilm gefeiert, erledigt hat. Hier hat die Frau in ihrer Degra­die­rung zum Objekt, ja, Sexobjekt, jegliche Würde verloren. Von ihr bleiben hirnlose Körper, kreisende Hüften und der blanke Busen. Die Verweise auf die Stupi­dität der männlich domi­nierten Welt sind ange­sichts der Exploi­ta­tion des weib­li­chen Körpers geschenkt.

Eines muss man Verhoeven lassen: Die Besetzung mit Isabelle Huppert ist ein Genie­streich. Kaum eine andere Schau­spie­lerin verkör­pert wie sie zugleich Bour­geoisie und Autonomie, Verletz­bar­keit und dick­köp­figen Stolz, Gelang­weilt­sein und Aben­teu­er­lust. Sie steht da in nichts der Katze nach, die sie hochhält und deren Wehr­haf­tig­keit sie einfor­dert. Am Ende gehört jedoch die Wehr­haf­tig­keit wieder einem Mann – ihrem eigent­lich pussy­haften Sohn. Indem sie ihn zum schuldig werdenden Handelnden macht, überträgt die Verge­wal­tigte wiederum ihm ihr Ur-Trauma und macht sich in der Erlösung von ihrem Peiniger ein zweites Mal schuldig. Bei Verhoeven kommt die Frau eben nicht unge­schoren davon. Sie ist eine Erbschuld-Eva, da kann die Frau des Verge­wal­ti­gers so viel beten, wie sie will.

Farhadi: Verge­wal­ti­gung als Metapher

Im zweiten Verge­wal­ti­gungs­film dieser Tage, der jetzt mit dem Auslands-Oscar belohnte The Salesman von Asghar Farhadi, ist die Frau zu stiller Passi­vität verdammt. Auch hier gibt eine, wenn auch subtiler formu­lierte und nicht psycho­ana­ly­tisch gefasste Vorge­schichte die Richtung an. Das Wohnhaus droht wegen Bauar­beiten einzu­stürzen, daher muss das im bürger­li­chen Milieu ange­sie­delte Paar in eine schnell aufgetane Über­gangs­woh­nung ziehen – und erfährt damit nicht nur gesell­schaft­li­chen Abstieg, sondern auch tragische Nähe zur Hinter­las­sen­schaft einer Prosti­tu­ierten, Vormie­terin der neuen Wohnung. Der Iraner Farhadi formu­liert natürlich, anders als der Nieder­länder Verhoeven, den körper­li­chen Übergriff auf die Frau nicht aus (und lässt die Verge­wal­ti­gung unbe­stä­tigt als Andeutung über der Handlung schweben). Stell­ver­tre­tend werden para­dig­ma­ti­sche Momente von allzu großer körper­li­cher Nähe insze­niert. Sie zeigen eine Gesell­schaft am Rande der Hysterie, wenn der Ehemann der Frau, ein ehrbarer Lehrer, unter Verdacht gerät, eine ältere Frau in einem Mini-Bus belästigt zu haben.

Am Ende ist bei Farhadi nicht die ange­grif­fene Frau in ihrer körper­li­chen und psycho­so­zialen Inte­grität verletzt, es ist vielmehr der Mann, dessen Ehre durch die unsitt­liche Berührung seiner Frau auf dem Spiel steht. Entspre­chend nimmt auch hier der Mann in Rape-Revenge-Manier am Aggressor Rache, was wie in Elle – hier über­ra­schend – körper­lich ausge­tragen wird. Die Verge­wal­ti­gung der Frau dient Farhadi insgesamt als Anschau­ungs­ma­te­rial für eine dyspho­ri­sche Gesell­schafts­ana­lyse, bei der nicht nur die Wohn­bauten, sondern mit ihnen auch die bürger­li­chen Werte und die indi­vi­du­elle Liebe ins Wanken gerät. Die ange­grif­fene Frau wird zum Anlass für das größere gesell­schaft­liche Bild, auf das Farhadi abzielt.

Indem auch er die Frau für seine Zwecke instru­men­ta­li­siert und keinen Gegen­ent­wurf zum gesell­schaft­lich Kriti­sierten findet, bleibt der Film seltsam auf der Strecke. Auch wenn die Frau am Ende das größt­mög­liche Risiko, die Been­di­gung ihrer Ehe, auf sich nimmt, geschieht dies wiederum, um sie als Hüterin der mora­li­schen Werte auf das hohe gesell­schaft­liche Podest zu heben. Von dem herun­ter­ge­stoßen hätte sie womöglich ihr Recht, ebenfalls Prot­ago­nistin zu sein, endlich einfor­dern können.