Register ziehen wie noch nie: Hollywood 1952-1956 |
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Atemberaubendes Kino: This Is Cinerama. Werbeplakat von Alexander Leydenfrost |
Von Ulrich Mannes
In den frühen 50er Jahren litt die Filmwirtschaft nach Meinung vieler zeitgenössischer Kulturkritiker unter einer schweren Psychose, ausgelöst vom Siegeszug des Fernsehens. Als Heilmittel verschrieb sich die Branche einige pompöse Rezepturen, die da hießen: Stereophonie, Stereoskopie, CinemaScope, Cinerama, Todd-AO, VistaVison usw. Der Besuch eines Lichtspielhauses sollte wieder zum multisinnlichen Erlebnis werden, wie schon im neunzehnten Jahrhundert, als das Kino eine Jahrmarktsattraktion war und den Zuschauer »mit ausgebreiteten Armen umfasste«. Diese neuen, auf alten Spektakeln basierenden Techniken wurden von der Filmkritik eher mit Skepsis aufgenommen, da sie den Zuschauer mittels Leinwandkrümmung, 3D-Illusion und Mehrkanalton ins Geschehen gleichsam hineinziehen, und ihn als distanzierenden Betrachter erheblich einschränken. Wenn sich sowas wie Distanzverlust beim Zuschauer schon nicht vermeiden lasse, dann sollte das höchstens die Dramaturgie eines Films auslösen, aber niemals optische und akustische »Gimmicks«, hieß es. Und der Raumfilm, wie man den 3D-Film damals gerne nannte, war erst recht nicht satisfaktionsfähig, da er über das »Vulgärstadium der Natursimulation und Verblüffung« nicht hinauskam. Gleichwohl ist die Premiere des Promotionfilms This Is Cinerama (verantwortet vom King Kong-Regisseur Merian C. Cooper) am 30. September 1952 im extra dafür präparierten New Yorker Broadway Theatre als Sensation gefeiert worden. Der Film, der mit drei gleichzeitig laufenden 35mm-Projektoren gezeigt werden musste, konnte seine aufwendigen Produktionskosten nach einer zweijährigen Laufzeit wieder einspielen, so dass weitere Produktionen auf den Markt kamen, die später sogar in eigenen Cinerama-Kinos zu sehen waren.
Das Cinerama-Verfahren blieb aber tatsächlich aufs »Kino der Attraktionen« beschränkt. Welche Entwicklungen das Format durchgemacht und welchen Einfluß es auf das heutige Kino dennoch genommen hat, zeigt die Dokumentation Cinerama Adventure, die am morgigen Freitag zum Auftakt der Filmreihe »Kino wie noch nie: Hollywood 1952-1956« in Anwesenheit des Regisseurs David Strohmaier im Münchner Filmmuseum zu sehen ist. Das Programm bietet bis Ende Februar an sechs Wochenenden einen repräsentativen Querschnitt durch all die Innovationen der 50er Jahre. Und nicht wenige dieser Filme haben sich, entgegen mancher Prophezeiung, zu Klassikern gemausert. Das gilt selbst für den ersten Cinemascope-Film, The Robe von Henry Koster, ein Bibelfilm, der die Möglichkeiten des neuen Formats noch nicht ganz optimal ausgenützt hat und obendrein laut katholischem »Filmdienst« »für das Empfinden deutscher Christen zu monströs« geworden ist. Aber es dauerte nicht lange bis die Filmemacher das Scope-Format vielseitig zu nutzen wussten – für jedes Genre. Das gilt auf jeden Fall für die erste Cinemascope-Komödie How to Marry a Millionaire (mit einem musikalischen Vorspiel, das von einem Sinfonie-Orchester auf der Breitwand dargeboten wird), aber auch für Violent Sunday, ein Heist-Movie von Richard Fleischer, der in seiner weiteren Karriere noch viel mit den Bildformaten experimentiert hat. Ganz bestimmt gilt es für A Star Is Born von George Cukor, und natürlich auch für The Girl Can’t Help It von Frank Tashlin, der den Scope-Rahmen durch seine Comic-Einlagen gleichsam sprengt. Ein anderes innovatives Format kommt auch nicht zu kurz: das von der Paramount entwickelte VistaVision, das durch ein spezielles Aufnahme- und Kopierverfahren besonders feinkörnige 35mm-Bilder auf die Leinwand bringen konnte und auf dem sich John Ford (The Searchers) und Alfred Hitchcock (To Catch a Thief) ausprobieren durften.
Im Begleittext zur Retrospektive versichert Filmmuseumsleiter Stefan Drößler, dass die insgesamt siebzehn restaurierten Klassiker (zu denen natürlich auch 3D- und 70mm-Filme gehören) in der digitalen Version die damaligen Tonsysteme, Bildformate und Farbverfahren authentischer wiedergeben könnten, als es mit »ausgeblichenen Filmkopien, (…) verstümmelten, beschnittenen und oft schlecht kopierten Fassungen« möglich gewesen wäre. Zugleich räumt er ein, dass diese Simulation nicht ganz perfekt gelingen kann, da sie in Bezug auf die Situation der Aufführung (d.i. der Kinosaal) nicht mehr möglich ist. Aber bestimmt ist das auch nur eine Frage der Zeit, bis das luxuriöse Ambiente eines 50er Jahre 1000-Plätze-Kinosaals ergänzend simuliert werden kann.
Kino wie noch nie: Hollywood 1952-1956
6.1. bis 19.2.2017. Filmmuseum München, St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München.