Die Spitze des Eisberges |
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Eindrücklicher Episodenfilm: Stories of Our Lives |
Von Axel Timo Purr
Das afrikanische Kino boomt. 2009 überholte Nollywood, das Synonym für die nigerianische Filmindustrie, Hollywood und etablierte sich nach Indiens Bollywood als zweitgrößte Filmnation der Welt. Die 2014 erstmals für den Filmsektor von der nigerianischen Regierung veröffentlichten Wirtschaftszahlen erhärten diese Entwicklung: Nollywood ist mit einem Umsatz von 3,3 Milliarden US Dollar und allein 2013 mit 1844 produzierten Filmen ein wirtschaftliches Schwergewicht, nicht nur nach nigerianischen Richtlinien. Dass diese Entwicklung nicht nur national bzw. auf den afrikanischen Kontinent beschränkt ist, zeigen andere Entwicklungen: Anfang 2015 vereinbarte Nollywood-Produzent Kunle Afolyan mit Netflix, dass sein neuester Film October 1 auch auf Netflix gezeigt wird, neben bislang 10 weiteren nigerianischen Produktionen und der gerade auf Netflix releasten Literaturverfilmung des nigerianischen Romans Beast of No Nation von Uzodinma Iweala.
Guckt man genau hin, überrascht diese wirtschaftliche Emanzipation des afrikanischen Filmmarkts im Grunde kaum, hat diese Entwicklung im Grunde schon während der großen nationalen Unabhängigkeitswelle in den 1960er Jahren begonnen.
Die 5. Afrikanischen Filmtage in München erinnern an dieses erste Kapitel afrikanischer Filmgeschichte mit einem Klassiker aus dem Senegal, Ousmane Sembènes erstem abendfüllenden Spielfilm La noir (Mittwoch, 28.10., 18.15 Uhr), in dem sich der senegalesische Schriftsteller und Filmemacher 1966 kritisch mit der afrikanischen Arbeitsmigration nach Europa auseinander setzte und damit eine Thematik behandelte, die seit der Entstehung des Films vor rund 50 Jahren bis zum heutigen Tag nichts an Aktualität eingebüßt hat. Senegals filmische Produktion erlitt seit der ersten Hochphase in den 1960ern und 1970ern zwar markante Einbrüche, ist aber in den letzten Jahren unter neuer staatlicher Leitung wieder dabei sich zu erholen.
Nach diesem Ausflug in die afrikanische Filmhistorie widmen sich die Afrikanischen Filmtage noch am selben Abend mit der Mockumentary Black President (Mittwoch, 28.10., 20.15 Uhr) den Schwierigkeiten zeitgenössischen afrikanischen Kunstschaffens in einer vermeintlich globalen, internationalen Kunstwelt. Was sich uns hier auf äußerst subtile Weise offenbart, ist die weiterhin bestehende, hegemoniale Stellung der westlichen Welt, sowohl innerhalb des wirtschaftlichen, als auch des kultur- und gesellschaftspolitischen Systems. Im Rahmen eines Publikumsgesprächs werden Regisseur und Produzentin Fragen zu Black President beantworten
Im weiteren Verlauf des Festivalprogramms werden zeitgenössische Filme präsentiert, die nicht nur die Emanzipation des afrikanischen Kinos von häufig vorherrschenden, in der Vergangenheit Europas konstruierten und tradierten Bildern eines vermeintlich dunklen Kontinents veranschaulichen, sondern auch ein Bewusstsein für die Konsequenzen des Kolonialismus für Afrika und die Welt schaffen.
So steht im Mittelpunkt des aufwendig produzierten, südafrikanischen Dramas The Forgotten Kingdom (Freitag, 30.10., 18.15 Uhr) die Dualität zwischen traditionellem Land- und modernem Großstadtleben. Auf humorvolle und sensible Weise vermittelt Fanie Fourie's Lobola (Donnerstag, 29.10., 18.15 Uhr), dass die Nachwehen der Apartheid weiterhin fester Bestandteil des südafrikanischen Alltags sind. Der mehrfach ausgezeichnete Spielfilm Timbuktu (Donnerstag, 29.10., 20.15 Uhr) versucht hingegen in einem diametralen Ansatz über ungewöhnlich poetische Bilder die tragische Rolle zu beschreiben, die der islamistische Terrorismus im heutigen Afrika spielt.
Das ägyptische Melodram Décor (Freitag, 30.10., 20.15 Uhr) verdeutlicht, dass psychische Erkrankungen auch außerhalb der westlich sozialisierten Welt durchaus als globale Realität und nicht ausschließlich als Konstrukt der europäischen Sozial- und Geisteswissenschaften verstanden werden. Im Zeichen der nachträglichen Konstituierung von Identität widmet sich die Gangster-Komödie O Grande Kilapy (Samstag, 31.10., 18.15 Uhr) im 1970er Jahre Stil Scorseses dem Werdegang eines angolanischen Womanizers. Abschließend konfrontiert der eindrückliche Episodenfilm Stories of Our Lives (Samstag, 31.10., 20.15 Uhr) mit der Diskriminierung junger LGBTIs in Kenia. Damit steht seine Thematik stellvertretend für viele weitere Länder, in denen die Freiheit sexueller Orientierung weiterhin eine Utopie darstellt.
Zwischen der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Geschichte auf die Gegenwart Afrikas, tagespolitisch brisanten Themen und einer Filmästhetik, die sich nicht mehr über die Abgrenzung zum europäischen oder US-amerikanischen Film definieren lässt, bildet diese kleine Werkschau so etwas wie die Spitze eines Eisbergs, die zumindest ahnen lässt, was sich auf der verborgenen Seite befinden könnte.
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Die 5. Afrikanischen Filmtage finden vom 28. bis 31.10.2015 im Vortragssaal des Gasteig statt. Weitere Informationen und Trailer zu den Filmen unter http://www.aft-munich.com/