Wider gesellschaftliche Ausgrenzungen |
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Destillat aus tausenden von Interviews mit Roma: Klaudia Dudová in Petr Václavs Der Ausweg |
Von Marianne Wagner
Auf den ersten Blick müsste man die 15. Tschechische Filmwoche, die vom 23.-27.09.2015 im Arena stattfindet, korrekterweise fast schon tschechisch-slowakische Filmwoche nennen, denn erstmalig sind auch slowakische Filme mit von der Partie.
Sieben Filme wurden gemeinsam mit der Münchner Volkshochschule, dem Verein Ahoj Nachbarn, der sich für die grenzübergreifende Verständigung in Mittel- und Osteuropa einsetzt, sowie dem Slowakisch-deutschen Kulturklub ausgewählt. Unterstützt wird die Filmwoche vom Kulturreferat der Stadt München.
Heute startet das Programm mit einer Deutschlandpremiere, dem Filmdebüt von Tomasz Mielnik, der dezidiert und in postmoderner Manier Filmklassiker anzitiert. Cesta do Riìma ist im Retrostil gedreht. Im Zentrum dieses Roadmovie steht ein unscheinbarer Museumswärter, der auf Veranlassung einer attraktiven Dame ein wertvolles Gemälde stiehlt und sich auf den Weg nach Rom macht, um es dort zu verkaufen. Kleine Randbemerkung: Mielnik studierte auch Kunstgeschichte. Skurrilität, Satirisches und Philosophieren über das Leben, Kennzeichen vieler tschechischer Klassiker, verspricht auch dieser Film.
Das Schwerpunktthema allerdings liegt dieses Jahr auf sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung. Gleich zwei Filme befassen sich mit der nach wie vor prekären Lage der Roma-Minderheit. Sowohl der Spielfilm als auch der Dokumentarfilm im Programm hierzu sind Destillate vieljähriger Beobachtungen und gewähren – zumal angesichts der nun auch tief in das Bewusstsein aller Münchner vorgedrungenen Flucht- und Migrationsbewegungen – einen intensiven Einblick
in die Lebenssituation der Roma. Man wird besser verstehen, unter welchen Bedingungen Roma teilweise leben und warum Menschen keinen anderen Ausweg mehr sehen als ihre Hoffnungen woanders hinzutragen.
Bereits seit fast 20 Jahren lässt Petr Václav dieses Thema nicht mehr los. Nach Marian (1996), der Geschichte eines Roma-Jungen, und Gesprächen mit Tausenden Romas entstand das Drehbuch
zu Der Ausweg (Der Ausweg; Fr., 25.09., 19:00 Uhr). Laienschauspieler, u. a. die Neuentdeckung Klaudia Dudová, sowie der Spielraum, den der Regisseur den Darstellern einräumte, intensivieren den authentischen Eindruck dieses Spielfilms über den harten Alltag einer alleinerziehenden Romni. Der Film wurde bereits mit zahlreichen Preisen, u. a. dem „Ceský lev 2014“, dem Oscar
Tschechiens, honoriert und war nach 16 Jahren der erste tschechische Film, der in Cannes präsentiert wurde.
Im slowakischen Dokumentarfilm Vetky moje deti (Alle meine Kinder; So., 27.09., 19:00 Uhr) begleitet Regisseur Ladislav Kaboš erneut Marián Kuffa (nach seinem Dokumentarfilm über ihn von 2003) – jenen Priester, der sich seit 2010 für menschenwürdige Verhältnisse und bessere Perspektiven für Roma in einem Slum in der Ost-Slowakei engagiert. Kuffa setzt im Gegensatz zu vielen, die hehre Reden schwingen, genau vor seiner Nase an: »Wir wollen den Menschen überall auf der Welt helfen, aber nicht den Roma in unserer Nachbarschaft. Deren Kinder leben in Häusern schlimmer als die Hütte meines Hundes.«
Wie im Kinohit Kolja (1996) oder jüngst in Das Meer sehen (Pojedemek mori, 2014) beleuchten Regisseure aus Tschechien und der Slowakei mit viel Einfühlungsvermögen die komplexe Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern, so auch in Rukojemník (Die Geisel; Sa., 26.09., 19:00 Uhr) des slowakischen Regisseurs Juraj Nvota. Aus der Perspektive eines Jungen, der an der slowakischen Grenze zu Österreich lebt, ersteht in diesem Familienfilm die Tschechoslowakei der 60er Jahre wieder auf und das einschneidende Jahr 1968, das auch den Jungen vor eine gewichtige Entscheidung stellt. Denn seine Eltern leben jenseits des Flusses und Eisernen Vorhangs. Dieser Familienfilm beleuchtet nicht zuletzt die Gefühlswelt der durch Migration von ihren Eltern getrennten Kinder.
Eine ganz andere, beträchtliches Konfliktpotenzial und Gefahren bergende Beziehung zwischen einem Erwachsenen und Kindern wird in dem gewagten Dokumentarfilm Danieluv svet http://tschechischefilmwoche.com/2015/08/26/filme-im-fokus-danieluv-svet/ (Daniels Welt; Do., 24.09., 19:00 Uhr) von Veronika Liskova verhandelt: Der junge Literaturstudent Daniel geht auf beeindruckend bewusste Weise mit seiner pädophilen Neigung um. Er möchte sie weder verdrängen oder verstecken noch ausleben. Eine andere Art des Coming out, die neue Perspektiven für den individuellen und gesellschaftlichen Umgang mit diesem Thema vorschlägt.
Geschichten über Eltern und Kinder, d. h. Konstellationen, die zunächst meist nicht frei gewählt sind, erzählt der slowakisch-tschechische Erstspielfilm des bisher dokumentarisch arbeitenden Regisseurs Jaroslav Vojtek, Deti (Kinder; Do., 24.09., 21:00 Uhr). Hierbei flossen auch die Erfahrungen aus seinen bisherigen Dokus und der TV-Serie zum Thema Kinder mit ein. Vojtek interessieren vor allem die Spannungsgefüge, die Identität bestimmen und wie sich persönliche Freiheit vor diesem Hintergrund mehr oder weniger entfalten kann.
Radim Špacek sorgt auch nach seinem Erfolgsfilm Pouta – Handfesseln (2009) weiter für Dramatik: In Místa (Orte; Fr., 25.09., 21:00 Uhr) greift er eine klassische Dreieckskonstellation auf. Adam und Mark, orientierungslose 19jährige in einer tschechischen Kleinstadt der 1990er, machen Bekanntschaft mit der charismatischen Tochter eines Provinz-Oligarchen. Leidenschaft, Verrat und Rache folgen.
Für mehr Miteinander und genaues Hinsehen stehen alle sieben Filme auf ihre eigene Weise und zeigen so auch Auswege aus anfangs verfahren erscheinenden Situationen auf. So unterstreicht der Titelsong „Places“ aus Orte, geschrieben von Václav Havelka und David Boulter von der britischen Band Tindersticks, nicht nur das düster-industrielle Setting sondern trägt auch über die malerische nordböhmische Landschaft hinweg.
15. Tschechische Filmwoche – 23. bis 27. September 2015, Arena Filmtheater, Hans-Sachs-Str. 7, 80469 München.