24.09.2015

Gewalt ist der Gegen­stand, Verherr­li­chung der Kontext – über Film­zensur, Moral & Freiheit in Deutsch­land

Schlussszene aus TEXAS CHAIN SAW MASSACRE - 1974
Abschied von der FSK?

Warum werden eigentlich in Deutschland auch im zweiten Jahrzehnt der 2000er Jahre Filme noch gesetzlich verboten? Wer hat hier das Sagen und was wird genau gesagt? Warum darf Gewaltdarstellung nicht auch Spass auch machen? Ein Plädoyer für mehr Freiheit.

Von Patrick Zimmerschied

Wenn man als Deutscher Personen aus anderen west­li­chen Ländern erzählt, dass in der Bundes­re­pu­blik Filme verboten werden, erntet man zumeist erstaunte Blicke. Für die Deutschen ist das hingegen etwas ganz Selbst­ver­s­tänd­li­ches. Die meisten wissen, dass Filme wie Tanz der Teufel oder The Texas Chain Saw Massacre in unserem Land beschlag­nahmt sind, oder es zumindest einmal waren.

Das hiesige Frei­ga­be­system funk­tio­niert auf geradezu kafkaeske Weise. Die gemeinhin bekannten Alters­be­schrän­kungen, ab 0, ab 6, ab 12, ab 16 und ab 18, werden von der Frei­wil­ligen Selbst­kon­trolle der Film­wirt­schaft in einem Arbeits­aus­schuss, bestehend aus jeweils fünf ehren­amt­li­chen Prüfern, für jeden einge­reichten Film mit einer einfachen Mehrheit fest­ge­legt. Eine Freigabe für Kinofilme wird aber nur gewährt, wenn keine „schwere Jugend­ge­fähr­dung“, eine Freigabe für DVDs und Blue-rays sogar nur, wenn keine „einfache Jugend­ge­fähr­dung“ vorliegt. Hinter­grund ist die Befürch­tung, dass auch Jugend­liche Zugang zu entspre­chenden Filmen erlangen könnten.

Die Weigerung der FSK einem Film ihren Segen zu geben bedeutet aller­dings nicht zwingend, dass ein Auffüh­rungs­verbot gilt. Der Film kann auch ohne Zustim­mung der FSK auf den Markt gebracht werden. Er ist dann auto­ma­tisch ab 18 Jahren zuge­lassen. Meistens lassen die Vertreiber das Werk vorher von der Juris­ten­kom­mis­sion der Spit­zen­or­ga­ni­sa­tion der Film­wirt­schaft prüfen, um sicher­zu­gehen, dass sie sich mit der Veröf­fent­li­chung des Films nicht strafbar machen. Diese vergibt dann entweder das Siegel „keine schwere Jugend­ge­fähr­dung“ oder „straf­recht­lich unbe­denk­lich“. Letztere Einstu­fung bedeutet eine Indi­zie­rung des Films. Eine Indi­zie­rung ist kein Verbot, hat aber erheb­liche Einschrän­kungen für die Werbung und den Verkauf zur Folge, um Minder­jäh­rigen den Erwerb zu erschweren. Die nied­ri­gere Freigabe „keine schwere Jugend­ge­fähr­dung“ wird mit einer FSK-Freigabe ab 18 Jahren gleich­ge­setzt; ein ziemlich unlo­gi­scher Passus, da ja der Zweck einer Frei­ga­be­ver­wei­ge­rung bei „einfacher Jugend­ge­fähr­dung“ darin besteht, dass es Jugend­li­chen nicht mehr ohne größere Probleme möglich sein soll sich den Film anzu­schauen. Warum „keine schwere Jugend­ge­fähr­dung“ dann mit FSK 18 identisch ist, ist wohl nur für die Jugend­schutz­büro­kraten nach­voll­ziehbar.

Die Juris­ten­kom­mis­sion kann jedoch ebenfalls eine Kenn­zeich­nung verwei­gern. Das ist der Fall, wenn sie durch den Film einen Verstoß gegen deutsches Recht sieht.
Im Grund­ge­setz Artikel 5, Absatz 1 steht zwar „Eine Zensur findet nicht statt.“, aber das ist pure Augen­wi­scherei. Denn es gibt auch den Para­gra­phen 131 des Straf­ge­setz­bu­ches, der besagt, dass es mit einer Frei­heits­strafe von bis zu einem Jahr oder einer Geld­strafe geahndet werden kann, wenn man gewalt­ver­herr­li­chende Medien der Öffent­lich­keit zugäng­lich macht. Was „gewalt­ver­herr­li­chend“ bedeuten soll, ist dort aller­dings nicht genauer definiert.

Fun-Splatter-Filme wie Braindead oder Tanz der Teufel sind seit 15 bzw. 30 Jahren in Deutsch­land beschlag­nahmt, während der vers­tö­rende A Serbian Film selbst in seiner unge­kürzten Fassung legal ist. Nun könnte man natürlich argu­men­tieren, dass genau das der Punkt ist: Ein Film verherr­licht Gewalt, wenn sie als etwas Unbe­denk­li­ches oder sogar Amüsantes darge­stellt wird. Gegen diese Inter­pre­ta­tion spricht aber, dass die meisten in Deutsch­land verbo­tenen Filme die Bruta­lität auf möglichst realis­ti­sche Art und Weise darstellen und nicht versuchen das Gezeigte durch humo­ris­ti­sche Einlagen abzu­mil­dern; siehe etwa die pseu­do­do­ku­men­ta­ri­schen Gesichter des Todes- oder die Fake-Snuff Guinea Pig-Filme. Im Kontrast zu diesen Werken sind aber auch voll­kommen harmlose Filme einge­zogen worden, allen voran etwa Das Böse, Das Geis­ter­schiff der schwim­menden Leichen (das Urteil wird hier unter anderem, und das ist kein Witz, mit folgender Begrün­dung gerecht­fer­tigt: „Ein Skelett verbrennt (Groß­auf­nahme).“) und der Klassiker Die Nacht der lebenden Toten.

Unab­hängig von der Willkür, die bei den Urteilen herrscht, muss man sich aber auch fragen, wie die Zensur von Kunst grund­sätz­lich gerecht­fer­tigt werden soll.

Natürlich gibt es Inhalte, wie das reale Ermorden von Menschen vor der Kamera oder Kinder­por­no­gra­phie, deren straf­recht­liche Relevanz, unab­hängig von der räum­li­chen und zeit­li­chen Kontin­genz sozialer Tabus, allein schon durch funda­men­ta­lere Geset­zes­lagen deter­mi­niert wird. Doch diese Aspekte fallen ohnehin nicht unter das Gesetz gegen Gewalt­ver­herr­li­chung.

Über die genaue Moti­va­tion für dieses Gesetz kann nur gemutmaßt werden, aber anschei­nend geht es hierbei keines­falls um das psychi­sche Wohl von Kindern. Es scheint vielmehr ein Drang zur Mora­li­sie­rung dahinter zu stehen. Man kann sich nur schwer dem Eindruck erwehren, dass die Behörden davon getrieben werden, der Bevöl­ke­rung vorschreiben zu wollen, was sie zu denken hat. Manche Menschen reagieren phobisch auf Sadismus und starten gerade deshalb einen mora­li­schen Feldzug gegen sexua­li­sierte Gewalt und Ähnliches in den Medien. Aus ihrer Perspek­tive ist die Etab­lie­rung von absoluten Grenzen des Darstell­baren folge­richtig und natürlich finden sie gerade im Umfeld der Film­zensur ihre natür­liche Heimat.

Die Grenzen dessen, was in einer Gesell­schaft akzep­tiert ist, verändert sich im Allge­meinen eher langsam. In der jüngeren Vergan­gen­heit kann jedoch eine deutliche Verschie­bung der Sehge­wohn­heiten beob­achtet werden. Zuschauer werden offenbar resis­tenter gegenüber Gewalt­dar­stel­lungen. Es ist heute, in Zeiten von Saw und Co., kaum noch vorstellbar, dass 1968 bei der Auffüh­rung von „Die Nacht der lebenden Toten“ Menschen in Ohnmacht gefallen sind. Vormals indi­zierte und für ihre expli­ziten Szenen berüch­tigte Filme werden jetzt reihen­weise neu geprüft und ab 16 Jahren frei­ge­geben, darunter Filme wie Total Recall und Cliff­hanger, die sogar in den wesent­lich gewalt­to­le­ran­teren USA vor ihrem Erscheinen in den neunziger Jahren erheblich gekürzt werden mussten, um in regulären Kinos überhaupt gezeigt werden zu können.

Auch Filme, die in der Vergan­gen­heit wegen Gewalt­ver­herr­li­chung beschlag­nahmt waren, werden nun teilweise entkri­mi­na­li­siert. The Texas Chain Saw Massacre war der erste Film, dem dies gelang. Im September 2011 wurde die Beschlag­nah­mung des Films aufge­hoben. Im Dezember des gleichen Jahres wurde er dann sogar vom Index gestri­chen und von der FSK ab 18 Jahren frei­ge­geben. Knapp andert­halb Jahre später folgte mit Saw 7 der zweite Fall. Seitdem geht es fast schon Schlag auf Schlag: 2013 Battle Royale und zuletzt Die Horde.
Wenn also das Konzept der Gewalt­ver­herr­li­chung lediglich eine relative Bedeutung hat, kann man es dann eigent­lich in dieser Form als Legi­ti­ma­tion von Zensur anführen? Der Grad an Gewalt ist offen­sicht­lich inter­pre­ta­ti­ons­ab­hängig: In den 1960ern war es schon brutal, wenn jemand auf der Leinwand erschossen wurde, heute kann er bei leben­digem Leib ausge­weidet werden, ohne dass man sich sonder­lich daran stört.

Doch ein solches Kontinuum sollte keinen Unter­schied im Falle von Gewalt­ver­herr­li­chung machen. Paragraph 131 bezieht sich tatsäch­lich nur auf Gewalt­ver­herr­li­chung generell, nicht aber auf eine bestimmte Stufe davon. Die Gewalt ist der Gegen­stand, die Verherr­li­chung der Kontext. Eine bestimmte Konstel­la­tion ist also immer eine Verherr­li­chung der statt­fin­denden Gewalt. Ein Super­lativ ist hier genauso wenig denkbar, wie die Stei­ge­rung einer Tätigkeit: Ich kann ein grausames oder ein weniger grausames Bild zeichnen, doch das ändert nichts daran, dass ich zeichne.

Da die Behörden aber ihre Einschät­zungen über die Gewalt­ver­herr­li­chung revi­dieren, scheint hier etwas nicht zu stimmen. The Texas Chain Saw Massacre ist beispiels­weise kein expli­ziter Film. Die unan­ge­nehme Wirkung wird allein durch den psycho­lo­gi­schen Terror erzeugt. Wir können zwar heute womöglich besser mit solchen Darstel­lungen umgehen, aber unsere psychi­sche Stabi­lität hat – wie bereits ausge­führt – nichts mit dem Sach­ver­halt der prin­zi­pi­ellen Gewalt­ver­herr­li­chung zu tun.

Gewalt­ver­herr­li­chung ist also nicht nur ein Ad-hoc-Konstrukt, sondern in seiner Anwendung auch in sich nicht schlüssig. Der Vorwurf der Gewalt­ver­herr­li­chung ist vielmehr der mora­li­sche Zeige­finger, der uns tadelnd unter die Nase gehalten wird: Gewalt soll und darf keinen Spaß machen!