Gewalt ist der Gegenstand, Verherrlichung der Kontext – über Filmzensur, Moral & Freiheit in Deutschland |
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Abschied von der FSK? |
Wenn man als Deutscher Personen aus anderen westlichen Ländern erzählt, dass in der Bundesrepublik Filme verboten werden, erntet man zumeist erstaunte Blicke. Für die Deutschen ist das hingegen etwas ganz Selbstverständliches. Die meisten wissen, dass Filme wie Tanz der Teufel oder The Texas Chain Saw Massacre in unserem Land beschlagnahmt sind, oder es zumindest einmal waren.
Das hiesige Freigabesystem funktioniert auf geradezu kafkaeske Weise. Die gemeinhin bekannten Altersbeschränkungen, ab 0, ab 6, ab 12, ab 16 und ab 18, werden von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft in einem Arbeitsausschuss, bestehend aus jeweils fünf ehrenamtlichen Prüfern, für jeden eingereichten Film mit einer einfachen Mehrheit festgelegt. Eine Freigabe für Kinofilme wird aber nur gewährt, wenn keine „schwere Jugendgefährdung“, eine Freigabe für DVDs und Blue-rays sogar nur, wenn keine „einfache Jugendgefährdung“ vorliegt. Hintergrund ist die Befürchtung, dass auch Jugendliche Zugang zu entsprechenden Filmen erlangen könnten.
Die Weigerung der FSK einem Film ihren Segen zu geben bedeutet allerdings nicht zwingend, dass ein Aufführungsverbot gilt. Der Film kann auch ohne Zustimmung der FSK auf den Markt gebracht werden. Er ist dann automatisch ab 18 Jahren zugelassen. Meistens lassen die Vertreiber das Werk vorher von der Juristenkommission der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft prüfen, um sicherzugehen, dass sie sich mit der Veröffentlichung des Films nicht strafbar machen. Diese vergibt dann entweder das Siegel „keine schwere Jugendgefährdung“ oder „strafrechtlich unbedenklich“. Letztere Einstufung bedeutet eine Indizierung des Films. Eine Indizierung ist kein Verbot, hat aber erhebliche Einschränkungen für die Werbung und den Verkauf zur Folge, um Minderjährigen den Erwerb zu erschweren. Die niedrigere Freigabe „keine schwere Jugendgefährdung“ wird mit einer FSK-Freigabe ab 18 Jahren gleichgesetzt; ein ziemlich unlogischer Passus, da ja der Zweck einer Freigabeverweigerung bei „einfacher Jugendgefährdung“ darin besteht, dass es Jugendlichen nicht mehr ohne größere Probleme möglich sein soll sich den Film anzuschauen. Warum „keine schwere Jugendgefährdung“ dann mit FSK 18 identisch ist, ist wohl nur für die Jugendschutzbürokraten nachvollziehbar.
Die Juristenkommission kann jedoch ebenfalls eine Kennzeichnung verweigern. Das ist der Fall, wenn sie durch den Film einen Verstoß gegen deutsches Recht sieht.
Im Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1 steht zwar „Eine Zensur findet nicht statt.“, aber das ist pure Augenwischerei. Denn es gibt auch den Paragraphen 131 des Strafgesetzbuches, der besagt, dass es mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet werden kann, wenn man
gewaltverherrlichende Medien der Öffentlichkeit zugänglich macht. Was „gewaltverherrlichend“ bedeuten soll, ist dort allerdings nicht genauer definiert.
Fun-Splatter-Filme wie Braindead oder Tanz der Teufel sind seit 15 bzw. 30 Jahren in Deutschland beschlagnahmt, während der verstörende A Serbian Film selbst in seiner ungekürzten Fassung legal ist. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass genau das der Punkt ist: Ein Film verherrlicht Gewalt, wenn sie als etwas Unbedenkliches oder sogar Amüsantes dargestellt wird. Gegen diese Interpretation spricht aber, dass die meisten in Deutschland verbotenen Filme die Brutalität auf möglichst realistische Art und Weise darstellen und nicht versuchen das Gezeigte durch humoristische Einlagen abzumildern; siehe etwa die pseudodokumentarischen Gesichter des Todes- oder die Fake-Snuff Guinea Pig-Filme. Im Kontrast zu diesen Werken sind aber auch vollkommen harmlose Filme eingezogen worden, allen voran etwa Das Böse, Das Geisterschiff der schwimmenden Leichen (das Urteil wird hier unter anderem, und das ist kein Witz, mit folgender Begründung gerechtfertigt: „Ein Skelett verbrennt (Großaufnahme).“) und der Klassiker Die Nacht der lebenden Toten.
Unabhängig von der Willkür, die bei den Urteilen herrscht, muss man sich aber auch fragen, wie die Zensur von Kunst grundsätzlich gerechtfertigt werden soll.
Natürlich gibt es Inhalte, wie das reale Ermorden von Menschen vor der Kamera oder Kinderpornographie, deren strafrechtliche Relevanz, unabhängig von der räumlichen und zeitlichen Kontingenz sozialer Tabus, allein schon durch fundamentalere Gesetzeslagen determiniert wird. Doch diese Aspekte fallen ohnehin nicht unter das Gesetz gegen Gewaltverherrlichung.
Über die genaue Motivation für dieses Gesetz kann nur gemutmaßt werden, aber anscheinend geht es hierbei keinesfalls um das psychische Wohl von Kindern. Es scheint vielmehr ein Drang zur Moralisierung dahinter zu stehen. Man kann sich nur schwer dem Eindruck erwehren, dass die Behörden davon getrieben werden, der Bevölkerung vorschreiben zu wollen, was sie zu denken hat. Manche Menschen reagieren phobisch auf Sadismus und starten gerade deshalb einen moralischen Feldzug gegen sexualisierte Gewalt und Ähnliches in den Medien. Aus ihrer Perspektive ist die Etablierung von absoluten Grenzen des Darstellbaren folgerichtig und natürlich finden sie gerade im Umfeld der Filmzensur ihre natürliche Heimat.
Die Grenzen dessen, was in einer Gesellschaft akzeptiert ist, verändert sich im Allgemeinen eher langsam. In der jüngeren Vergangenheit kann jedoch eine deutliche Verschiebung der Sehgewohnheiten beobachtet werden. Zuschauer werden offenbar resistenter gegenüber Gewaltdarstellungen. Es ist heute, in Zeiten von Saw und Co., kaum noch vorstellbar, dass 1968 bei der Aufführung von „Die Nacht der lebenden Toten“ Menschen in Ohnmacht gefallen sind. Vormals indizierte und für ihre expliziten Szenen berüchtigte Filme werden jetzt reihenweise neu geprüft und ab 16 Jahren freigegeben, darunter Filme wie Total Recall und Cliffhanger, die sogar in den wesentlich gewalttoleranteren USA vor ihrem Erscheinen in den neunziger Jahren erheblich gekürzt werden mussten, um in regulären Kinos überhaupt gezeigt werden zu können.
Auch Filme, die in der Vergangenheit wegen Gewaltverherrlichung beschlagnahmt waren, werden nun teilweise entkriminalisiert. The Texas Chain Saw Massacre war der erste Film, dem dies gelang. Im September 2011 wurde die Beschlagnahmung des Films aufgehoben. Im Dezember des gleichen Jahres wurde er dann sogar vom Index gestrichen und von der FSK ab 18 Jahren freigegeben. Knapp anderthalb
Jahre später folgte mit Saw 7 der zweite Fall. Seitdem geht es fast schon Schlag auf Schlag: 2013 Battle Royale und zuletzt Die Horde.
Wenn also das Konzept der Gewaltverherrlichung
lediglich eine relative Bedeutung hat, kann man es dann eigentlich in dieser Form als Legitimation von Zensur anführen? Der Grad an Gewalt ist offensichtlich interpretationsabhängig: In den 1960ern war es schon brutal, wenn jemand auf der Leinwand erschossen wurde, heute kann er bei lebendigem Leib ausgeweidet werden, ohne dass man sich sonderlich daran stört.
Doch ein solches Kontinuum sollte keinen Unterschied im Falle von Gewaltverherrlichung machen. Paragraph 131 bezieht sich tatsächlich nur auf Gewaltverherrlichung generell, nicht aber auf eine bestimmte Stufe davon. Die Gewalt ist der Gegenstand, die Verherrlichung der Kontext. Eine bestimmte Konstellation ist also immer eine Verherrlichung der stattfindenden Gewalt. Ein Superlativ ist hier genauso wenig denkbar, wie die Steigerung einer Tätigkeit: Ich kann ein grausames oder ein weniger grausames Bild zeichnen, doch das ändert nichts daran, dass ich zeichne.
Da die Behörden aber ihre Einschätzungen über die Gewaltverherrlichung revidieren, scheint hier etwas nicht zu stimmen. The Texas Chain Saw Massacre ist beispielsweise kein expliziter Film. Die unangenehme Wirkung wird allein durch den psychologischen Terror erzeugt. Wir können zwar heute womöglich besser mit solchen Darstellungen umgehen, aber unsere psychische Stabilität hat – wie bereits ausgeführt – nichts mit dem Sachverhalt der prinzipiellen Gewaltverherrlichung zu tun.
Gewaltverherrlichung ist also nicht nur ein Ad-hoc-Konstrukt, sondern in seiner Anwendung auch in sich nicht schlüssig. Der Vorwurf der Gewaltverherrlichung ist vielmehr der moralische Zeigefinger, der uns tadelnd unter die Nase gehalten wird: Gewalt soll und darf keinen Spaß machen!