»Wie wir leben, was uns ausmacht...« |
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California City, der neue Film von Bastian Günther ist ein faszinierendes Werk zwischen allen Spielformen |
Magische Bilder, magische Erfahrungen: Das Wüstenlicht brennt gleißend nicht nur auf die Figur, einen jungen Mann, der sich einsam durch verlassene Häuser bewegt, es blendet auch mal den Zuschauer und ruft gelegentliche Assoziationen an Antonionis Zabriskie Point wach, auch das ein Film, wo sich ein europäischer Regisseur in die amerikanische Wüste begibt, um Alltagserfahrungen der Moderne zu radikalisieren, und für sie existentielle, endzeitliche Bilder zu finden.
California City, der neue Kinolangfilm von Bastian Günther, ist ein Dokumentarfilm mit essayistischen, episodischen und möglicherweise fiktionalen Elementen. Er erzählt von einer modernen Geisterstadt, die in Zeiten der Häuserblase mitten in der Wüste mit kompletter Infrastruktur aus dem Boden gestampft und nach 2008 zurückgelassen wurde. Ein Insektenbekämpfer durchstreift
stellvertretend für den Zuschauer die leeren Häuser und reflektiert über seine Erfahrungen und den Zustand der Welt. Die Themen »Suche und Sehnsucht« sind hier von Beginn an durch einen Texteinschub offen gesetzt, wenn auch ironisch gebrochen durch die Begriffe »die Kunst der Moskitobekämpfung und Überträgerkontrolle«. »Ich fühlte mich an diesem Ort total deprimiert«, berichtet Bastian Günther, der Teile des Jahres in Amerika lebt, vom auslösenden Erlebnis zu diesem Film. »Was
für bizarre Sachen wir Menschen ausprobieren. Man kann da nicht leben – da gibt es kein Wasser, da wächst nichts. Aber die Leute wollten unbedingt ein Haus haben und haben dafür alles in Kauf genommen.«
Auch Einsamkeit in ihren verschiedenen Facetten ist ein Leitmotiv und verbindet California City mit Autopiloten und Houston, den zwei Spielfilmen Günthers, und mit dem vom HR produzierten »Tatort – Wer bin ich?«, der zum Jahresende in der ARD ausgestrahlt werden wird.
Zu allen vier Filmen hat Günther, Jahrgang 1974, der vor seiner Regieausbildung Pädagogik studierte, auch das Drehbuch geschrieben. Auf den ersten Blick erscheinen sie formal wie thematisch sehr verschieden und unternehmen jedes Mal etwas vollkommen Neues. In Houston, dem bislang bekanntesten Film Günthers, steht ein deutscher Headhunter im Zentrum, den es für einen Geschäftsabschluss nach Texas verschlagen hat. Dort, in der Einsamkeit der Hochhausschluchten und Kommunikationsabgründe, wird er auf sich selbst zurückgeworfen. Ulrich Tukur spielt den Mann, der Alkoholiker ist, und sich zunehmend in einer Lebenskrise befindet, aus dem Dilemma zwischen Sucht und Versagensangst keinen Ausweg findet.
Bastian Günther erzählt dessen Schicksal einfallsreich mit gelegentlichen Versatzstücken des Film Noir in einer Mischung aus realistischen Bildern und surrealen »Chocs«. Einmal sieht dieser Clemens Trunschka aus einem Fenster ein weißes Hemd an einer Wolkenkratzerfassade herunterfallen – langsam, scheinbar minutenlang und endlos. Man denkt an jenen »Falling Man« des »11. September«, der in den Nachrichten entsetzte, dem Don DeLillo einen Roman gewidmet hat, und Alfonso Cuarón einen Kurzfilm. Der Zuschauer macht im Kino selbst die Erfahrung der Hauptfigur: Wie sich »Realität« und »Phantastik« immer ununterscheidbarer vermischen, wie die Codes einer sterilen und glatten Welt immer undurchdringlicher werden.
Der Schnitt irritiert mit bewusst gesetzten Brüchen und »Künstlichkeits«-Erfahrungen zusätzlich. Man kann das kafkaesk nennen, doch zugleich nehmen Story und Inszenierung Alltagserfahrungen auf und spitzen sie zu: Anhand einer einzelnen Figur wird das System eines Kapitalismus beschrieben, der wie eine Sucht strukturiert ist; ein System, das auf Stress und Steigerung basiert, und darum irgendwann zwangsläufig kollabiert – um danach wieder von Neuem zu beginnen.
Isolation und Verlorensein, der grassierende Burnout eines ganzen Zeitalters und des ihn strukturierenden Systems stehen auch bereits im Zentrum von Günthers Spielfilmdebüt Autopiloten (2007). Anhand von vier Männern verknüpft der Film vier Geschichten zu einem modernen Road-Movie. Es entsteht ein Panorama der Gegenwart, das weit weniger plakativ erzählt ist, als seine zentrale Metapher – die auf »Autopilot« geschalteten Lebenswege – suggeriert. Auch hier sind die Räume besonders wichtig für Günthers Inszenierung: Das Auto als Druckkammer, die neuen anonymen Begegnungsorte unserer Gegenwart: Shopping-Mall, Fast-Food-Restaurants, die Lobbys von Hotelketten. Die Gesellschaft als Gated Community.
Neben der inhaltlichen Verbindung zwischen diesen Filmen, den Facetten moderner Depression, gibt es auch eine formale Gemeinsamkeit. Günthers Filme versuchen, die Dinge auf eine neue Weise zu betrachten und einen neuen Blick nicht nur von Innen, sondern von Außen auf ihren Gegenstand zu werfen. Nur durch Distanz ist eine klare, analytische Sichtweise möglich.
Nirgendwo wird das deutlicher als bei einem scheinbar so unumstößlich festgezurrten Format wie dem ARD-»Tatort«. Günthers »Tatort«-Debüt »Wer bin ich?«, in dem wiederum Ulrich Tukur die Hauptrolle spielt, dekonstruiert gewissermaßen das »System 'Tatort'« – und damit jenes eine Fernsehformat, das neben Fußball-Liveübertragungen im Fernsehen von heute noch »Straßenfeger«-Potential hat, das eine Nation vor der Mattscheibe verbindet und mit dem durch es bereitgestellten Gesprächsmaterial sogar gesellschaftsstabilisierende Eigenschaften hat.
Um die Radikalität dieses auch von der HR-Redaktion her erstaunlichen, mutigen Experiments nur anzudeuten: Wie üblich im »Hessen-Tatort« spielt Tukur in »Wer bin ich?« den Kommissar Monod. Der ermittelt in einem Mordfall bald gegen den Schauspieler Ulrich Tukur, der gleichfalls von Tukur gespielt wird. Im Film taucht auch eine Handvoll anderer »Tatort«-Kommissare auf, der hessische Rundfunk und so fort. »Ich wollte etwas anderes, als diese ewigen 'wo waren sie gestern zwischen 9 und 10?'-Filme«, antwortet Günther, nach der Inspiration gefragt. »Ich wollte auch gern einen total überspitzten Blick in dieses Filmgeschäft geben, wie er Truffaut in Die amerikanische Nacht, den ich sehr liebe, gelungen ist. Dieser Film hat ja mit uns allen etwas zu tun: Wie sehen wir uns selbst?« Ein philosophisches Spiel im Spiel.
Man kann sich die Filme von Bastian Günther also gar nicht ungewöhnlich und irritierend genug vorstellen. Dieser Regisseur bricht mit einem Grundgesetz moderner Drehbuchschulen: Der scheinbar unumstößlichen Regel der Identifikation. In seinen Filmen haben die Figuren nicht selten bereits selbst ein Problem damit, sich mit sich zu identifizieren. Daher dürfte dies auch dem Zuschauer schwer fallen.
»Es gibt auch nichts Langweiligeres im Kino, als ein Film, in dem die
Hauptfigur sympathisch ist«, fügt Günther hinzu. Man müsse sie allerdings verstehen können, eine Empathie für sie entwickeln. Um sie vielleicht am Ende etwas anders betrachten zu können, als zu Beginn des Films. »Auch der Grundsatz, eine Figur müsse sich ändern, ist Blödsinn. Ich finde nur, der Blick des Zuschauers während des Films sollte sich irgendwann ändern, damit man noch einmal einen neuen Blick auf etwas bekommt.«
Günther entlarvt mit solchen Aussagen auch eine Denkfaulheit,
die gerade im deutschen Kino oft bemerkbar ist: »Das mag ich an Filmen, und versuche es mit meinen eigenen: Dass der Zuschauer mitmachen muss. Das kann dann auch unglaublich unterhaltsam sein – unterhaltsam aber nicht in dem Sinn, dass fortwährend gelacht wird.«
Günther sieht seine Arbeit als Mischung aus Kunst und Handwerk. Schon in wenigen Filmen (vor Autopiloten entstanden dokumentarische Arbeiten fürs Fernsehen wie Bleib zuhause im Sommer, 2004), ist es ihm über Genre- und Mediengrenzen hinweg gelungen, mit großer Konsequenz einigen Leitmotiven und persönlichen Interessen treu zu bleiben, und gemeinsam mit seinem Stammkameramann Michael Kotschi eine eigene Handschrift zu entwickeln. So offen Bastian Günther etwa in der Arbeit mit verschiedenen Schauspiel-Techniken ist – »Grundsätzlich überlasse ich das den Schauspielern, ich versuche mich immer, ihnen anzupassen.« –, so klar ist am Ende »was er will«. »Was für mich wichtig ist in meinen Filmen, ist, dass wir uns mit uns beschäftigen. Wie wir leben, was uns ausmacht, und wie wir drauf sind und was auch schief läuft bei uns. Aber nicht mit so einem besserwisserischen Blick. Ich gebe ja auch keine Antworten. Man muss Fragen stellen.«