27.10.2011

Filme von Jacques Doillon im Münchner Werk­statt­kino

Le premier venu
Le premier Venu:
Gérald Thomassin

Filme über das Glück, sich in einem komplizierten Beziehungsgeflecht wiederzufinden

Von Dunja Bialas

Jacques Doillon ist ein eigen­wil­liger Regisseur. Seine Filme scheren aus dem Blüm­chen­kleid­chen-und-Wein­ge­lage-Frank­reich aus, haben oft jugend­liche Darsteller und thema­ti­sieren immer wieder auch das sozial proble­ma­ti­sche Frank­reich, mit einer sichtbar doku­men­ta­ri­schen Hand­schrift. Wie beispiels­weise in dem bewun­derns­werten Petits frères, in dem ein Kampfhund eine überaus sympa­thi­sche Rolle einnimmt. Mit Ponette, viel­leicht in Deutsch­land der bekann­teste seiner Filme, verschaffte er der erst vier­jäh­rigen Victoire Thivisol 1996 in Venedig den Preis für die Beste Darstel­lerin. Sein jüngster Film, Le Mariage à trois, ist eine Triangel-Geschichte um einen Thea­ter­re­gis­seur, seine Ex und deren Liebhaber. Das Aufein­an­der­prallen von Menschen in schwie­rigen Bezie­hungs­kon­stel­la­tionen ist ein Grund­thema Doillons, sich darauf einzu­lassen, scheint die Zuschauer hier­zu­lande an ihre Grenzen zu bringen. Der »Spiegel« nannte ihn mal »Fein­fühler für Bezie­hungs­tran«, der »in spröden Bildern und ohne ein Tröpfchen Musik« von Eigen­bröt­lern erzählt. Immerhin attes­tierte er seinen Filmen auch das »Gelingen beson­derer Intimität«.

Letztes Jahr lief Le Mariage à trois in den fran­zö­si­schen Kinos an, hier wird man wohl – nicht zuletzt wegen der deutschen Schwie­rig­keit, sich auf expe­ri­men­telle Figu­ren­kon­stel­la­tionen einzu­lassen (Rudolf Thome wird ein Lied davon singen können) – vergebens auf einen Filmstart hoffen. Dabei gilt es ja, einiges nach­zu­holen: Erst dieses Jahr startete sein bereits 2008 produ­zierter Film Le premier venu in den deutschen Kinos, in München war er bislang noch gar nicht zu sehen. Viel­leicht, um den Mangel spürbar zu machen, der sich mit der Nicht­kenntnis seines Werks verbindet, und die Sehnsucht nach seinem neuen Film groß werden zu lassen, zeigt das Münchner Werk­statt­kino jetzt eine Auswahl seiner Filme.

»Man sagt immer, ich hätte eine Menge Filme gemacht, aber ich finde, ich habe wenige Filme gemacht. Ich würde an liebsten jeden Nach­mittag eine Einstel­lung machen. In Berlin hat man mich einmal gefragt: Wären Sie bereit, eine Meis­ter­klasse zu halten? Was für ein schreck­li­ches Wort: Meister. Alles, was ich kann, ist: Gebt mir vier Schau­spieler, nicht gleich ein Dutzend, höchstens fünf oder sechs, und wir machen eine Einstel­lung.« (Jacques Doillon im »Cargo«-Interview, Ausgabe 08/2010)

Hier das Programm, alle Filme sind zu sehen im Werk­statt­kino München:

Le premier venu (Der Erstbeste) (F/BE 2008): Mo., 31.10., 22.15 Uhr und Mo., 1.11.-So., 6.11., 20.00 Uhr, OmU

Camille, eine junge Frau aus bürger­li­chem Hause, ist angeödet von ihrem Leben. Auf der Suche nach Inten­sität beschließt sie, ihre Liebe zu verschenken – nicht an den Schönsten, sondern an den Erst­besten. An jemanden, von dem sie glaubt, dass er sie brauche. Da kommt Costa gerade recht, ein Herum­treiber, der in einem Bunker haust und auf den ersten Blick weder liebens­wert noch zu lieben fähig ist. Faszi­niert von Camille, verfolgt ein Polizist die beiden.

»Sich für offen­sicht­lich inter­es­sante Menschen zu inter­es­sieren ist ja nicht besonders inter­es­sant. Ich wollte eine junge Frau zeigen, die radikal offen ist für etwas Anderes, für den Anderen.« (Jacques Doillon)

Les doigts dans la tête (Die Finger im Kopf) (F 1975): Fr., 28.10.-So., 30.10, 22.15 Uhr und Sa. 5.11, 17.45 Uhr, OmU

In die Gemein­schaft von Chris­tophe, Léon und Rosette wird die Schwedin Liv aufge­nommen, deren unbe­küm­merte Art die anderen faszi­niert. In langen Gesprächen versuchen die vier, ihre Schwie­rig­keiten zu formu­lieren und ihre Probleme zu bewäl­tigen: Unsi­cher­heiten gegenüber einem selbstän­digen Leben, Ängste und Sehnsucht nach einem festen Halt. Doch die Gemein­schaft ist nicht tragfähig, sie bricht ausein­ander.

Le jeune Werther (W. – Der junge Werther) (F 1993): Di., 1.11.-Do., 3.11., 22.15 Uhr und So., 6.11., 18 Uhr

»Eine Gruppe von 13- oder 14jährigen Schülern, Mädchen und Jungen aus einem eher klein­bür­ger­li­chen Pariser Stadtteil. Einer von ihnen hat sich das Leben genommen, damit beginnt der Film: Mit der Ratlo­sig­keit von Ismael, der doch angeblich der beste Freund des Toten war und nun erkennen muß, wie wenig er von ihm wußte; mit den Speku­la­tionen der Klas­sen­ka­me­raden, die meinen, ein plau­si­bles Tatmotiv ließe sie leichter über den Schock wegkommen; mit der Rache­ak­tion für den Toten an einem verhaßten Lehrer, mit Mutmaßungen über Drogen und mit der Suche nach einem geheim­nis­vollen Mädchen, das den Freund in Liebes­ver­zweif­lung gestürzt haben könnte. Die Kreise breiten sich aus und brechen sich.« (Der Spiegel)

»Dies ist die Geschichte eines Jungen, der das Photo eines Mädchens küsst, weil er es nicht wagt, das Mädchen selbst zu küssen.« (Jacques Doillon)

La pirate (Die Piratin) (F 1984): Fr., 4.11.-So., 6.11., 22.15 Uhr und So., 6.11., 18.00 Uhr (Dt. Fassung)

»Als Alma eines Nachts gemeinsam mit ihrem betrun­kenen Ehemann Andrew und einem Freund nach Hause zurück­kehrt, warten vor der Tür ihre frühere Geliebte Carole und ein geheim­nis­volles Mädchen. Sofort flammt die alte Leiden­schaft der beiden Frauen fürein­ander wieder auf, doch Alma kann, nein, will sich nicht zwischen ihrem Mann und ihrer Freundin entscheiden. In der Folge entwi­ckelt sich ein furioses Hin und Her, das die Figuren die ganze Nacht und den kommenden Tag über in Atem hält und flucht­artig vor sich her treibt durch Hotel­zimmer, über Auto­bahnen, schließ­lich auf ein Schiff und am Ende auf die offene See. Dort gibt es vor der Entschei­dung kein Entrinnen mehr.« (Viennale)

La fille de quinze ans (Eine Frau mit 15) (F 1988): Mo., 7.11.-Mi.9.11., 22.15 Uhr und So., 13.11., 18.00 Uhr

»Ein Mädchen, das keine Frau sein will. Ein Junge, der noch kein Mann sein will. Und ein Vater, der kein Vater sein will. Die drei verbringen einen Urlaub auf einer Insel im Mittel­meer. Der Himmel ist weit, die Farben sind klar, die Gefühle in Bewegung. Das Mädchen liebt den Jungen, weil er noch jung genug ist, um nicht ständig an Sex zu denken. Und der Vater inter­es­siert sich für das Mädchen, weil es jung genug ist, um auch Gefühle zu zeigen, die jenseits der Begierde liegen. Das ist die Utopie bei Doillon: daß die alten Hier­ar­chien zwischen innen und außen, Fühlen und Handeln, Absicht und Ergebnis im Kino über den Haufen geworfen werden.« (Michael Althen)