23.12.2010

Der Film zum Fest

Die Vogelpredigt oder Das Schreien der Mönche von Clemens Klopfenstein
Auch (k)ein Weih­nachts­film: Die Vogel­pre­digt oder Das Schreien der Mönche von Clemens Klop­fen­stein (Foto: Swiss Films)

Von Michael Haberlander

Besinn­liche Gedanken zum weih­nacht­li­chen Kino

Das Diktum, dass Kunst zeitlos ist (oder zumindest sein sollte), erfährt Jahr für Jahr im Dezember einen krassen Wider­spruch. Dann, wenn die Tage immer kürzer, die bren­nenden Kerzen immer mehr und die Menschen immer genervter werden, wenn also alles auf Weih­nachten zusteuert, dann findet man im Kino (und im Fernsehen als dessen Wieder­auf­be­rei­tungs­an­lage) die einzige cine­as­ti­sche Saison­ware des ganzen Jahres, den Weih­nachts­film. Zwar gibt es auch Filme die z.B. im Fasching bzw. Karneval oder in den großen Sommer­fe­rien oder an Halloween spielen, jedoch werden diese in der Regel nicht ausdrück­lich zur Vorfüh­rung an diesem bestimmten Datum erstellt (was sie aber nicht davor bewahrt, dann doch regel­mäßig zu diesem Anlass hervor­ge­holt zu werden, siehe etwa zum Kehraus oder an Halloween).

Nur in der Weih­nachts­zeit treibt ein sonder­bares Verlangen die Menschen dazu, die Zeit, die sie gerade durch­leben, auch im Film darge­stellt sehen zu wollen. Während die Menschen sonst ins Kino flüchten, um etwas anderes als ihren Alltag zu erleben, zieht es sie an Weih­nachten genau zu den Filmen, die zeigen, womit sie in dieser Zeit ohnehin über­sät­tigt werden. Warum ist dem so? Warum gibt es dieses Phänomen (das ähnlich übrigens auch in der populären Musik existiert) nur an Weih­nachten? Und was macht einen echten Weih­nachts­film eigent­lich aus?

Denn keines­wegs jeder Film, in dem ein Weih­nachts­mann, Christ­bäume oder Rentiere vorkommen, ist ein richtiger Weih­nachts­film. Oft ist es wie in der wunder­baren Warenwelt, in der alltäg­li­chen Produkten zur besseren Verkäuf­lich­keit das Weih­nacht­se­ti­kett aufge­klebt wird, was aber nichts am eigent­li­chen Charakter der Sache ändert. Cola wird nicht zur Weih­nachts­cola, weil in der Werbung ein rotba­ckiger Weih­nachts­mann davon trinkt und eine harmlose Komödie wird nicht wirklich zur Weih­nachts­komödie, weil jemand einen Weih­nachts­baum anstelle einer Torte ins Gesicht bekommt. Klas­si­sches Beispiel für dieses Prinzip der Austausch­bar­keit ist die Film­fa­milie Griswold, deren Vacation-Abenteuer ein »Christmas« in gleicher Weise voran­ge­stellt werden kann wie ein »European« oder ein »Vegas«.

Echte Weih­nachts­filme zeichnen sich nicht allein durch die auffäl­ligen Insignien des Fests, sondern vor allem durch die immer gleichen Motive und Botschaften aus. So steht meist die Familie bzw. Ersatz­fa­mi­lien bzw. sonstiges soziales Leben (ausdrück­lich ohne sexuelle Aspekte) im Mittel­punkt, es geschehen echte und vermeint­liche Wunder, es geht um Werte, um Moral, um das Gute (im Menschen und auf der Welt) und wie es hervor­tritt bzw. wie man es zum Vorschein bringt. Erstaun­li­cher­weise kommen solche Filme trotz ihrer expli­ziten Ausrich­tung auf Weih­nachten und den gerade genannten Aspekten nahezu voll­kommen ohne religiöse Bezüge aus.

Dieses sonder­bare Paradox erklärt sich aber rasch, wenn man erkennt, dass Ursprung und Inspi­ra­tion (für etwa europäi­sche Produk­tionen) der hier bespro­chenen Weih­nachts­filme in den USA liegen. In einem Land, in dem viele verschie­dene Reli­gionen gleich­be­rech­tigt neben­ein­ander exis­tieren, ist der öffent­liche Umgang mit reli­giösen Symbolen oder Praktiken eine heikle Ange­le­gen­heit, weshalb man in Amerika zur Vermei­dung von Konflikten solche Themen gerne verall­ge­mei­nert, umwidmet oder versach­licht. Deshalb wird in der Öffent­lich­keit Weih­nachten eben nicht mehr vorrangig als das Fest der Heiligen Familie, sondern der Familie allgemein darge­stellt und man wünscht sich »Schöne Feiertage« anstatt »Froher Weihnacht« (ein amüsanter Kommentar hierzu ist die Folge »Zurück zu Weih­nachten« der Serie American Dad).

Als mediale Grundlage für die bekennt­nis­neu­trale Aufbe­rei­tung von Weih­nachten hat sich dabei (quasi als nicht­re­li­giöses Evan­ge­lium) die »Weih­nachts­ge­schichte« von Charles Dickens etabliert. Die Geschichte vom schlechten Menschen und Weih­nachts­ver­wei­gerer Ebenezer Scrooge, der zur Weih­nachts­zeit durch den Besuch von Geistern zum besseren Menschen geläutert wird, ist (nicht nur als Buch, sondern auch durch seine filmi­schen Inter­pre­ta­tionen) ebenso in den großen eklek­ti­zis­ti­schen Kanon der ameri­ka­ni­schen (Populär-)Kultur und Mythen einge­gangen, wie Willy Wonka und seine geheim­nis­volle Scho­ko­la­den­fa­brik oder der Zauberer von Oz.

Während 1946 in Ist das Leben nicht schön? noch ein Engel Jimmy Stewart vor dem weih­nacht­li­chen Selbst­mord retten durfte, erwies sich in einer zunehmend säkularer werdenden Kultur Dickens' ›Weih­nachts­ge­schichte‹ etwa mit den zwar spiri­tu­ellen aber nicht religiös begrün­deten Geistern (wie etwa dem berühmten »Geist der vergan­genen Weihnacht«) als perfekte Blaupause für den glau­bens­neu­tralen und damit konsens­fähigen Weih­nachts­film.

Nach diesem Grund­schema wird in typischen Weih­nachts­filmen bis heute eine Mensch­wer­dung gefeiert, nur eben nicht die des Sohns Gottes, sondern die jedes einzelnen. Selbst das größte Scheusal kann wieder zum (guten) Menschen werden, selbst das verfah­renste Leben kann wieder in die richtige Bahn kommen, wenn man sich nur auf die wahren Werte und die entschei­denden Aspekte im Leben (Familie, Hilfs­be­reit­schaft, etc.) besinnt.

Erreicht wird dieses Ziel ausnahmslos durch eine Katharsis, die heut­zu­tage weniger durch Geister als vielmehr durch eine beschwer­liche Reise, der Konfron­ta­tion mit außer­ge­wöhn­li­chen Menschen oder der Bewäl­ti­gung bestimmter Probleme ausgelöst wird. Mit oder ohne Geist ist das Ergebnis immer dasselbe: Die Bösen werden gut, die Guten erhalten was sie verdienen und alle leben harmo­nisch und (deshalb) zufrieden zusammen.

Das mag für manchen nach arg schlichter Moral, Schön­fär­berei und sogar ein bisschen Kitsch klingen. Für all die Menschen, die Jahr für Jahr im Dezember den Weih­nachts­filmen ein nicht uner­heb­li­ches Publikum bescheren, scheint es aber die wahre frohe Botschaft dieses Festes zu sein.