02.10.2008

Auf den Schotterwegen der kinematographischen Landkarte

BUILD A SHIP, SAIL TO SADNESS
Laurin Federleins Build A Ship, Sail To Sadness
(Foto: Laurin Federlein)

Das 3. Underdox zeigt Film-Dokumente und -Experimente in voller Fahrt

Von Dunja Bialas

Unwäg­sam­keit, Abge­le­gen­heit – das, was die meisten Festivals und der Alltag der Kino­wirt­schaft tunlichst meiden, das wagt UNDERDOX, das inter­na­tio­nale Festival für »Dokument und Expe­ri­ment«, wie es sich im Unter­titel nennt. Deshalb kann man getrost sagen, dass UNDERDOX, weit davon entfernt, die breiten Land­straßen der kine­ma­to­gra­phi­schen Landkarte zu befahren, sich die kleinen, abge­le­genen, oftmals noch unent­deckten Schot­ter­wege sucht, um auf ein völlig idea­lis­ti­sches Ziel hinzu­fahren, das da heißt, Grenzen einzu­reißen zwischen den Genres von Doku­mentar- und Spielfilm, Expe­ri­mente zuzu­lassen, und sei es das Expe­ri­ment dieses Festivals, das am heutigen Donnerstag seine dritte Eröffnung feiert.

34 Lang- und Kurzfilme sind in vier Tagen in einem verdich­teten Programm im Film­mu­seum München und im Werk­statt­kino zu sehen, und dann noch drei weitere Tage lang in der Geburts­stätte des »Entle­genen und Verwegen«, wie einst eine Salon­reihe im Werk­statt­kino unter­ti­telt war.

UNDERDOX hat sich dieses Jahr in einem seiner Schwer­punkte Spanien zugewandt.
In einem Doppel­pro­gramm wird José Luis Gueríns Dyptichon En la ciudad de Sylvia und Unas fotos en la ciudad de Sylvia gezeigt, zwei Filme, die man unbedingt zusammen sehen sollte und die letztes Jahr auf den großen Festivals für Furore gesorgt haben und so manche Top-Ten-Liste des Jahres 2008 schmücken werden (Sa. 18:30 und 20:30 Uhr, Film­mu­seum).
UNDERDOX hat dieses Jahr auch Gäste: Erwähnt sei die Gast­ku­ra­torin Jenny Gil Schmitz (»Cahiers du Cinéma«, Spanien), die aus Barcelona Filmkunst mitbringt mit namhaften Video­künst­lern wie Jordi Colomer (mit seiner neuesten Arbeit) oder Iñaki Garmendia, der zur Vorstel­lung anwesend sein wird (So. 20:30 Uhr, Film­mu­seum).

Khavn is a bad boy. Aber anders als zwischen­zeit­lich gedacht, kann nun doch die Vorstel­lung von Phil­ip­pine Bliss des Filippino-Digital-Fass­bin­ders Khavn de la Cruz statt­finden – er ist eben von den Jungen Wilden der Filippino New Wave der mit Abstand unbe­zähm­barste und sorgt immer für Spannung (Sa., 20:15 Uhr, Werk­statt­kino). Ebenso spannend, aber im Vergleich zu Khavn um vieles etablierter und auch zahmer, sind die Arbeiten seines Regie­kol­le­gens Brillante Ma. Mendoza. Sein Film Tirador wurde auf der dies­jäh­rigen Berlinale mit dem Caligari-Preis ausge­zeichnet und läuft am Dienstag um 20:15 Uhr im Werk­statt­kino. Aus Asien kommt außerdem große Doku­men­tar­film­kunst mit Arbeiten der Chinesen Wang Bing und Zhao Liang, ersterer ist bekannt geworden durch seine neun-Stunden-Doku West Of The Tracks, letzterer ist schon lange ein großer Name in der inter­na­tio­nalen Kunst­szene. He Fenming – Fenming, A Chinese Memoire von Wang Bing läuft am Mittwoch um 20:15 Uhr im Werk­statt­kino und Crime & Punish­ment, ein bitter­ernstes Räuber-und-Gendarm-Stück an der Grenze Chinas zu Nordkorea ist am Freitag um 18:00 Uhr im Film­mu­seum sehen. Aus Thailand kommt die Video­ar­beit des Regie-Genies Apichat­pong Weer­a­set­hakul Emerald – Morakot, die in der ZKMax-Unter­füh­rung rund um die Uhr als ganz­wöchige Instal­la­tion gezeigt wird. Wer den Film auf Groß­lein­wand im Kino sehen will, sollte zur Eröffnung kommen (Do. 20:30 Uhr, Film­mu­seum). Schließ­lich HO, ein Film aus Vietnam führt uns die komplexe Geschichte Asiens, in der Thailand, Japan und Vietnam eng mitein­ander verwoben sind. Auch die Regis­seurin Gaëlle Vu Binh Giang wird zur Präsen­ta­tion ihres Films vor Ort sein (So., 18:00 Uhr, Film­mu­seum).

Einen weiterer Gast wird bei Vorfüh­rung von Build A Ship, Sail To Sadness zugegen sein. Regisseur Laurin Federlein wird Rede und Antwort stehen, wenn es gilt, sein absurdes, musi­ka­li­sches Roadmovie zu erläutern, in dem ein moderner Don Quixote durch die schot­ti­sche Hochebene fährt und versucht, der isolierten und sturen Bevöl­ke­rung seine »mobile Disko« schmack­haft zu machen (Fr., 22:15 Uhr, Werk­statt­kino).

Einen beson­deren Hinweis verdienen auch zwei Filme, die den War Against Terror und den Krieg in Afgha­ni­stan zum Thema haben. Standing Up von Waise Azimi (Sa. 22:15 Uhr, Werk­statt­kino) fängt scho­nungslos die Ausbil­dung der Rekruten der afgha­ni­schen Natio­nal­armee durch die Alli­ierten ein, und in Why Didn’t Anybody Tell Me It Would Become This Bad In Afgha­ni­stan (Mo. 22:25 Uhr, Werk­statt­kino) seziert ein Afgha­ni­stan-Heim­kehrer in seiner nieder­län­di­schen Heimat­stadt einen Krieg-im-Frieden-Zustand zwischen Immi­granten, der Polizei und der Gesell­schaft. Übrigens der erste abend­fül­lende Film, der mit einem Mobil­te­lefon gedreht wurde.

Und dies ist typisch für UNDERDOX: sich anderen, noch nicht etablierten Formen des Filmens zu öffnen, auf der Suche zu sein nach den Expe­ri­menten des Kinos. Klar schweift in diesem Kontext dann auch der Blick nach Öster­reich, wo sich Avant­garde-Filme nicht nur einer mitt­ler­weile schul­fähigen Tradition erfreuen dürfen, sondern wo eben auch das expe­ri­men­telle Film­schaffen nach wie vor gefördert, von einem Verleih unter­s­tüzt und folglich auch gezeigt wird. »Sixpack«, das wissen die Einge­weihten, ist das Label, unter dem man diese expe­ri­men­tellen Austria-Produk­tionen beziehen kann. UNDERDOX hat einen Abend mit Sixpack-Kurz­filmen zusam­men­ge­stellt, der wieder zeigt, wie wagemutig Öster­reichs (und überhaupt) Film­pro­duk­tion sein kann.

Einen beson­deren Tipp verdient noch das Programm »Anima­tionen & Anima­teure« (So. 22:15 Uhr, Werk­statt­kino). Nicht nur erhalten die Zuschauer die authen­ti­schen Erfah­rungs­be­richte über das »erste Mal« in vier Anima­tions-Varia­tionen (Never Like The First Time des Schweden Jonas Odell), auch können sie den verstor­benen Werner Guhl, Sänger und Musiker der Münchner Fraun­hofer Schop­pen­stube, wieder­erleben. Im Anschluss bietet sich ein Besuch im benach­barte Etablissment an...

Zuletzt sei noch hinge­wiesen auf eine Gesprächs­runde: Doku­men­tar­filmer und Video­künstler sprechen über Stationen ihrer beruf­li­chen Ausbil­dung, ihren profes­sio­nellen Weg und über die Schwie­rig­keit, sich mit ihren Arbeiten im kultu­rellen Leben zu posi­tio­nieren. Unter anderem mit Peter Goedel, dem Regisseur von Schop­pen­stube und Alexander Riedel, Regisseur von Draußen bleiben. Es wird eine verbale Ergänzung werden zu den visuellen »Schot­ter­wegen«, die Schwie­rig­keiten des Parcours aufzeigt, wenn man versucht, seinen Idealen treu zu bleiben, auf der grob gezeich­neten Karte inmitten des Main­streams. Und das kann dann durchaus auch für UNDERDOX gelten.

Dunja Bialas

Die Autorin ist Mitbe­grün­derin und Co-Leiterin von UNDERDOX.

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