12.10.2006

Auf der Suche nach dem Underdox

Finissage
»Finissage« mit ungarischem Magenbitter
(Foto: privat)

Underdox, die erste. Sechs Tage: Dokumente für Neugierige, Experimente für Grenzgänger, Festival für Andersseher. Gewissermaßen: So was hat die Stadt noch nicht gesehen. Und ich war nicht dabei.

Von Nani Fux

Trotzdem: Über ein Festival schreiben, das man verpasst hat – das passt irgendwie zu Underdox, beschließe ich. Quasi: Fake Festi­val­be­richt­erstat­tung.

Auf Spuren­suche nach dem Under­doxen in der Münchner Trink­halle. Hier hocken sie, die Festi­val­ve­te­ranen, trinken zum Auskehr deutschen Sekt und ein Getränk, das Unicum heißt, ein unga­ri­scher Magen­bitter ist und auch so schmeckt. Auf den Leucht­ti­schen glühen Bier­fla­schen. Nimmt man mit underdox-geschärftem Blick die Realität anders wahr?

Was ist anders an Underdox, frage ich tollkühn. Gaaanz falsche Frage, sagt Dunja Biallas, Festi­val­ku­ra­torin, und mit der Autorin hoffent­lich noch immer befreundet. Natürlich: Alles ist anders an Underdox.

Die Frage des Abends heißt vielmehr: Who’s done it? Gemeint ist: Wer hat sich das phil­ip­pi­ni­sche Fami­li­en­chro­nik­do­ku­men­ta­r­epos The Evolution of a Filipino Family von zehn Stunden plus in ganzer Länge und Breite ange­schaut? In der Ecke sitzt bescheiden einer, der hat. Quasi: Held des Abends. Man hätte T-Shirts verteilen sollen. Mit »I've done it« oder »I've done it half«. Je nach dem. Die phil­ip­pi­ni­schen Festi­val­gäste haben den Film in der ersten Pause verlassen, munkelt man. Viel­leicht dachten sie, nach schnöden drei­ein­halb Weich­ei­er­stunden ist er schon aus. Dafür gibt’s natürlich kein Shirt, nicht mal ein halbes.

Ich frag den Helden, wie man das schafft. Überhaupt kein Problem, sagt er lässig. Span­nungs­bogen 643 Minuten. Genauer: 643 Minuten im Werk­statt­kino. Ich finde: Großtat. Mein Held des Abends erzählt, dass er den Film in Rotterdam schon sehen wollte, aber das ging aber nicht wegen: Rück­fahr­karte. Und dann steht er auf und geht heim, weil es auch in München letzte Züge gibt.

Rüdiger S. gibt sich die Ehre. Er hat das Festival auch verpasst. Wir: Zwei Außen­seiter am Tresen. Eindeutig: Underdogs.

Wofür brauchen wir Underdox, frage ich irgend­wann mit leiser Verzweif­lung einen fleißigen Festi­val­gänger, der mit einer Punktzahl von acht Filmen aufwarten kann, wenn man die halb gesehenen mitrechnet. Er schaut mich an wie ein Insekt.

Mehr Sekt, mehr Magen­bitter – das macht es auch nicht leichter, den Dingen auf den Grund zu gehen. Auf den Tischen welken Rosen in rauch­ge­schwän­gerter Luft. Underdox bedeutet auch, die Dinge auf den Kopf zu stellen, sagt Festi­val­or­ga­ni­sator Bernd Brehmer schließ­lich mitleidig aber kryptisch zu mir.

Um drei Uhr morgens geh ich heim, den Kopf voller Filme, die ich nicht gesehen habe. Expe­ri­ment geschei­tert. Einziger Trost: Nächstes Jahr ist wieder Underdox.