22.05.2025
78. Filmfestspiele Cannes 2025

Wer stürzt schon gerne über Palmen...

Romería
Dann doch auch ein »deutscher« Film: Carla Simóns spanischer Film Romería
(Foto: Quim Vives / Elastica Films)

Harte Arbeit am Strand: In Cannes kann man das Geld riechen und hören – Cannes-Tagebuch, 4. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Wer an der Küste bleibt, kann keine neuen Ozeane entdecken.«
– Fernando de Magal­lanes (1480 – 1521)

In Cannes ist eine Palme umge­stürzt. Keine Goldene, sondern eine echte, und das auch noch mitten am Tag, und direkt auf die Croisette, auf der zu diesem Zeitpunkt Dutzende von Menschen, darunter viele Festi­val­gäste, entlang­fla­nierten. Ein Mann, ein chine­si­scher Film­pro­du­zent wurde von dem zerbers­tenden, etwas einein­halb Tonnen schweren Baum verletzt ins Kran­ken­haus einge­lie­fert, konnte dies aber inzwi­schen wieder verlassen.

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Nicht alle sind in Cannes. Wolfram Weimer, der neue Kultur­staats­mi­nister ist zum Beispiel nicht gekommen. Er hat offenbar Besseres zu tun. »Herr Kultur­staats­mi­nister Weimer wird die Inter­na­tio­nalen Film­fest­spiele von Cannes nicht besuchen.« lautet die lapidare Auskunft einer Pres­se­re­fe­rentin des BKM, nachdem ich dort vergan­gene Woche eine entspre­chende Anfrage gestellt hatte.

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Nicht alle sind in Cannes. Aber genug. Menschen, die viel zu tun haben, und solche, die gar nichts zu tun haben. Sogar ein Münchner Regiepaar, das sich vor genau 20 Jahren bei German-Films-Nach­wuchs­party kennen­ge­lernt hatte, ist hier, um den Termin zu feiern und nebenbei ein paar Filme anzusehen.

»Die Film­fest­spiele von Cannes sind für uns das Highlight des Jahres.« erzählt mir ein auslän­di­scher Produzent: »Es ist für Filme­ma­cher das, was für Sportler die Teilnahme an einer Welt­meis­ter­schaft ist. Aber in Cannes zu sein, ist auch harte Arbeit.« – nach harter Arbeit sieht es auf den ersten Blick aller­dings überhaupt nicht aus beim Luxem­burger Empfang, den ich am Samstag besuchte. Ein paar hundert Menschen stehen da im dicht gefüllten Zelt, mit einem oder schon dem zweiten Glas Cremant oder Rosé und einem Canapé in den Händen. Manche tragen Abend­kleid und Smoking für die spätere Kino­pre­miere, andere, vor allem die viel­be­schäf­tigten Film­rechtehändler und Pres­se­be­richt­erstatter sind prag­ma­ti­scher in Bluse und Jeans unterwegs. Sie sehen bis zu sechs Filme am Tag, und machen bei solchen Empfängen, die sich gerade an den ersten Tagen ballen, nur kurz Station, bevor sie zum nächsten Termin hasten. Direkt hinter dem Zelt liegt sonnen­durch­flutet der Strand der Bucht von Cannes. Zunächst lauschen die Gäste den kurzen Reden des Luxem­burger Kultur­mi­nis­ters Eric Thill, der es im Gegensatz zu seinem deutschen Amts­kol­legen nach Cannes geschafft hat, und von Guy Daleiden, dem Direktor des »Film Fund Luxem­bourg«, der in kürzlich sein 35. Bestehen feierte und in diesem Jahr zum 27. Mal in Folge bei den Film­fest­spielen von Cannes.

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Am Samstag gab es wieder den »deutschen Tag«, wie das die Deutschen gern nennen: Der Tag des Empfangs.
Der Kultur­staats­mi­nister ist zwar nicht da, was schade ist, wer aber zum letzten Mal da war, jeden­falls in ihrer alten Funktion, ist Kirsten Niehuus und das ist viel­leicht mal ein Anlass, zu sagen, dass es einfach riesen­großer Quatsch ist, wie es leider einige in der deutschen Film­branche tun, die Misere des deutschen Kinos ausge­rechnet am Medi­en­board auszu­lassen, oder am Inten­dan­ten­prinzip, von dem Niehuus zu Recht überzeugt ist. Man wird sie und dieses Inten­dan­ten­mo­dell noch vermissen, denn dieses Inten­dan­ten­mo­dell ist eine der wenigen Möglich­keiten, den deutschen Film doch noch zu retten.

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Wenn man die Pres­se­mit­tei­lung liest, dann geht es dem deutschen Film super: »Sieben FFA- und BKM-geför­derte Filme im Wett­be­werb, inter­na­tio­nale Zusam­men­ar­beit im Fokus.
Berlin, 13. Mai 2025 – Vivent les co-produc­tions! Bei den heute begin­nenden 78. Film­fest­spielen von Cannes (noch bis 24. Mai 2025) konkur­rieren auch fünf FFA- und zwei BKM-geför­derte (Ko-)Produk­tionen um die Goldene Palme. Drei davon gehören zu den ersten Titeln, die mit Mitteln des 2024 aufge­legten Mino­ri­tären Kopro­duk­ti­ons­fonds der FFA gefördert wurden. Künftige Koope­ra­tionen können bei fünf Kopro­duk­ti­ons­treffen mit FFA-Betei­li­gung im Rahmen des Marché du Film (bis 21. Mai 2025) einge­fä­delt werden.«

Deutsche Filme in diesem Sinn sind Carla Simóns spani­scher Romería – deutscher Kopro­duk­ti­ons­partner ist Ventall Cinema aus Berlin, Kleber Mendonça Filhos The Secret Agent, sowie La petite dernière von Hafsia Herzi, deutsch-fran­zö­si­sche Kopro­duk­ti­ons­för­de­rung hatte außerdem Sergei Lozs­nitsas Two Prose­cu­tors, und Joachim Triers Senti­mental Value ist eine norwe­gisch-fran­zö­sisch-dänisch-deutsche Kopro­duk­tion.

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Außer dem deutschen Empfang gibt es im deutschen Pavillon tägliche »Happy Hours«, dazu kommen weitere punk­tu­elle Bran­chen­treffen, zu denen ein kleinerer Kreis von Filme­ma­chern und Film­händ­lern geladen ist.

Dieser »deutsche Pavillon« ist ein kleineres Zelt, ebenfalls am Strand, das während des Festivals als eine Art ständige Vertre­tung der deutschen Filmszene fungiert, und von German Films, der Auslands­or­ga­ni­sa­tion des deutschen Kinos in Koope­ra­tion mit den Film­för­der­an­stalten der Bundes­länder betrieben wird, um über die deutsche Film­ar­beit zu infor­mieren.
»Man kann sich hier gut vernetzen« bestä­tigen Teil­nehmer. Sie sind aller­dings alle Deutsche, wie ich überhaupt bei meinen sehr gele­gent­li­chen Besuchen den Eindruck habe, dass der »deutsche Pavillon« nicht zuletzt eine Oase für jenen Teil der deutschen Cannes-Besucher ist, die sich nicht so gern aus der deutschen Blase heraus­trauen. Man könnte sich ja auch in einem Restau­rant oder Café treffen, oder gar – hohoho – mal ins Kino gehen.

Mit alldem sind die Deutschen aber keines­wegs alleine. Über 100 Länder haben in Cannes solche Pavillons. Man macht hier vor allem Termine und trifft sich abseits des Trubels zu ruhigen Meetings, oder auslän­di­sche Besucher und deutsche Newcomer fragen nach bestimmten Ansprech­part­nern, Kontakt­adressen und anderen Infor­ma­tionen.

Auf die Frage, ob man all dies heute nicht besser online erledigen könnte, und warum man nach Cannes fliegen muss, anstatt sich weitaus kosten­güns­tiger und schneller per Zoom zu verab­reden, haben erfahrene Produ­zenten eine ganz klare und über­zeu­gende Antwort: Das könne man machen, wenn man sich schon gut kennt. »Aber wenn man sich überhaupt erst kennen­lernen will, und fest­stellen, ob es 'klickt' und eine gute Chemie besteht, dann ersetzt nichts das persön­liche Treffen.« Schließ­lich brauche es viel Vertrauen, wenn inter­na­tio­nale Firmen zusam­men­ar­beiten. »Denn das bedeutet ja auch, dass man viel Geld inves­tiert.«

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Genau darum ist der Filmmarkt von Cannes nach wie vor der wich­tigste der Welt, jeden­falls für alles Kino mit Kunst­an­spruch und für all jene Produk­ti­ons­firmen all jener Länder, die jenseits von Hollywood produ­zieren.

Gelegen im unteren Geschoss – gewis­ser­maßen in Maschi­nen­raum – des monu­men­talen »Palais de Festival« von Cannes, der in seiner aus den frühen 80ern stam­menden bruta­lis­ti­schen Archi­tektur ein bisschen aussieht, wie ein Raum­schiff aus den ersten Teilen des »Star Wars«-Univer­sums, reprä­sen­tiert er die zweite Seite des Film­fes­ti­vals von Cannes, jene Seite, die den Blicken der breiten Öffent­lich­keit oft entzogen ist, weil sie das weniger inter­es­siert. Aber auch weil der ganze Rummel aus Stars und Sternchen, aus rotem Teppich und Klei­der­ord­nung, aus Nach­richten über Boulevard-Aufre­gungen und Aufstieg und Fall gewisser Film Karrieren oder »Skandal-Filme« oder die poli­ti­sche Relevanz mancher Werke zum Teil auch nur den Zweck hat, von dieser zweiten Seite im Maschi­nen­raum abzu­lenken.

Denn sie ist jene der beiden Seiten, die die eigent­liche Wahrheit der Film­branche offenbart: Am Ende geht es vor allem ums Geld. Und die Film­in­dus­trie ist eine der wirt­schaft­lich stärksten Branchen der Welt, und zugleich die kulturell einfluss­reichste.

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Zugleich ist das Handeln mit Kino­filmen natürlich immer noch etwas anderes, als wenn man mit Rohmetall oder Gummi­reifen oder anderem, banalem Geschäfte machen würde. Es gehört Leiden­schaft dazu und das gewisse Etwas, die flirrende Ausstrah­lung, die ein Kunstwerk selbst da, wo es nicht restlos gelungen ist immer auch hat, weil es alle Sinne der Menschen berührt.

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Aber auch das Geld kann man in Cannes förmlich riechen und sehen und manchmal auch hören, jeden­falls, wenn man den Gesprächen lauscht, die man zufällig am Neben­tisch aufschnappt oder in einer Einlass­schlange. Auch diese Zufalls­be­geg­nungen machen das Faszi­nosum von Cannes aus.

Es ist ja keines­wegs so, dass man hier nur hoch­an­spruchs­vollen, intel­lek­tu­ellen oder gar schwie­rigen Kunst­pro­jekten begegnet – jeder der sich einmal auf dem hiesigen Filmmarkt umsieht, wird hier den Teams eines indischen Horror­films genauso begegnen, wie einem Produ­zenten aus Dubai, der eine doku­men­ta­ri­sche Serie über Mode bereits fertig­ge­stellt hat und einfach nur nach Cannes gekommen ist, weil er gute Abnehmer für die Serie sucht.

Grund­sätz­lich nicht anders geht es auch den deutschen Filme­ma­chern, die hier auf dem Markt unterwegs sind. Hoffnung auf gute Geschäfte und Pläne für neue Projekte gehen Hand in Hand mit kleineren und größeren Enttäu­schungen oder Budget-Sorgen, mit denen in diesen Zeiten fast jedes Projekt zu kämpfen hat.
Es ist wie gesagt eben harte Arbeit. Aber sie ist auch schön.