78. Filmfestspiele Cannes 2025
Wer stürzt schon gerne über Palmen... |
![]() |
|
Dann doch auch ein »deutscher« Film: Carla Simóns spanischer Film Romería | ||
(Foto: Quim Vives / Elastica Films) |
»Wer an der Küste bleibt, kann keine neuen Ozeane entdecken.«
– Fernando de Magallanes (1480 – 1521)
In Cannes ist eine Palme umgestürzt. Keine Goldene, sondern eine echte, und das auch noch mitten am Tag, und direkt auf die Croisette, auf der zu diesem Zeitpunkt Dutzende von Menschen, darunter viele Festivalgäste, entlangflanierten. Ein Mann, ein chinesischer Filmproduzent wurde von dem zerberstenden, etwas eineinhalb Tonnen schweren Baum verletzt ins Krankenhaus eingeliefert, konnte dies aber inzwischen wieder verlassen.
+ + +
Nicht alle sind in Cannes. Wolfram Weimer, der neue Kulturstaatsminister ist zum Beispiel nicht gekommen. Er hat offenbar Besseres zu tun. »Herr Kulturstaatsminister Weimer wird die Internationalen Filmfestspiele von Cannes nicht besuchen.« lautet die lapidare Auskunft einer Pressereferentin des BKM, nachdem ich dort vergangene Woche eine entsprechende Anfrage gestellt hatte.
+ + +
Nicht alle sind in Cannes. Aber genug. Menschen, die viel zu tun haben, und solche, die gar nichts zu tun haben. Sogar ein Münchner Regiepaar, das sich vor genau 20 Jahren bei German-Films-Nachwuchsparty kennengelernt hatte, ist hier, um den Termin zu feiern und nebenbei ein paar Filme anzusehen.
»Die Filmfestspiele von Cannes sind für uns das Highlight des Jahres.« erzählt mir ein ausländischer Produzent: »Es ist für Filmemacher das, was für Sportler die Teilnahme an einer Weltmeisterschaft ist. Aber in Cannes zu sein, ist auch harte Arbeit.« – nach harter Arbeit sieht es auf den ersten Blick allerdings überhaupt nicht aus beim Luxemburger Empfang, den ich am Samstag besuchte. Ein paar hundert Menschen stehen da im dicht gefüllten Zelt, mit einem oder schon dem zweiten Glas Cremant oder Rosé und einem Canapé in den Händen. Manche tragen Abendkleid und Smoking für die spätere Kinopremiere, andere, vor allem die vielbeschäftigten Filmrechtehändler und Presseberichterstatter sind pragmatischer in Bluse und Jeans unterwegs. Sie sehen bis zu sechs Filme am Tag, und machen bei solchen Empfängen, die sich gerade an den ersten Tagen ballen, nur kurz Station, bevor sie zum nächsten Termin hasten. Direkt hinter dem Zelt liegt sonnendurchflutet der Strand der Bucht von Cannes. Zunächst lauschen die Gäste den kurzen Reden des Luxemburger Kulturministers Eric Thill, der es im Gegensatz zu seinem deutschen Amtskollegen nach Cannes geschafft hat, und von Guy Daleiden, dem Direktor des »Film Fund Luxembourg«, der in kürzlich sein 35. Bestehen feierte und in diesem Jahr zum 27. Mal in Folge bei den Filmfestspielen von Cannes.
+ + +
Am Samstag gab es wieder den »deutschen Tag«, wie das die Deutschen gern nennen: Der Tag des Empfangs.
Der Kulturstaatsminister ist zwar nicht da, was schade ist, wer aber zum letzten Mal da war, jedenfalls in ihrer alten Funktion, ist Kirsten Niehuus und das ist vielleicht mal ein Anlass, zu sagen, dass es einfach riesengroßer Quatsch ist, wie es leider einige in der deutschen
Filmbranche tun, die Misere des deutschen Kinos ausgerechnet am Medienboard auszulassen, oder am Intendantenprinzip, von dem Niehuus zu Recht überzeugt ist. Man wird sie und dieses Intendantenmodell noch vermissen, denn dieses Intendantenmodell ist eine der wenigen Möglichkeiten, den deutschen Film doch noch zu retten.
+ + +
Wenn man die Pressemitteilung liest, dann geht es dem deutschen Film super: »Sieben FFA- und BKM-geförderte Filme im Wettbewerb, internationale Zusammenarbeit im Fokus.
Berlin, 13. Mai 2025 – Vivent les co-productions! Bei den heute beginnenden 78. Filmfestspielen von Cannes (noch bis 24. Mai 2025)
konkurrieren auch fünf FFA- und zwei BKM-geförderte (Ko-)Produktionen um die Goldene Palme. Drei davon gehören zu den ersten Titeln, die mit Mitteln des 2024 aufgelegten Minoritären Koproduktionsfonds der FFA gefördert wurden. Künftige Kooperationen können bei fünf Koproduktionstreffen mit FFA-Beteiligung im Rahmen des Marché du Film (bis 21. Mai 2025) eingefädelt werden.«
Deutsche Filme in diesem Sinn sind Carla Simóns spanischer Romería – deutscher Koproduktionspartner ist Ventall Cinema aus Berlin, Kleber Mendonça Filhos The Secret Agent, sowie La petite dernière von Hafsia Herzi, deutsch-französische Koproduktionsförderung hatte außerdem Sergei Lozsnitsas Two Prosecutors, und Joachim Triers Sentimental Value ist eine norwegisch-französisch-dänisch-deutsche Koproduktion.
+ + +
Außer dem deutschen Empfang gibt es im deutschen Pavillon tägliche »Happy Hours«, dazu kommen weitere punktuelle Branchentreffen, zu denen ein kleinerer Kreis von Filmemachern und Filmhändlern geladen ist.
Dieser »deutsche Pavillon« ist ein kleineres Zelt, ebenfalls am Strand, das während des Festivals als eine Art ständige Vertretung der deutschen Filmszene fungiert, und von German Films, der Auslandsorganisation des deutschen Kinos in Kooperation mit den Filmförderanstalten der Bundesländer betrieben wird, um über die deutsche Filmarbeit zu informieren.
»Man kann sich hier gut vernetzen« bestätigen Teilnehmer. Sie sind allerdings alle Deutsche, wie ich überhaupt bei
meinen sehr gelegentlichen Besuchen den Eindruck habe, dass der »deutsche Pavillon« nicht zuletzt eine Oase für jenen Teil der deutschen Cannes-Besucher ist, die sich nicht so gern aus der deutschen Blase heraustrauen. Man könnte sich ja auch in einem Restaurant oder Café treffen, oder gar – hohoho – mal ins Kino gehen.
Mit alldem sind die Deutschen aber keineswegs alleine. Über 100 Länder haben in Cannes solche Pavillons. Man macht hier vor allem Termine und trifft sich abseits des Trubels zu ruhigen Meetings, oder ausländische Besucher und deutsche Newcomer fragen nach bestimmten Ansprechpartnern, Kontaktadressen und anderen Informationen.
Auf die Frage, ob man all dies heute nicht besser online erledigen könnte, und warum man nach Cannes fliegen muss, anstatt sich weitaus kostengünstiger und schneller per Zoom zu verabreden, haben erfahrene Produzenten eine ganz klare und überzeugende Antwort: Das könne man machen, wenn man sich schon gut kennt. »Aber wenn man sich überhaupt erst kennenlernen will, und feststellen, ob es 'klickt' und eine gute Chemie besteht, dann ersetzt nichts das persönliche Treffen.« Schließlich brauche es viel Vertrauen, wenn internationale Firmen zusammenarbeiten. »Denn das bedeutet ja auch, dass man viel Geld investiert.«
+ + +
Genau darum ist der Filmmarkt von Cannes nach wie vor der wichtigste der Welt, jedenfalls für alles Kino mit Kunstanspruch und für all jene Produktionsfirmen all jener Länder, die jenseits von Hollywood produzieren.
Gelegen im unteren Geschoss – gewissermaßen in Maschinenraum – des monumentalen »Palais de Festival« von Cannes, der in seiner aus den frühen 80ern stammenden brutalistischen Architektur ein bisschen aussieht, wie ein Raumschiff aus den ersten Teilen des »Star Wars«-Universums, repräsentiert er die zweite Seite des Filmfestivals von Cannes, jene Seite, die den Blicken der breiten Öffentlichkeit oft entzogen ist, weil sie das weniger interessiert. Aber auch weil der ganze Rummel aus Stars und Sternchen, aus rotem Teppich und Kleiderordnung, aus Nachrichten über Boulevard-Aufregungen und Aufstieg und Fall gewisser Film Karrieren oder »Skandal-Filme« oder die politische Relevanz mancher Werke zum Teil auch nur den Zweck hat, von dieser zweiten Seite im Maschinenraum abzulenken.
Denn sie ist jene der beiden Seiten, die die eigentliche Wahrheit der Filmbranche offenbart: Am Ende geht es vor allem ums Geld. Und die Filmindustrie ist eine der wirtschaftlich stärksten Branchen der Welt, und zugleich die kulturell einflussreichste.
+ + +
Zugleich ist das Handeln mit Kinofilmen natürlich immer noch etwas anderes, als wenn man mit Rohmetall oder Gummireifen oder anderem, banalem Geschäfte machen würde. Es gehört Leidenschaft dazu und das gewisse Etwas, die flirrende Ausstrahlung, die ein Kunstwerk selbst da, wo es nicht restlos gelungen ist immer auch hat, weil es alle Sinne der Menschen berührt.
+ + +
Aber auch das Geld kann man in Cannes förmlich riechen und sehen und manchmal auch hören, jedenfalls, wenn man den Gesprächen lauscht, die man zufällig am Nebentisch aufschnappt oder in einer Einlassschlange. Auch diese Zufallsbegegnungen machen das Faszinosum von Cannes aus.
Es ist ja keineswegs so, dass man hier nur hochanspruchsvollen, intellektuellen oder gar schwierigen Kunstprojekten begegnet – jeder der sich einmal auf dem hiesigen Filmmarkt umsieht, wird hier den Teams eines indischen Horrorfilms genauso begegnen, wie einem Produzenten aus Dubai, der eine dokumentarische Serie über Mode bereits fertiggestellt hat und einfach nur nach Cannes gekommen ist, weil er gute Abnehmer für die Serie sucht.
Grundsätzlich nicht anders geht es auch den deutschen Filmemachern, die hier auf dem Markt unterwegs sind. Hoffnung auf gute Geschäfte und Pläne für neue Projekte gehen Hand in Hand mit kleineren und größeren Enttäuschungen oder Budget-Sorgen, mit denen in diesen Zeiten fast jedes Projekt zu kämpfen hat.
Es ist wie gesagt eben harte Arbeit. Aber sie ist auch schön.