29.06.2017
34. Filmfest München 2017

Es lebe die Familie!

Paris kann warten
Paris kann warten – das Debüt der 81-jährigen Eleanor Coppola
(Foto: Tobis Film GmbH)

Adel verpflichtet – die Geschichte der Coppola-Frauen

Von Rüdiger Suchsland

Das Leben kann, warten, das Kino geht vor – die Geschichte der Coppola-Frauen zeigt, dass auch Film-Adel verpflichtet

Dass jemand im Alter von 81 Jahren sein Spiel­film­debüt als Regis­seurin gibt, ist unge­wöhn­lich. Erst recht, weil ein solches Debüt für Eleanor Coppola alles andere als eine leichte Ange­le­gen­heit ist: Denn als Frau des welt­berühmten Regis­seurs Francis Ford Coppola, als Mutter und Groß­mutter weiterer Filme­ma­cher, wird das eigene Werk natürlich anders und strenger angeguckt, als bei einer gewöhn­li­chen spät­be­ru­fenen Regis­seurin.
Ande­rer­seits hat Eleanor ja niemand gezwungen, die Komödie Paris kann warten zu drehen, in dem sie auch noch eine sehr persön­liche Episode erzählt. Aber es ist in dieser Familie, zu der auch Talia Shire (»Rocky«) und die Neffen Nicolas Cage, Jason und John Schwartzman gehören, offenbar so, dass jedes Mitglied irgend­wann auch einmal einen eigenen Film machen muss, und sei es, mit 81.
Im Fall von Eleanor Coppola liegen die Dinge außerdem so, dass sie nie inaktiv, oder »nur Hausfrau und Mutter« war, was man sich in diesem Fall sowieso nicht turbulent genug vorstellen kann.

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1936 wurde sie in Los Angeles geboren, als Tochter eine Zeitungs-Kari­ka­tu­risten, der starb, als sie zehn Jahre alt war. Sie studierte Design, und als Set-Desi­gnerin lernte sie 1962 Francis Ford Coppola kennen, als der sein Spiel­film­debüt drehte. Ein KInd, der erste Sohn Gian-Carlo war unterwegs, und es wurde gehei­ratet. In den nächsten Jahren wurde Francis Ford mit Filmen wie The Conver­sa­tion und dem zwei­tei­ligen Der Pate der berühm­teste Regisseur Amerikas, während Eleanor noch den zweiten Sohn Roman und Tochter Sofia zur Welt brachte. Dann kam Apoca­lypse Now. Gedreht wurde dieses monu­men­tale Vietnam-Epos auf den Phil­ip­pinen, wo die Familie inklusive aller Vorbe­rei­tungen gute drei Jahre verbrachte. Als der Film 1979 die Goldene Palme gewann, und 150 Millionen im Kino einspielte, hätte man die chao­ti­schen Dreh­ar­beiten, bei denen Darsteller ausfielen, Filmsets zerstört wurden, und die Produk­tion mehr als einmal vor der Pleite stand, viel­leicht vergessen. Aber Eleanor hatte drei Jahre lang die Dreh­ar­beiten ohne falsche Ehrfurcht mit ihrer Kamera begleitet, und auch dann nicht wegge­schaut, wenn es abgründig, entblößend, oder für ihren Götter­gatten unan­ge­nehm wurde – so entstand, lange bevor »Making Offs« zum Standard wurden, Heart of Darkness. A film­ma­kers Apoca­lypse, eine intime Innen­an­sicht über den genialen Wahnsinn des Filme­ma­chens und das Wahn­sinns­genie Francis Ford Coppola, die sie zusammen mit George Hicken­looper drehte, einem leider früh verstor­benen alten Bekannten aus Ulla Rapps unver­ges­sener Reihe mit den American Indiepend­ents. Zusätz­lich veröf­fent­lichte sie auch noch ein Buch mit »Notizen über Apoca­lypse Now«, und man kann sagen, dass der Film zwar für sich schon ein Meis­ter­werk ist, aber erst durch Eleanor Coppolas Arbeit zur Legende wurde.

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Danach hat ihr Mann zwar viele weitere Filme gemacht, von denen zwar manche wichtig sind, aber nie wieder fand er zur Form der 70er Jahre. Nachdem er zwischen­durch mit einem eigenen Studio fast pleite ging, verdient er heute gutes Geld als Wein­pro­du­zent, die Filme machen vor allem andere. Eleanor hat in dieser Zeit Kunst­in­stal­la­tionen mit Lynn Hershman gemacht. Paris kann warten, der jetzt beim Filmfest München Deutsch­land­pre­miere hat, kommt daher aus dem Nichts: Die Geschichte über einen Filme­ma­cher (Alec Baldwin), der mit seiner Frau (Diane Lane) und einem fran­zö­si­schen Fahrer (Arnaud Viard) nach Paris fährt und dabei große räumliche wie psychi­sche Umwege nehmen muss, ist offenbar auto­bio­gra­phisch inspi­riert.

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Das sagt man auch den Filmen ihrer Tochter Sofia Coppola nach, die seit 1999 Regis­seurin ist, aber in der harten Film­branche von manchen immer noch vor allem als die Tochter ihres Vaters gesehen wird, trotz sechs ziemlich erfolg­rei­chen Filmen, dem Gewinn eines Goldenen Löwen (2010) und im Mai einer Silbernen Palme in Cannes für de beste Regie in Die Verführten. Dieser Film, der diese Woche ins Kino kommt, erzählt wie alle Sofia Coppola-Filme vom Leben und Erwach­sen­werden in einem verfal­lenden Paradies – in diesem Fall in einem Mädchen­in­ternat während des ameri­ka­ni­schen Bürger­kriegs. Dieser Ort, eine zur Schule umfunk­tio­nierte, etwas herun­ter­ge­kom­mene Südstaa­ten­villa mit präch­tigem alten Garten mit Rosen und riesigen Bäumen, ist einer jener typischen Sofia-Coppola-Orte – sehr verwandt dem Hotel in Lost in Trans­la­tion, dem Wunder­kammer-Versailles in Marie Antoi­nette und dem leer­ste­henden Paris-Hilton-Haus in The Bling Ring mit seinen voll­ge­stopften, über­quel­lenden Zimmern.
Die Verführten ist ein erwach­senes Märchen aus dem Old South. Die Gefahren und Bruch­stellen bleiben aber immer spürbar unter der idyl­li­schen, vom Kerzen­schimmer erleuch­teten Ober­fläche: Urplötz­lich durch­zieht gele­gent­lich ein kühler Hauch die Schwüle. Sofia Coppola erzählt auch eine Unter­gangs­ge­schichte. Sie handelt von mehr, als nur den Folgen eines Krieges. Sie erzählt vom Abschied von einer Zivi­li­sa­tion, ein hoch­ak­tu­elles Vorlaufen zum Tode.

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Produ­ziert hat den Film übrigens Roman Coppola, der 2013 mit Charlies Welt seinen zweiten eigenen Film gedreht hat, aber trotzdem lieber als Produzent und Dreh­buch­autor arbeitet. Beider Bruder Gian-Carlo kam 1986 bei einem Boots­un­fall ums Leben. Aber zuvor setzte er eine Tochter in die Welt: Gia Coppola, der jüngste Sproß und die dritte Frau dieser italo­ame­ri­ka­ni­schen Kino­dy­nastie. Ihr Debüt Palo Alto (bei uns auf DVD) nach Kurz­ge­schichten von James Franco hatte vor drei Jahren in Venedig Premiere – eine Geschichte um das sehr univer­sale Thema des sich-Verfeh­lens. Durch Zufälle, dadurch, dass man im falschen Moment am falschen Ort ist. Ein erstaun­lich guter Film, der beweist – zumindest das große Talent haben diese drei Gene­ra­tionen Coppola-Frauen gemeinsam.