Vergiss mein nicht

Eternal Sunshine of the Spotless Mind

USA 2004 · 108 min. · FSK: ab 12
Regie: Michel Gondry
Drehbuch: ,
Kamera: Ellen Kuras
Darsteller: Jim Carrey, Kate Winslet, Elijah Wood u.a.
Das Liebespaar in Gedanken

»Sehr geehrter Adressat, jemand hat Sie aus seinem Gedächtnis löschen lassen«

Aus dieser Grundidee, die Regisseur Michel Gondry an den Dreh­buch­autor Charlie Kaufman heran­ge­tragen hat, entwi­ckelt sich eine der schönsten und wahr­haf­tigsten Liebes­ge­schichten, die seit langem im Kino zu sehen war.

Als Joel am Morgen des Valen­tins­tages auf dem Weg zur Arbeit trüben Gedanken nachhängt, überkommt ihn plötzlich ein verrückter Impuls: Warum nicht einfach an den Strand fahren, nach Montauk? Er wundert sich noch über seine unge­wohnte Spon­ta­n­eität und über die merk­wür­digen Fehl­stellen in seinem Tage­buchir­gend­je­mand hat die letzten zwei Jahre heraus­ge­rissen, warum nur? da fällt ihm auch schon die ausge­flippte junge Frau mit den blauen Haaren auf. Sie spricht ihn an, lädt ihn zu sich ein, überredet ihn zu einem gemein­samen nächt­li­chen Ausflug, und die Geschichte macht alle Anstalten, sich zu einer Romanze zu entwi­ckeln.

Dann kommt der Vorspann. Und wir sehen Joel weinend in seinem Auto sitzen: seine Freundin Clemen­tine, wegen ihrer orangenen Haare Manda­rin­chen (Tangerine) genannt, hat ihn nach zwei Jahren im Streit verlassen, schlimmer noch, als er ihr ein Versöh­nungs­ge­schenk bringen will, kennt sie ihn nicht einmal mehr. Joel findet heraus, dass sie ihn durch die Firma Lacuna aus ihrem Gedächtnis hat löschen lassen. Auch er glaubt, mit der schmerz­haf­tern Erin­ne­rung an die gemein­same Zeit nicht mehr leben zu können, deshalb beginnt er ebenfalls, sich Dr. Mier­zwiaks Behand­lung zu unter­ziehen. Doch zum Löschen müssen die Erin­ne­rungen zuerst und in umge­kehrter chro­no­lo­gi­scher Reihen­folge wieder aktiviert werden, der Streit, das Schweigen davor und auch die schöne Zeit am Anfang: Joel merkt, dass er auf die Clemen­tine in seinem Kopf nicht verzichten mag. Eine wahn­sin­nige Flucht durch sein Gedächtnis beginnt, um wenigs­tens einen Teil der Andenken zu erhalten, doch der Doktor ist ein Meister darin, seine Patienten in ihren Kopf zu verfolgen und zu löschen, was sie gerade erinnern.

Als Joel am Morgen des Valen­tins­tages erwacht, ist das ein ganz normaler Tag doch auf dem Weg zur Arbeit überkommt ihn ein verrückter Impuls ...

Hat diese Geschichte ein Happy End? Legt man dem Dreh­buch­autor Charlie Kaufman (der durch die von Spike Jonze verfilmten Dreh­bücher zu Being John Malkovich und Adap­ta­tion eine für Script­writer unge­wöhn­liche Bekannt­heit erlangte) eine entspre­chende Inter­pre­ta­tion vor, lässt er sie als annehmbar gelten, ebenso, wie er das Ende als tragisch bezeichnen lassen würde. Beweist der Film, dass Liebe eine Schick­sals­macht ist oder doch, dass wir unsere Fehler machen, um daraus zu lernen? Nach Kaufmans Meinung müsste man keine zweis­tün­digen Filme machen, um eine Botschaft unters Volk zu bringen, die sich in einem einzigen Satz formu­lieren lässt. Der lite­ra­risch äußerst gebildete Autor (ist es Absicht oder Zufall, dass die Geschichte in Montauk beginnt, an dem Strand, an dem Max Frischs gleich­na­miger Roman um Erin­ne­rung und Selbst­ver­s­tändnis beginnt?) ist Meister verschach­telter Subjektiv-Sichten und erschafft auch hier wieder ein kompli­ziertes und doch einleuch­tendes persön­li­ches Universum, in dem Joels Geschichte, seine Erin­ne­rungen und seine Wunsch­vor­stel­lungen nicht drei Storys, sondern eine wahre Geschichte bilden, realis­ti­scher, als es die Welt vor den Türen des Kino­saales je sein kann.

How happy is the blameless vestal’s lot!
The world forget­ting, by the world forgot.
Eternal sunshine of the spotless mind!
Each pray'r accepted, and each wish resign'd

Die Titel­zeile (der Origi­nal­titel, nicht der bemühte deutsche Verleih­titel) stammt aus einem heroi­schen Epos von Alexander Pope, Eloise to Abelard; die ins Kloster verwie­sene Heloise schreibt darin an den geliebten Geist­li­chen Abaelard, mit dem sie nicht zusammen leben darf, und beklagt bitter das Schicksal, dass ihre Liebe unter­bindet. Anders als die jung­fräu­liche Vesta-Pries­te­rinnen im alten Rom kann sie die Welt nicht vergessen, kann der Erin­ne­rung an den Vater ihres Kindes nicht entsagen. Die Geschichte des berühmten Paares hatte Kaufman schon als Mario­net­ten­spiel in Being John Malkovich aufge­griffen. Im Film werden diese Zeilen zitiert von der ihren Chef vereh­renden Sprech­stun­den­hilfe Mary, die erst spät erfährt, dass löschen nicht alles ist und sich nicht alles löschen lässt, und die damit einen Ausweg aus der mögli­cher­weise ewigen Wider­ho­lung aufzeigt.

Auch, wenn ihre Geschichte im Verlauf der Bear­bei­tung immer kürzer wurde: Mary, gespielt von Kirsten Dunst, ist eine der wunderbar besetzten und ausge­führten Neben­fi­guren, die die Handlung berei­chern und moti­vieren, ebenso wie ihr technisch versierter, aber mensch­lich unzu­läng­li­cher Chef Dr. Mierzwiak (Tom Wilkinson) und seine Assis­tenten. Stan (Mark Ruffalo) bemüht sich aufrichtig um Mary, während Patrick (Elijah Wood) sich in eine Patientin verliebt hataus­ge­rechnet in Clemen­tine, und um seine Unsi­cher­heit zu über­winden, reißt er sich Joels Erin­ne­rungs­pro­to­kolle unter den Nagel, die er für einen sicheren Weg zu Clemen­tines Herzen hält.

Kate Winslet als Clemen­tine hat sicher die außer­ge­wöhn­lichste Rolle: nur kurze Zeit spielt die (sonst oft so brav besetzte) Schau­spie­lerin die wirkliche, bunt­haa­rige Clemen­tine, den Rest der Zeit ist sie die extro­ver­tierte und doch unsichere Frau aus Joels Erin­ne­rung, die sich auf der Flucht vor der Löschung in unglaub­liche Situa­tionen begibt. Eigent­lich hat sie hier den flippigen Part, der in jedem anderen Film Jim Carrey zuge­wiesen würde. Doch als Joel zeigt Carrey, dass er (wie in Man on the Moon) durchaus auch in einer ernst­haften Rolle über­zeugen kann. Ganz ohne Grimas­sen­schnei­derei beein­druckt er hier als schüch­terner und gehemmter Mann, der seine bunten Phan­ta­sien viel­leicht seinem Tagebuch anver­trauen, aber niemals ausleben kann.

Doch natürlich ist es nicht allein das Verdienst des spiel­freu­digen Ensembles oder des Dreh­buch­au­tors, dass der Film von Michel Gondry so unver­gess­lich bleibt. Den Plot mit der ein wenig abge­wan­delten Ausgangs­idee (schließ­lich sind die »Gelöschten« die letzten Menschen, die erfahren sollten, dass sich jemand anders nicht mehr an sie erinnern will) hat Gondry zwar gemeinsam mit Kaufman erar­beitet, doch die visuelle Umsetzung lag ganz in der Hand des erfolg­rei­chen Clip-Regis­seurs, der aus den Fehlern lernen konnte, die er bei der Umsetzung eines weiteren Kaufman-Scripts in seinen Erst­lings­film Human Nature (startet mit zwei­jäh­riger Verspä­tung in wenigen Wochen in den deutschen Kinos) gemacht haben mag.

Zauber­haft ist in Eternal Sunshine of the Spotless Mind die zuneh­mende Vermi­schung der realen Ebene mit Joels Vorstel­lungs­welt umgesetzt, mit Tricks, die keine sind (für eine Szene musste Carrey blitz­schnell wieder­holt das Kostüm wechseln, weil er mal als erin­nernder, mal als erin­nerter Joel in ein und der selben Einstel­lung zu sehen ist), mit verblüf­fenden visuellen Einfällen wie einem Joel, der halb von einem Fernseher verdeckt wird, der aller­dings gerade den verdeckten Teil Joels auf dem Bild­schirm zeigt, mit Bahn­hofs­hallen, aus denen die Menschen mit der Erin­ne­rung verschwinden, mit Strand­häu­sern, die mit dem Vergessen zusam­men­s­türzen, mit unkennt­li­chen Gesich­tern und unle­ser­li­chen Buch­ti­teln, mit Szenerien, die im Dunkeln verschwinden Gondrys visuelle Fabu­lier­lust scheint keine Grenzen zu kennen. Unter­s­tützt wird er dabei von der Dogma-erprobten Cutterin Valdís Oskars­dóttir (Das Fest, Mifune), die die bewegten Bilder der Kame­ra­frau Ellen Kuras (sie hat wieder­holt mit Spike Lee gear­beitet und I Shot Andy Warhol gefilmt) kongenial zum Film zusam­men­ge­setzt hat.

Eine fantas­ti­sche Geschichte, deren Science-Fiction-Element der lösch­baren Erin­ne­rung inte­griert ist in eine emotional wahre Geschichte und die trotz des zunächst chao­ti­schen Plots jede Situation moti­vieren kann (wie die Unwahr­schein­lich­keit, dass Joel zu Beginn das selbst in Deutsch­land bekannte Lied My Darling Clemen­tine nie gehört hat). Garan­tiert ist Eternal Sunshine of the Spotless Mind eines der High­lights des Kino­jahres.

P.S.: Haben Sie selbst auch Erin­ne­rungen, die sie lieber los wären? http://www.lacunainc.com/home.html