Charlie und die Schokoladenfabrik

Charlie and the Chocolate Factory

USA/GB 2005 · 115 min. · FSK: ab 0
Regie: Tim Burton
Drehbuch: ,
Kamera: Philippe Rousselot
Darsteller: Johnny Depp, Freddie Highmore, David Kelly, Helena Bonham Carter u.a.
Schokoladische Perspektiven

The Wicked World of Willy Wonka

Die bitter­süßen Filme von Tim Burton

Einer der hart­nä­ckigsten kultu­rellen Unter­schiede zwischen den USA und Deutsch­land ist der Umgang mit Trivi­al­kultur. Während die Deutschen eine weit­ge­hende Trennung von Trivial- und Hoch­kultur pflegen, herrscht in Amerika dies­be­züg­lich eine unge­zwun­gene Gren­zen­lo­sig­keit. Dement­spre­chend groß ist dann das Befremden bzw. Entsetzen im heimi­schen Feuil­leton, wenn in den USA etwa aus Klas­si­kern der Welt­li­te­ratur oder Kino­ge­schichte mehr oder minder belang­lose Unter­hal­tung gemacht wird.

Bei der Kritik an dieser Trivia­li­sie­rung wird aber gerne übersehen, dass in Amerika der Austausch zwischen dem Anspruchs­losen und dem Anspruchs­vollem in beide Rich­tungen funk­tio­niert und somit aus dem Trivialen oft genug etwas Intel­lek­tu­elles entsteht. Wer dieses sonder­bare Wech­sel­spiel verstehen will, sollte sich gewis­sen­haft die Filme Tim Burtons, dessen Charlie And The Chocolate Factory aktuell in den Kinos läuft, ansehen.

Wo sonst hätte Tim Burtons seine Karriere beginnen können als bei Disney, der Firma, die seit ihrer Gründung für den scheinbar unmög­li­chen Spagat zwischen dünner Unter­hal­tung, komplexen Themen, film­tech­ni­scher Brillanz und schlichtem Kommerz steht.
Burton jedoch wurde ein weiterer Wider­spruch Disneys zum »Verhängnis«. So kreativ und innovativ Disney zeitweise auch war, blieb die Firma immer doch auch äußerst konser­vativ, so dass Burtons Arbeiten aus den frühen 1980er Jahren als nicht kinder­ge­recht abgelehnt wurden und man sich bald vonein­ander trennte.

Zum Glück, möchte man sagen, denn nur so konnte Burton (nach dem Einstieg ins Film­ge­schäft über den Pee-wee Herman Film Pee-Wee’s Big Adventure) in Beetle Juice, Batman, Edward Scis­sor­hands und Batman Returns seinen eigenen, unver­kenn­baren Stil ausleben und weiter­ent­wi­ckeln. Bereits in diesen Filmen zeigt sich die unglaub­liche Menge und Vielfalt von Einflüssen, die Burton zu seiner ganz eigenen Melange verrührt: Comics der verschie­densten Couleur treffen auf den deutschen Expres­sio­nismus, eine Sammlung des unheim­li­chen Films von Nosferatu über die Universal-Horror­filme hin zu Roger Cormans B-Movies stehen neben ihren lite­ra­ri­schen Vorlagen von Shelley, Stoker und Poe, ameri­ka­ni­sche Alltags­kultur und -mythen begegnen europäi­scher Märchen­tra­di­tion, alte Fern­seh­se­rien sind ebenso erkennbar wie Kunstkino.

Das Resultat ist ein verfrem­detes Amerika zwischen den Zeiten, vertraut und doch unbekannt, malerisch schön, vor Ideen und Krea­ti­vität fast platzend, zuckrig süß, mit bitterem Nach­ge­schmack, freund­lich lächelnd und doch vers­tö­rend.
Aus einer scheinbar kruden Mischung aus Trivialem und Geist­rei­chem entstand so etwas, das seiner­seits wieder extrem populär (und kommer­ziell erfolg­reich) und zugleich doch anspruchs­voll ist.

Geradezu proto­ty­pisch führt Burton diesen Vere­de­lungs­pro­zess von kulturell Minder­wer­tigem in seinem nächsten Film, Ed Wood, vor. Die brillante, tragik­ko­mi­sche Geschichte des gleich­na­migen C-Movie Regis­seurs, dem trotz totaler Hingabe an seine Kunst nur einige der schlech­testen Filme aller Zeiten gelangen.
Ed Wood zeigt noch einmal ganz konkret, wo der Unter­schied zwischen Amerika und Deutsch­land liegt. Während bei uns die Erin­ne­rung an Trivi­al­kultur fast nur in Form von gnaden­losen Parodien statt­findet (Der Schuh des Manitu, Der Wixxer), schwingt in Amerika – bei aller Lust sich über solche Werke lustig zu machen – doch immer auch etwas Ernst­haf­tig­keit und Respekt mit.

Gerade Respekt vor seinen Vorbil­dern ist eine grund­le­gende Voraus­set­zungen für das Gelingen von Burtons Filmen. Denn Respekt bedeutet weder vor Ehrfurcht erstarren noch ein unbarm­her­ziges Aus- bzw. Abschlachten.
Wer wie Burton mit Respekt an eine Sache herangeht, kann sie durchaus ironi­sieren ohne zu diffa­mieren und zitieren ohne zu kopieren. Und nur so kann es gelingen, in einem einzigen Film gleich­zeitig mehreren Genres, Stilen, Künstlern, Qualitäts- und Alters­stufen gerecht zu werden, ohne ein bizarres Sammel­su­rium zu errichten.

Dieses Kunst­stück hat Burton konse­quent fort­ge­setzt von Mars Attacks! und Sleepy Hollow über Big Fish bis hin zum aktuellen Charlie And The Chocolate Factory (eine Ausnahme bildete dies­be­züg­lich nur sein Remake von Planet Of The Apes, der nur schwer­lich als Tim Burton-Film erkennbar ist), der auf einer Vorlage von Roald Dahl, dessen freund­lich sarkas­ti­schen Geschichten für Burton geradezu prädes­ti­niert sind, basiert. Charlie And The Chocolate Factory hat sich bereits durch die erste Verfil­mung von 1971 mit Gene Wilder in der Haupt­rolle tief im Gedächtnis der ameri­ka­ni­schen Popu­lär­kultur einge­graben, was dem gekonnten Spiel Burtons mit Kult und Kultur nur noch eine weitere Drehung hinzufügt.

Heraus­ge­kommen ist wieder ein geradezu klas­si­scher Burton-Film. Die an sich einfache, hoch mora­li­sche, beinahe klischee­hafte Grund­hand­lung wird ständig gebrochen durch subtile, sati­ri­sche, manchmal zynische Episoden; Anspie­lungen und Remi­nis­zenzen lauern an jeder Ecke; Dekors und Kamera erfinden einmal mehr eine surreal verrückte Welt zwischen Despoten-Monu­men­tal­ar­chi­tektur, Dr. Caligari, Oliver-Twist-Romantik und ameri­ka­ni­schen Retro­de­sign; die Figuren sind so präzise und viel­fältig wie ihre Kostüme; die Insze­nie­rung ist bei aller über­bor­dender Vielfalt doch stets punkt­genau und gerad­linig.

Auf zwei lang­jäh­rige und tatsäch­lich konge­niale Mitar­beiter kann sich Tim Burton dabei verlassen. Der eine ist Danny Elfman, dessen unver­kenn­baren Sound­tracks die perfekte (und einzig mögliche, möchte man fast meinen) Unter­ma­lung für die ebenso unver­kenn­baren Tableaus liefert.
Der andere ist Johnny Depp, der nun schon zum vierten Mal den blassen, welt­fremden, melan­cho­li­schen aber doch unbe­irr­baren Held für Burton spielt. Seine Darstel­lung des sagen­um­wo­benen Süßwa­ren­fa­bri­kanten Willy Wonka ist eines der schau­spie­le­ri­schen High­lights des Films.

Eigent­lich klar, dass es Burton auch hier bravourös gelingt, das Triviale mit dem Intel­lek­tu­ellen zu verbinden, was durchaus ähnlich schwierig sein kann, wie einen Kaugummi mit dem Geschmack eines Drei-Gänge-Menüs zu kreieren.
Diese Erfindung aus dem Hause Wonka birgt noch einige unschöne Neben­wir­kungen. Charlie And The Chocolate Factory aus dem Hause Burton dagegen ist ein überaus feines Zuckerl, zart­bitter, viel­fältig im Geschmack mit einer exoti­schen Füllung.