15.02.2019
69. Berlinale 2019

Erotik, Endzeit und Exzess

Lou Ye The Shadow Play
»The Shadow Play«: der allerbeste Film der Berlinale
(Foto: Dream Factory)

Die besten Filme der Berlinale laufen in der Sektion »Panorama«. Aber rettet dies das Festival schon aus Ödnis und Inhaltismus? – Berlinale-Tagebuch, Folge 9

Von Rüdiger Suchsland

»Er trinkt aus. Wie schön es wäre, tagein, tagaus einfach nur dazu­sitzen und in den Garten zu starren. Besser noch wäre es, aufs Wasser zu starren. Ein Teich. Das ist es. Bogumil soll einen Teich anlegen. Herrlich. Er gönnt sich ein Glas 'Schmiere', wie Campari-Oran­gen­saft bei ihm heißt. Man soll die Feste feiern, wie sie fallen.«
Heinz Strunk: »Der Goldene Handschuh«, S. 68

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Noch zwei Tage Kosslick. »Mit seiner Unter­s­tüt­zung der Inter­na­tio­nalen Film­fest­spiele Berlin unter­streicht das ZDF die Bedeutung der vorge­stellten kriti­schen Themen und würdigt groß­ar­tige filmische Umset­zungen und schau­spie­le­ri­sche Leis­tungen
Als Groß­sponsor der Berlinale tritt das ZDF gern auf. Gleich­zeitig zu solchem Spon­so­ring sind die Ausgaben der Sender für Ankäufe von Filmen der Berlinale oder von Cannes, Venedig, etc. in den letzten Jahren eklatant zurück­ge­fahren worden. Das wich­tigste Argument, mit dem die Sender gegen den Einkauf votieren, lautet Spar­zwänge und fehlendes Geld.
Ausge­wo­gene Film­kultur findet im Programm des ZDF kaum noch statt.

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Das Gesamt­budget der Berlinale liegt nach meinen Infor­ma­tionen bei 26 Millionen Euro. Der Bund erhöhte seinen Anteil am Gesamt­budget um eine halbe Million auf 8,2 Millionen Euro. 2020, zum 70. Jubiläum der Berlinale unter neuer Leitung soll es noch mal eine halbe Million Euro mehr sein.
Etwa 40 Prozent des Gesamt­bud­gets sind öffent­liche Gelder. Dazu kommen etwa 5 Mio. durch Spon­so­ring, u.a. vom ZDF, von Glashütte, L’Oreal, Audi und anderen. Etwa 4,6 Mio. werden durch Einnahmen vom European Film Market erwirt­schaftet, 2,2 Mio. durch Ticket­ver­käufe, 2 Mio durch Dritt­mittel z.B. vom Auswär­tigen Amt und Goethe-Institut (z.B. für Reise­kosten der Filme­ma­cher etc.) und 1,2 Mio durch Gebühren für Akkre­di­tie­rungen.

Der bisher nicht eröffnete neue Berliner Flughafen kostet die Steu­er­zahler zur Zeit 35.680.000 Millionen, pro Monat.

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Ein spontaner Aufstand, Bürger rebel­lieren, gegen steigende Mieten, menschen­ver­ach­tende Inves­toren und Gentri­fi­zie­rung, auch hier, inmitten einer Millio­nen­stadt im China von heute.

Der Chinese Lou Ye erzählt eine verhakte Geschichte: vier Personen, eigent­lich sechs stehen im Zentrum: Zwei Frauen und zwei Männer, die in einem kompli­zierten Bezie­hungs­spin­nen­netz mitein­ander über Jahr­zehnte verwoben sind.
Einer ist Bauun­ter­nehmer mit Verbin­dungen zur Mafia, der andere ein poli­ti­scher Beamter, die ihm Tore öffnet und Wege ebnet. Dessen Frau hat mit dem Bauun­ter­nehmer eine Affäre, der wiederum wird von einer Ex-Geliebten erpresst.
Eines Tages fällt der Beamte vom Dach, und ein Polizist beginnt zu ermitteln. Je mehr er heraus­findet, umso mehr rückt auch die Tochter des Bauun­ter­neh­mers ins Zentrum, und eine uniden­ti­fi­zierte Leiche in einem Wäldchen neben der Autobahn.

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Der Regisseur Lou Ye ist seit rund 20 Jahren einer der inter­es­san­testen Filme­ma­cher Chinas, und sogar noch vor dem aller­dings noch etwas bekann­teren Jia Zhangke der aufre­gendste Regisseur seiner, der »sechsten Gene­ra­tion« des chine­si­schen Kinos. Die »sechsten Gene­ra­tion«, das sind die Realisten, deren Wahrheit doku­men­ta­risch gesättigt ist. Bei Lou Ye sieht das aller­dings ganz anders aus, als bei Jia Zhangke. Der stellt Doku­men­ta­ri­sches und Fiktion neben­ein­ander, Lou Ye verwebt sie bis zur Unsicht­bar­keit.

In seinem neuen Film The Shadow Play erzählt Lou Ye in atem­be­rau­benden, flir­renden überaus sinn­li­chen Bildern anhand seiner Figuren eine Geschichte Chinas zwischen 1989 und heute. Sie handelt von Macht und Moral, Kapital und Korrup­tion, Erotik und Exzess.

The Shadow Play ist der aller­beste Filme der Berlinale. Ein Film Noir und Psycho­thriller aus dem China von heute.
Gran­dioses Kino, das bezaubert, faszi­niert, Denken und Fühlen des Zuschauers begleitet und einen tagelang nicht loslässt.

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Die besten Filme der Berlinale laufen in diesem Jahr in der Sektion »Berlinale Panorama«. Wo der Wett­be­werb mono­the­ma­tisch auf inhal­tis­ti­sche Welt­ver­bes­se­rungs­filme setzt und noch durch mehr formale Einfalt anödet, als sonst, da ist die größte Sektion der Berlinale nicht nur gewohnt viel­fältig. Sie bietet vor allem auch jene Filme, in denen eine starke Ästhetik mit über­ra­schenden Geschichten und Figuren einher­geht.
Die Stärke mag damit zu tun haben, dass man neuer­dings beim Panorama Filme aus Sundance zeigt. Welt­pre­mie­renzwang war gestern.

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Dort lief auch Monos von Alejandro Landes. Ein faszi­nie­render Film, ein zweites, ganz tolles Highlight. Der Film spielt in Kolumbien, muss er aber nicht, so universal wie er ist, könnte er auch woanders spielen, wo Armeen einen schmut­zigen Krieg gegen den Terror führen. Das spielt nur eine Neben­rolle, bildet aber den Hinter­grund. Tatsäch­lich kann man an Joseph Conrads »Herz der Fins­ternis« und dessen Verfil­mung Apoca­lypse Now denken, aber auch an Herr der Fliegen von William Golding.
Eigent­lich geht es hier um eine Gruppe, die para­mi­li­tärisch orga­ni­siert ist, acht Jugend­liche, der älteste viel­leicht 20, die kämpfen irgendwo in den Bergen gegen einen so gut wie immer unsicht­baren Feind.
Es geht vor allem um die innere Dynamik der Gruppe. Sie haben eine Kuh, die müssen sie bewachen, die gibt ihnen nämlich Milch. Aber als sie einmal Pilze essen und ziemlich stoned sind, ist die Kuh am Ende tot. Wer ist dafür verant­wort­lich? Es gibt einen Prozess der Selbst­zer­flei­schung und eine wirkliche Reise in ein inneres Herz der Fins­ternis – und das in atem­be­rau­benden psycho­de­li­schen Bildern.

Kino, wie es sein muss, gerade auf einem Festival wie der Berlinale. Hier im Panorama sieht man, das Kino vor allem Form ist.

(to be continued)