08.02.2019
69. Berlinale 2019

Das schlech­teste Filmjahr seit Jahr­zehnten

Angela Schanalec Ich war zuhause, aber
Kleine Galerie der Erinnerungen: Angela Schanalecs Ich war zuhause, aber...
(Foto: Piffl Medien)

Ein paar Kübel schlechte Nachrichten zum Auftakt der Berlinale – Berlinale-Tagebuch, Folge 2

Von Rüdiger Suchsland

»Eisiger Wind, das hält kein Mensch lange aus. Zu Fuß nach Hause sind’s zwei­ein­halb Kilometer, halbe Stunde. Mit der Alma dauert es bestimmt doppelt so lange. Wo ist die überhaupt abge­blieben? Weg? Die kann doch nicht einfach abhauen, so eine haut doch nicht mehr ab. Er sucht und sucht und sucht und schließ­lich, einen Steinwurf weiter, entdeckt er sie in der Nähe einer Wurstbude, wenn der Wind günstig steht, weht ab und an eine schöne warme Brat­wurst­brise rüber.«
Heinz Strunk, »Der Goldene Handschuh«, S.30

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Es ist kalt in Berlin, und auch die Herzen machen es nicht wärmer.

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Heute Abend geht’s los. »Was fällt, das soll man noch stoßen« schrieb Friedrich Nietzsche einmal, und als wollten sie diesen Satz exeku­tieren, kippen die Funk­ti­onäre und Kultur­po­li­tiker dem jetzt endlich schei­denden Berlinale-Direktor Dieter Kosslick zum Beginn seines Abschieds­fes­ti­vals gleich noch ein paar Kübel schlechte Nach­richten hinterher.
Bei Festivals gehe es nicht darum, Filme abzu­spulen, sie müssten ein »Verhand­lungsort über die Qualität von Kino­filmen bleiben«, schrieb die Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters (CDU) dem schei­denden Direktor hinter die Ohren.

Am Mittwoch meldete die Film­för­der­an­stalt FFA, dass im Jahr 2018 die Zahl der Kino­be­su­cher in Deutsch­land drastisch zurück­ge­gangen ist, auf 105,4 Millionen Kino­gänger, so wenige wie seit Jahr­zehnten nicht. 13,9 Prozent weniger Karten wurden verkauft. Auch bei den deutschen Filmen gibt es massive Verluste. Dieser Einnah­merück­gang wirft die Branche in eine exis­ten­ti­elle Krise. Er trifft Kino­be­treiber und Verleiher, und damit mittelbar alle Filme­ma­cher. Und die Film­för­de­rung, die diese Filme ermög­licht, die andere verhin­dert, die eine Kino­land­schaft geschaffen hat, die durch die (Zwangs-)Digi­ta­li­sie­rung der letzten zwei Jahr­zehnte nicht nur das alte Medium Zelluloid und seine Abspielstätten vernichtet hat, sondern auch Vielfalt.
Allen wohl­feilen Reden über Diver­sität zum Trotz: Immer mehr Leinwände, werden von immer weniger Filmen verstopft. Von Filmen aus Amerika – deutsche Filme finden oft gar nicht das Publikum, das sie haben könnten.

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Was das mit der Berlinale zu tun hat? Eine Menge.
Die Berlinale unter Kosslick ist ja mit zwei Behaup­tungen hausieren gegangen: Zum einen, sie würde für das Kino werben. Das funk­tio­niert offenbar nicht, allemal nicht mit der vulgären, popu­lis­ti­schen Masche, mit der sich Kosslick überall range­schmissen hat. Wenn ein Festival das überhaupt kann, für das Kino werben, wenn so eine Idee nicht pure Selb­stü­ber­schät­zung ist, dann gelingt das Cannes und Venedig mit seinen gut geklei­deten und auch Kino­ge­schmacks­fragen ungleich bewan­der­teren Direk­toren offenbar besser, dann ist eine fein­geis­tige Haltung, die es bewusst nicht jedem recht machen will, und deshalb bei uns als »elitär« miss­ver­standen wird, wohl die bessere, erfolg­rei­chere.
Zudem nimmt die Berlinale den Verlei­hern von kleinen Filmen das Publikum weg. Wo ein Film bundes­weit auf 5000, 8000, maximal 10.000 Zuschauer kommt, da machen die 2000 Zuschauer auf der Berlinale viel aus. Zu viel.
Die zweite Behaup­tung: Die Berlinale unter Kosslick tue etwas fürs deutsche Kino. Begrün­dung: Weil sie viele deutsche Filme zeigt. Diese Annahme ist doppelt falsch. Nicht nur, weil drei deutsche Filme im Wett­be­werb ja keines­wegs eine beacht­liche Zahl sind, wenn man mal auf Cannes oder Venedig schaut, wo vier, fünf oder sechs Filme des Heimat­landes laufen. Naive Menschen plappern dann noch Kosslicks Selbst­wer­bung nach: Er habe ja die Reihe »Perspek­tive Deutsches Kino« gegründet. Die Reihe ist anständig. Aber sie wirkt auch wie ein Ghetto, eine Schutz­zone für deutsche Filme. Man müsste diese in den erwach­senen Sektionen »Panorama« und Forum zeigen, um ihre Stärke im Vergleich zu inter­na­tio­nalen Filmen zu messen.

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Am Morgen spricht Dieter Kosslick im Deutsch­land­funk und auch die Herren von »Infor­ma­tionen am Morgen«, die sonst jeden gewieften Politiker grillen, schonen Kosslick über Gebühr, lassen ihm jede seiner wilden Behaup­tungen durch­gehen, und glauben wohl, »den Kultur­fuzzi können wir jetzt nicht so hart rannehmen«.
Irrtum Kollegen, so seift er sie alle ein. Man hat nicht nur Dieter Kosslick immer unter­schätzt, sondern auch seinen Zynismus. Die dies­jäh­rige Film­aus­wahl zeigt das ganz gut: Unab­hängig ob die Filme was taugen, sind die deutschen Filme auch eine kleine Galerie der Erin­ne­rungen an die Leis­tungen des Chefs.
Ein Fatih Akin reibt allen unter die Augen, wer hier für Deutsch­land den letzten Goldenen Bär geholt hat. Angela Schanelec erinnert an die »Berliner Schule«, die unter Kosslick fast jedes Jahr im Wett­be­werb vertreten war, und ist auch noch eine Frau, das kommt auch gerade gut. Ebenso Nora Fing­scheidt. Ein Verweis auf des Direktors Talent als Entdecker und Förderer: 2017 gewann das Projekt den Berlinale-Talents-Dreh­buch­preis. Dass Kosslick all solche Dinge nicht mitdenkt, dass das Licht, das auf ihn selber fällt, ihm nicht das Wich­tigste ist, glaube ich im nicht.
So sind sie ihm gewachsen und wir hörten wieder 9 Minuten diese Kossleaks, das Sabbel­sprech des Direktors: »Ich freue mich, dass wir einen schönen Eröff­nungs­film haben, dass alle da sind, dass Hunderte und Tausende von Menschen nach Berlin kommen werden, dass es noch mal ein großes Filmfest werden wird, dass ich stapel­weise Zuschriften bekomme, wie schön es war. Das ist ein gutes Gefühl, und ich freue mich, dass es jetzt endlich beginnt und dass wir dann zehn Tage das Kino feiern.«
Na gut, das hat ja jetzt immerhin ein Ende am Sonntag in einer Woche. Bis dahin rappelt sie noch auf allen Kanälen, die Ciao-Dieter-Show.

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»Mister Berlinale«, wenn ich das schon höre! Aber ande­rer­seits hat der NZZ-Feuil­le­ton­chef Christian Jungen, der seit Jahren nicht mehr herkommt, weil die Berlinale, wie er mir wörtlich sagte, unter Kosslick von Jahr zu Jahr schlechter und irrele­vanter geworden sei, weil er sich einfach tödlich langweile, seine hervor­ra­gende Biogra­phie von Kosslicks Vorgänger Moritz De Hadeln »Mister Film­fes­tival« genannt. Da stimmt das Verhältnis dann wieder.

(to be continued)