69. Berlinale 2019
Das schlechteste Filmjahr seit Jahrzehnten |
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Kleine Galerie der Erinnerungen: Angela Schanalecs Ich war zuhause, aber... | ||
(Foto: Piffl Medien) |
»Eisiger Wind, das hält kein Mensch lange aus. Zu Fuß nach Hause sind’s zweieinhalb Kilometer, halbe Stunde. Mit der Alma dauert es bestimmt doppelt so lange. Wo ist die überhaupt abgeblieben? Weg? Die kann doch nicht einfach abhauen, so eine haut doch nicht mehr ab. Er sucht und sucht und sucht und schließlich, einen Steinwurf weiter, entdeckt er sie in der Nähe einer Wurstbude, wenn der Wind günstig steht, weht ab und an eine schöne warme Bratwurstbrise rüber.«
Heinz Strunk, »Der Goldene Handschuh«, S.30
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Es ist kalt in Berlin, und auch die Herzen machen es nicht wärmer.
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Heute Abend geht’s los. »Was fällt, das soll man noch stoßen« schrieb Friedrich Nietzsche einmal, und als wollten sie diesen Satz exekutieren, kippen die Funktionäre und Kulturpolitiker dem jetzt endlich scheidenden Berlinale-Direktor Dieter Kosslick zum Beginn seines Abschiedsfestivals gleich noch ein paar Kübel schlechte Nachrichten hinterher.
Bei Festivals gehe es nicht darum, Filme abzuspulen, sie müssten ein »Verhandlungsort über die Qualität von Kinofilmen
bleiben«, schrieb die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) dem scheidenden Direktor hinter die Ohren.
Am Mittwoch meldete die Filmförderanstalt FFA, dass im Jahr 2018 die Zahl der Kinobesucher in Deutschland drastisch zurückgegangen ist, auf 105,4 Millionen Kinogänger, so wenige wie seit Jahrzehnten nicht. 13,9 Prozent weniger Karten wurden verkauft. Auch bei den deutschen Filmen gibt es massive Verluste. Dieser Einnahmerückgang wirft die Branche in eine existentielle Krise. Er trifft Kinobetreiber und Verleiher, und damit mittelbar alle Filmemacher. Und die
Filmförderung, die diese Filme ermöglicht, die andere verhindert, die eine Kinolandschaft geschaffen hat, die durch die (Zwangs-)Digitalisierung der letzten zwei Jahrzehnte nicht nur das alte Medium Zelluloid und seine Abspielstätten vernichtet hat, sondern auch Vielfalt.
Allen wohlfeilen Reden über Diversität zum Trotz: Immer mehr Leinwände, werden von immer weniger Filmen verstopft. Von Filmen aus Amerika – deutsche Filme finden oft gar nicht das Publikum, das sie haben
könnten.
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Was das mit der Berlinale zu tun hat? Eine Menge.
Die Berlinale unter Kosslick ist ja mit zwei Behauptungen hausieren gegangen: Zum einen, sie würde für das Kino werben. Das funktioniert offenbar nicht, allemal nicht mit der vulgären, populistischen Masche, mit der sich Kosslick überall rangeschmissen hat. Wenn ein Festival das überhaupt kann, für das Kino werben, wenn so eine Idee nicht pure Selbstüberschätzung ist, dann gelingt das Cannes und Venedig mit seinen gut
gekleideten und auch Kinogeschmacksfragen ungleich bewanderteren Direktoren offenbar besser, dann ist eine feingeistige Haltung, die es bewusst nicht jedem recht machen will, und deshalb bei uns als »elitär« missverstanden wird, wohl die bessere, erfolgreichere.
Zudem nimmt die Berlinale den Verleihern von kleinen Filmen das Publikum weg. Wo ein Film bundesweit auf 5000, 8000, maximal 10.000 Zuschauer kommt, da machen die 2000 Zuschauer auf der Berlinale viel aus. Zu
viel.
Die zweite Behauptung: Die Berlinale unter Kosslick tue etwas fürs deutsche Kino. Begründung: Weil sie viele deutsche Filme zeigt. Diese Annahme ist doppelt falsch. Nicht nur, weil drei deutsche Filme im Wettbewerb ja keineswegs eine beachtliche Zahl sind, wenn man mal auf Cannes oder Venedig schaut, wo vier, fünf oder sechs Filme des Heimatlandes laufen. Naive Menschen plappern dann noch Kosslicks Selbstwerbung nach: Er habe ja die Reihe »Perspektive Deutsches Kino«
gegründet. Die Reihe ist anständig. Aber sie wirkt auch wie ein Ghetto, eine Schutzzone für deutsche Filme. Man müsste diese in den erwachsenen Sektionen »Panorama« und Forum zeigen, um ihre Stärke im Vergleich zu internationalen Filmen zu messen.
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Am Morgen spricht Dieter Kosslick im Deutschlandfunk und auch die Herren von »Informationen am Morgen«, die sonst jeden gewieften Politiker grillen, schonen Kosslick über Gebühr, lassen ihm jede seiner wilden Behauptungen durchgehen, und glauben wohl, »den Kulturfuzzi können wir jetzt nicht so hart rannehmen«.
Irrtum Kollegen, so seift er sie alle ein. Man hat nicht nur Dieter Kosslick immer unterschätzt, sondern auch seinen Zynismus. Die diesjährige Filmauswahl zeigt das ganz
gut: Unabhängig ob die Filme was taugen, sind die deutschen Filme auch eine kleine Galerie der Erinnerungen an die Leistungen des Chefs.
Ein Fatih Akin reibt allen unter die Augen, wer hier für Deutschland den letzten Goldenen Bär geholt hat. Angela Schanelec erinnert an die »Berliner Schule«, die unter Kosslick fast jedes Jahr im Wettbewerb vertreten war, und ist auch noch eine Frau, das kommt auch gerade gut. Ebenso Nora Fingscheidt. Ein Verweis auf des Direktors Talent als
Entdecker und Förderer: 2017 gewann das Projekt den Berlinale-Talents-Drehbuchpreis. Dass Kosslick all solche Dinge nicht mitdenkt, dass das Licht, das auf ihn selber fällt, ihm nicht das Wichtigste ist, glaube ich im nicht.
So sind sie ihm gewachsen und wir hörten wieder 9 Minuten diese Kossleaks, das Sabbelsprech des Direktors: »Ich freue mich, dass wir einen schönen Eröffnungsfilm haben, dass alle da sind, dass Hunderte und Tausende von Menschen nach Berlin kommen werden, dass es
noch mal ein großes Filmfest werden wird, dass ich stapelweise Zuschriften bekomme, wie schön es war. Das ist ein gutes Gefühl, und ich freue mich, dass es jetzt endlich beginnt und dass wir dann zehn Tage das Kino feiern.«
Na gut, das hat ja jetzt immerhin ein Ende am Sonntag in einer Woche. Bis dahin rappelt sie noch auf allen Kanälen, die Ciao-Dieter-Show.
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»Mister Berlinale«, wenn ich das schon höre! Aber andererseits hat der NZZ-Feuilletonchef Christian Jungen, der seit Jahren nicht mehr herkommt, weil die Berlinale, wie er mir wörtlich sagte, unter Kosslick von Jahr zu Jahr schlechter und irrelevanter geworden sei, weil er sich einfach tödlich langweile, seine hervorragende Biographie von Kosslicks Vorgänger Moritz De Hadeln »Mister Filmfestival« genannt. Da stimmt das Verhältnis dann wieder.
(to be continued)