69. Berlinale 2019
Die Ruhe vor dem Lüftchen |
![]() |
|
Mir ist schon jetzt langweilig und ich freue mich auf den Morgen, an dem in 10 Tagen alles vorbei ist... | ||
(Foto: Warner Bros. Germany) |
»Mittwoch ist immer ein schwieriger Tag, nie weiß man, in welchem der Läden was los ist und wo nicht. Es hatte Mittwoch schon High Life in Tüten gegeben, manchmal bleibt es aber gähnend leer, und niemand weiß, warum, selbst Herbert nicht, der sonst immer alles weiß.«
Heinz Strunk, »Der Goldene Handschuh«, S.25
+ + +
Mittwoch, Spätnachmittag, Gang zu Fuß vom Potsdamer Platz durch die Straße, die zum sogenannten »Berlinale Palast« führt. Ein Palast war das hier noch nie, selbst in jenen Tagen vor 20 Jahren nicht, als man mit damals vielleicht guten Gründen – die Neue Mitte, wiedervereinigte Stadt, Boomtown Berlin, Investorenparadies, es geht voran, und so – die Berlinale von ihrem angestammten Ort rund um den Zoopalast und die Ku-Damm-Kinos wegriss und er Dekret der neureichen Schröder-Sozis hierher verlegte, an die alte Mitte, die nie die propagandistischen Versprechen der Einheitseuphorierhetorik erfüllen konnte. Inzwischen sieht hier alles eingefallen, angeranzt, ziemlich heruntergekommen und ganz schön langweilig aus.
+ + +
Aber vielleicht ist das auch nur meine Stimmungslage. Mir ist schon jetzt langweilig und ich freue mich auf den Morgen, an dem in 10 Tagen alles vorbei ist. Nicht wegen Dieter Kosslick, über den ist genug geschrieben worden, sondern weil diese Berlinale auf dem Papier und in der Theorie – die Praxis, die Filme selbst kennen wir ja noch nicht – nichts Spannendes verspricht. Ein paar habe ich gesehen, die waren eigentlich auch gut, also haben die zuständigen Leute ihre Arbeit gemacht. Aber die Berlinale ist anstrengend und das Wetter ist schlecht, da müsste so etwas wie Aura entfaltet werden, ein Versprechen auf die nahe Zukunft. Wird aber nicht.
+ + +
Die Menschen am Akkreditierungsschalter sind alle ziemlich jung und superfreundlich, Wirken auch nicht wie Roboter oder aufgezogene Duracell-Häschen, wie es ja hier auch schon war, sondern einfach angenehm. Sie denken mit, wenn man mit ihnen redet. Es ist noch ziemlich leer an diesem Mittwochabend, paar junge Akkreditierte, viele Menschen die irgendetwas schleppen oder aufbauen, Ruhe vor dem Sturm, der am Ende doch wieder ein Lüftchen sein wird.
+ + +
Nur an meiner Stimmungslage liegt es aber nicht. Als ich wieder aus dem Hyatt-Hotel, wo man die Akkreditierung holt, heraus bin, habe ich Zeit, mich umzusehen. Krass! Die gähnende Leere ist nicht nur in meiner Seele, sie herrscht auch in den Läden. Der Potsdamer Platz war immer schon Scheiße im Hinblick auf Aufenthaltsorte. Kaum Cafés, kaum Restaurants, kaum Plätze, wo man sitzen und reden oder schreiben oder surfen oder lesen oder einfach abhängen konnte. Auch kaum Orte zum
Rumstehen, draußen ist es dafür zu kalt. Die Cineplexe töten jeden cinephilen Gedanken, jede Lust auf... ja auch auf Exzess. Schon das Schreiben darüber ist langweilig. Also floh man in Ausweichquartiere.
»Starbucks« mögen die meisten nicht, es gibt Gründe dafür. Trotzdem saßen wenigstens während der Berlinale alle hier. Es war warm, gab Kaffee und W-LAN und die Erlaubnis, ein bisschen rumzusitzen.
Jetzt hat »Starbucks« am Potsdamer Platz dichtgemacht. Auch das zweite Steakhouse
gegenüber Maredo ist verschwunden. Auch das Hofbräuhaus, wo es gutes Helles und anständigen Schweinsbraten gab, ist ersatzlos weg – leere Schaufenster, eine eingeschlagene Glastür, die auch keinen weiter interessiert.
+ + +
Nein, ich werde jetzt nicht metaphorisch und versuche das Naheliegende: Die Ödnis und Leere, den Zustand dieser heruntergekommenen Straße und pleitegegangenen Touristenfallen mit dem der Berlinale zu vergleichen.
Sondern ich denke an meine Freunde, Kollegen und an mich. Wo können wir sitzen? Ein Filmfestival, aber das haben sie hier noch nie verstanden, ist mehr, als nur möglichst viele Filme möglichst vielen Leuten vorzuführen.
Atmosphärisch bot die Berlinale immer
schon Null, jetzt ist alles weit darunter.
Man muss auch kein Fan von Starbucks sein oder bayerische Küche mögen, um zu bedauern, dass es hier nicht für alle Geschmacks- und Preislagen ausreichend Lokale gibt, und dass die Berlinale sich um ihre Gäste nicht schert, und diese Ignoranz noch als Berliner Charme zu verkaufen sucht.
+ + +
Ein paar Meter entfernt, liegt die DFFB, die Berliner Filmakademie – eben keine Filmschule, was die meisten Studenten sehr wohl wissen, die meisten Dozenten aber nicht. Verschulung ist da gerade angesagt, ob das was werden wird, darf man glücklicherweise bezweifeln.
Im ersten DFFB-Jahrgang 1966 war bekanntlich Holger Meins, der spätere RAF-Terrorist, einer der Studenten. Sein Codename war »Starbuck«. Bis letztes Jahr konnte man noch den Witz machen, dass sich das hiesige
Kino von »Starbuck« zu »Starbucks« entwickelt hat, von Radikalität zum Kapitalismus, in jeder Hinsicht. Der Befund stimmt zwar, aber auch der Witz funktioniert jetzt nicht mehr.
+ + +
Ich wünsche allen, eine schöne Berlinale!
(to be continued)