27.10.2016
Cinema Moralia – Folge 142

Ohne Heinz kein Hof

Die Blumen von gestern
Reichen Die Blumen von gestern die Nostalgieverwaltung von heute zu verhindern?
(Foto: Chris Kraus)

Reine Nostalgieverwaltung ist zu wenig: Die Hofer Filmtage ohne ihren Kopf – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 142. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Da brutzelt sie wieder, die frän­ki­sche Rost­brat­wurst – am tradi­tio­nellen Grill-Stand vor dem Festi­val­kino, dessen Besuch so rituell ist, wie fast alles bei diesem Festival.
Hier am Brat­wurst­stand werden sie sich an den nächsten fünf Tagen alle oder jeden­falls fast alle begegnen, früher oder später: Die Alpha­tiere und die Sternchen, die Vorreiter und die Mitläufer der deutschen Filmszene, ihre Adabeis und ihre Outsider; hier werden sie sich wärmen, viel­leicht erst kennen­lernen, oder – viel wahr­schein­li­cher – wieder­treffen, wie jedes Jahr, oder erstmals nach Jahren, wenn nicht Jahr­zehnten.

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Zum 50. Mal gibt es jetzt die Hofer Filmtage. Nach der Berlinale, nach der Mann­heimer Filmwoche und nach den Ober­hau­sener Kurz­film­tagen, vor Saar­brü­cken, Hamburg, Ludwigs­hafen, Tübingen und sogar München ist Hof ein weiteres unter den ältesten deutschen Film­fes­ti­vals.
Trotzdem ist es keine Frage: Die Filmtage sind unver­wech­selbar. Dies ist – und man kann das sympa­thisch finden oder nicht – ein Festival ohne roten Teppich, ohne Glamour und auch ohne echten Wett­be­werb – vom Schau­laufen beim ebenfalls rituellen Weiß­wurst­emp­fang der bayri­schen Film­för­de­rung (FFF) mal abgesehen, und es sei denn, man nimmt das alljähr­liche Fußball­spiel zwischen der örtlichen Spiel­ver­ei­ni­gung und einer Filme­ma­cher-Auswahl so ernst wie die Betei­ligten. Oder den Brat­wurst­wett­be­werb – Gewinner ist, wer während der Filmtage die meisten frän­ki­schen Rost-Brat­wurst­paare verdrückt – der Rekord liegt irgendwo über 40 Paaren. Und einmal, und dafür schäme ich mich nicht, habe ich dort den zweiten Platz gemacht.
Die Hofer-Filmtage sind wie gesagt ein Ort der Rituale.

Und so wäre das dies­jäh­rige Treffen ein großes Fest geworden, ein Klas­sen­treffen, voll solcher Rituale, voller Nostalgie, bei dem man über die alten Zeiten spricht, bei denen man auch blind oder betrunken oder im Schlaf noch alle Wege und Plätze findet, weil an den immer­glei­chen Orten von den immer­glei­chen Veran­stal­tern mit den immer­glei­chen Sponsoren die immer­glei­chen Empfänge und Partys veran­staltet werden. Weil sich in Hof nichts zu verändern schien. Das ist sehr verläss­lich und nicht unbedingt spießig, aber doch ganz schön provin­ziell, und in diesem Sinne ungemein reprä­sen­tativ fürs deutsche Kino. Hof war, wie Klas­sen­treffen eben so sind: Eine Selbst­be­weih­räu­che­rungs­feier der Betei­ligten, eine Versöh­nung der Verfein­deten, eine Verbrü­de­rung derje­nigen, die sich eh mögen, nost­al­gisch, mit rosaroter Brille, vor dem kalten Winter und pünktlich zur Zeit­um­stel­lung ein Ernte­dank­fest – Hurra, wir leben noch, auch dieses Jahr haben wir geschafft, Allmächt, nä!

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Die Filme stören da auch dieses Jahr nicht weiter. Manche sind gut, manche weniger, die guten hat man oft schon woanders gesehen, aber die wenigsten sind so, dass man sich über sie noch lange unter­halten mag, nachher am Brat­wurst­stand, dass sie in einem arbeiten, einen irri­tieren und verwirren, zum Streit anregen. Den Filmtagen tat das wenig Abbruch, der Selbst­be­weih­räu­che­rung erst recht nicht.

So ungefähr wäre es gewesen, weil es immer so war, und erst recht beim 50. Mal, wenn nicht... – wenn nicht der Grün­dungs­di­rektor und ewige Leiter über 49 Jahre, der Garant dieser Hofer Unver­än­der­lich­keit Heinz Badewitz im Frühjahr mit 74 Jahren verstorben wäre. Damit hat sich jetzt alles geändert.

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Nur wenige Wochen zuvor hatte Badewitz noch bei einer Feier während der Berlinale zurück­ge­blickt und die Geschichte der Gründung der Filmtage in seiner Heimat­stadt erzählt. Das hörte sich dann so an: »Ich bin als junger Mann aus Hof nach München gezogen ... an jeder Ecke wurde gedreht und dann wollten wir in München mal unsere Filme zeigen, wir fanden aber kein Kino, weil die Kino­be­sitzer sagten: Mit lang­haa­rigen Affen wollen sie nix zu tun haben... Dann hab ich nur gesagt: Ich kenne einen Kino­be­sitzer in Hof... Und dann sind wir dahin gefahren und haben 25 Kurzfilme gezeigt und das haben wir genannt ›1. Hofer Kurz­film­fes­tival‹ ohne zu wissen, das das weiter­gehen würde, das sollte nur einmal statt­finden. ... und ab dem zehnten Festival hab ich gemerkt: Es gibt kein Zurück mehr, wir müssen weiter­ma­chen. ... Und jetzt wird es dieses Jahr 50 Jahre alt.«

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Man versteht: Hof, das war in seiner Grün­dungs­zeit, am wilden Ende der 1960er Jahre, zwar nicht der Grün­dungsort, aber die Wahl­heimat der Revo­luzzer, der jungen Rebellen des deutschen Kinos. Werner Herzog zeigte hier seine ersten Filme und Wim Wenders. Und auch für die eine Gene­ra­tion Jüngeren und etwas weniger revo­luz­zer­haften, wie Doris Dörrie – die zehn Jahre Hof-Mitar­bei­terin war –, Rosa von Praunheim und Dominik Graf und – noch einmal 10 Jahre jünger – für Christoph Schlin­gen­sief und Tom Tykwer war Hof ein Ort der Unge­zwun­gen­heit und Toleranz: Hier konnte man Filme vorführen und sich trotzdem wohl­fühlen.

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In den frühen Jahren, als das deutsche Kino noch politisch war und Kunst nicht Enter­tain­ment hieß, sondern mit Irri­ta­tion und Verän­de­rungs­willen zu tun hatte, da gehörte zu diesem Wohl­fühlen auch die Debatte, und die Streit­kultur.

Inzwi­schen ist das deutsche Kino aber an so etwas komplett unin­ter­es­siert, und das zunehmend ohne schlechtes Gewissen. Und seien wir ehrlich: Auch in dieser Hinsicht war Hof, dieser Brat­wurst­seis­mo­graf des deutschen Films, ein Vorreiter des (schlechten) Zeit­geists.

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In den letzten zehn Jahren wurden die Filmtage nicht nur mit ihrem Leiter und ihren Besuchern immer älter, sie verloren auch jede Hand­schrift, jede Entschie­den­heit, jede Fähigkeit, Neues zu entdecken oder gar zu befördern.
Hier wurde nicht mehr kuratiert, sondern mit allzu viel Wohl­wollen nahezu alles gezeigt was von den anderen Festivals mit ihrem jüngeren, schär­feren Profilm übrig geblieben war, oder von alten Freunden stammte und von hübschen Film­stu­den­tinnen. Wer noch kam, der kam nicht, um die neuesten, wich­tigsten deutschen Filme zu sehen, sondern eben wie zu einem Klas­sen­treffen: Um die Freunde von früher wieder­zu­sehen und sich über die alten Zeiten zu unter­halten.

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Weil jeder hier viel­leicht schon lange nicht mehr die Filme, aber jeden­falls Heinz Badewitz mochte, glaubte man dem Festival-Label, das Hof als »Home Of Fims« ausbuch­sta­bierte. Höchstens hinter vorge­hal­tener lästerten Filme­ma­cher: »Hof bleibt doof, da helfen keine Filme«.

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Kalauer hin oder her – nach 50 Jahren und ohne seinen Leiter sowieso kaum vorstellbar, nur fürs Jubiläum provi­so­risch von einer Hand voll Funk­ti­onäre der Branche kuratiert, ist es viel­leicht der richtige Zeitpunkt um zu sagen: Es war eine schöne Zeit, aber jetzt ist es auch gut. Viel­leicht sollten die 50. Filmtage auch die letzten sein.
Reine Nost­al­gie­ver­wal­tung reicht zwar für ein trauriges Jubiläums­fes­tival, aber es ist nicht genug für die Zukunft.

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Das tapfere Kura­to­rium, das ehren­amt­lich diesmal die Filme auswählt, über die man zwar ähnlich streiten kann, wie über Badewitz' Auswahl, aber etwas inter­es­santer wirkt sie schon, dieses Kura­to­rium kann und sollte diesen Job nur einmal machen. Sehr gern möchte ich ein Festival sehen, das Alfred Holighaus, Linda Söffker und Torsten Schaumann kura­tieren. Aber bitte nicht Hof.
Ich fahre dieses Jahr lieber auf die Viennale.

(to be continued)