24.03.2016
Cinema Moralia – Folge 130

Die Heimat, das Geld und der Tod

Früher oder später
»Früher oder später – Sterben muss jeder« heißt eine neue Serie im BR. Ein hochkarätiges Format, das noch dazu billig ist – Modell für die Zukunft?
(Foto: Bayerischer Rundfunk)

Pensionäre essen Sender auf, Bauern wollen beerdigt werden, Monika Grütters ist eingeknickt, und der deutschen Filmförderung wird es auch in Zukunft schlecht gehen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 130. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Fernsehen könnte anders sein. Wenn man die Leute mal machen lässt.« Wie es gehen könnte, das zeigt die Münchner Regis­seurin Pauline Roen­ne­berg jetzt am Oster­samstag. Da läuft im dritten Fern­seh­pro­gramm, im BR, um 16:15 Uhr die Pilot­folge ihrer Doku-Serie »Früher oder später – Sterben kann jeder«.
Es sind echte Kino­bilder, die da auf dem Bild­schirm zu sehen sein werden – und ohne Frage beweist der Sender noch mehr Mut als die Regis­seurin mit diesem Autoren­film im Seri­en­format, der erst einmal auf vier Teile von je einer halben Stunde angelegt ist: Jede Folge spielt in einer Jahres­zeit, vorge­stellt wird das Leben in einem Dorf in der Oberpfalz, und weil im Zentrum der – im Übrigen durchaus witzigen – Serie der Tod steht, gibt es auch jedes Mal eine Beer­di­gung zu sehen.
Wir geben zu: Das hätten wir dem BR nicht unbedingt zugetraut. Ein mutiges, nicht für den BR unge­wöhn­li­ches Unter­fangen, für das man den baye­ri­schen Sender gar nicht genug loben kann. Die Serie ist das Ergebnis einer beson­deren Koope­ra­tion zwischen dem BR und der HFF München: Studen­ti­sche Teams wurden dazu aufge­rufen, beson­deres, inno­va­tive TV-Formate zu entwi­ckeln. Das Ergebnis lobt auch BR-Unter­hal­tungs­chefin Annette Sieben­bürger: »Mit 'früher oder später' erschufen die Studenten eine neuartige Erzähl­weise der Doku­men­ta­tion, die mehrere Blick­winkel des Betrach­tens zulässt.«

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»'Six Feet Under' meets deutschen Heimat­film« – so kann man »Früher oder später« am besten zusam­men­fassen. In sehr liebe­voller Weise in ruhiger Beob­ach­tung, mit einem Timing und einem Sinn für Skur­ri­li­täten, die an Filme von Kauris­mäki wie an manchen latein­ame­ri­ka­ni­schen Inde­pen­dent erinnern, erzählt die Serie von Kultur­clashs, wie sie das Leben so mit sich bringt: Von Ernst und Roswitha Schöfl, die Landwirte und Bestatter zugleich sind, von einem Dorf und einigen seiner Bewohner, von alten Gemein­schaften, wie der Kirchen­ge­meinde, dem Pfarrer und den Mess­die­nern, wie von neuen, etwa einer Kommune aus Ausstei­gern, die auf dem Land ihr Glück und ein besseres Leben suchen. Die Szene, in der diese Welt­ver­bes­serer mit ihren Ideen über Klima­wandel und Fleisch­ver­zicht auf die Dorf­be­wohner treffen, ist einer der Höhe­punkte des Auftakt­films.
Roen­ne­berg glaubt fest daran, dass es möglich sein muss, anspruchs­volles Fernsehen zu machen, und die Grenzen zwischen Fernsehen und Kino, zwischen Kommerz und Kunst, die allemal in den Köpfen exis­tieren, und das deutsche Kino so lähmen, zu sprengen.
Seit 2007 studiert sie an der HFF München. Nach dem Gewinn des Münchner »Starter Filmpreis« 2013 hat sie die Serie entwi­ckelt, und gemeinsam mit Isabelle Bertolone produ­ziert.

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Besonders einprägsam ist die groß­ar­tige Kamera von Zoe Schme­derer, aber auch die Zusam­men­ar­beit mit der Drama­turgin Britta Schwem hebt die Regis­seurin besonders hervor. Denn »wir haben nicht geschrieben, aber reagiert.« Auch wenn Roen­ne­berg hier auch als Autorin geführt wird, gab es nie ein geschrie­benes Drehbuch. Davon sollten auch andere fördernde Sender und Förder­an­stalten lernen.

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Wichtig ist Roen­ne­berg, dass sie von echten Menschen »echte Geschichten« erzählt – eben darum sei alles trotz Drama­turgie und Anlehnung ans fiktio­nale Erzählen doku­men­ta­risch: »Das ist ein Konzept, das ich eigent­lich nicht kenne, nicht gescripted, aber echt.«
Bestatter mag fast schon ein modisches Thema sein, die Heran­ge­hens­weise ist aber unge­wöhn­lich: Langsam, heiter und gewis­ser­maßen idyllisch wird hier von Tod und Sterben erzählt. Die Bezeich­nung Heimat­film will die Regis­seurin deswegen nur sträubend akzep­tieren. Für einen nicht­baye­ri­schen Zuschauer aber wird hier unbedingt mit dem Bild- und Figu­ren­ac­ces­soire des Heimat­films gespielt, auch wenn dieses Dorf am Ende überall liegen könnte, und das Leitmotiv des Umgangs mit dem Tod natürlich universal ist.
Überhaupt lässt sich derzeit ein Revival des Heimat­films im deutsch­spra­chigen Kino beob­achten. Das war für alle, die die Diagonale in Graz besuchten, schon unüber­sehbar. Und die im Sommer anste­henden Festivals von Ludwigs­hafen und München dürften den Trend vermut­lich bestä­tigen, das macht der Blick auf die fertigen Produk­tionen schon jetzt klar. Der Blick auf die Heimat oder was man dafür hält, ist dabei natürlich meist gebrochen – die Volks­musik wurde gerade aus dem Programm von »Bayern« endgültig verbannt, der Förster vom Silber­wald und das Schwarz­wald­mädel sind mausetot und dürften trotz AfD-Erfolgen auch nach Ostern nicht wieder­auf­er­stehen.

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Für seine Qualität wurde »Früher oder später – Sterben kann jeder« in jedem Fall erstaun­lich günstig produ­ziert. Das war vermut­lich nur möglich, weil die Macher alle Studenten sind, und das Kernteam aus nur drei Personen bestand. Zudem treten die Betei­ligten mit ihren Gagen als Kopro­du­zenten auf. Und immerhin haben sie sich die Rechte für die wahr­schein­liche Kino­aus­wer­tung gesichert. Die konkreten Zahlen wollen die Filme­ma­cher aber nicht in der Öffent­lich­keit lesen, und das wird vermut­lich seine Gründe haben.

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Dass der BR auch in Zukunft darauf ange­wiesen ist, super­bil­lige Filme von ihrer Natur nach selbst­aus­beu­tungs­be­reiten Film­stu­denten produ­zieren zu lassen, machte vor einigen Tagen ein Prüf­be­richt des Obersten Rech­nungs­hofs des Frei­staats klar.
Darin kommen die Prüfer zu Ergeb­nissen, die den BR gerade erschüt­tern: Seit sieben Jahren macht der Sender unun­ter­bro­chen Verluste. Wenn es finan­ziell so weiter­geht, wird der Sender in den nächsten zwei, drei Jahren alle Rücklagen und sämtliche Eigen­mittel aufge­braucht haben.
Grund für diese Schief­lage ist ein Problem, das alle öffent­lich-recht­li­chen Sender plagt: Die riesigen Pensi­ons­kosten zu denen oft noch sender­in­terne Betriebs­renten kommen. Die Zuhörer und Zuschauer bekommen weniger fürs gleiche Geld. Eine absurde Situation. Um die Aufwen­dungen für Pensi­onäre stemmen zu können, muss am Programm und am aktuellen Personal gespart werden.
Der Sender wider­spricht dem in der Sache nicht, sondern erwähnt nur, man habe ja bereits 2014 insgesamt 25 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr einge­spart. Dieses nied­ri­gere Volumen haben man 2015 gehalten. In diesem Jahr würden weitere 25 Millionen einge­spart: Vor allem beim Personal, den laufenden Kosten, aber auch bei den Inves­ti­tionen werde gekürzt. 2017 müsse man noch einmal einsparen.
Na super! Irgend­wann stellt der BR dann sein Programm komplett ein, und beschränkt sich auf die Pensi­ons­zah­lungen.

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Ein guter Film­kri­tiker muss vom eigenen Geschmack voll­kommen absehen können, aber er muss ihn haben. Zugleich aller­dings sollte er in der Lage sein, einen eupho­ri­schen Text über einen Film zu schreiben, den er sich im Leben nicht ein zweites Mal anschauen würde.

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»Film­för­de­rung ist jetzt effek­tiver und zukunfts­si­cher«, behauptet Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters in ihrer heutigen Pres­se­mit­tei­lung zur Verab­schie­dung des Entwurfs für ein neues Film­för­de­rungs­ge­setz (FFG). Das Gegenteil trifft zu.
Der FFG Entwurf schreibt die bestehenden Verhält­nisse fort, und enthält nichts, das sich als Hoff­nungs­schimmer auf eine bessere Zukunft deuten ließe. Offen­sicht­lich ist die Minis­terin vor der Macht der Verbände einge­knickt.
Statt konkreten Maßnahmen zur Verbes­se­rung deutscher Filme und zur gezielten Förderung von Qualität zum Beispiel durch Verän­de­rung der Gremi­en­zu­sam­men­set­zung gibt es nur »eine geschlech­ter­ge­rechte Besetzung der Gremien« – modisch, aber komplett unwichtig für Quali­täts­fragen.
»Der Kinofilm in Deutsch­land ist Kultur- und Wirt­schaftsgut zugleich.« An dieser leeren Behaup­tung sollte man die Minis­terin messen: Welchen Kultur­wert haben in Deutsch­land geför­derte Filme? Und wie wirt­schaft­lich sind sie? Die erste Frage beant­worten die inter­na­tio­nalen Film­fes­ti­vals und Preis­ver­an­stal­tungen. Deutsch­land spielt da keine Rolle. Zur Beant­wor­tung der zweiten Frage müssen endlich die Zahlen der Förderer auf den Tisch.
Immerhin »darf« (warum nicht »soll«?) die Film­för­de­rungs­an­stalt (FFA) auch zu einzelnen Titeln Infor­ma­tionen wie deren Herstel­lungs­kosten, Erlöse und Rück­zah­lungen publik machen.

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Tabea Rößner, Spre­cherin für Film­po­litik der Bundes­tags­frak­tion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, kriti­siert den brand­neuen Kabi­netts­be­schluss. Grütters habe »auf halber Strecke der Mut verlassen.« Denn auch in der Reform des FFG werden Kreative in den Entschei­dungs­gre­mien zugunsten der ohnehin mächtigen Verleiher an den Rand gedrückt.
Zudem sei die Staats­mi­nis­terin vor den öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­sen­dern Staats­mi­nis­terin einge­knickt: Die Erhöhung ihrer Film­ab­gabe hat sie wieder stark zurück­ge­nommen. Auch der origi­nelle Ansatz, den Zuschau­er­er­folg deutscher Filme im Ausland in die Refe­renz­för­de­rung einfließen zu lassen, wurde wieder verworfen.
Rößner weiter: »Unver­s­tänd­lich bleibt aller­dings, warum der Regie­rungs­ent­wurf die Macht des Vorstands der FFA weiter ausbaut und der Film­branche damit kommu­ni­ziert: Juristen wissen am besten, was für den Film gut ist. Das sehen wir anders: Die Kreativen sollten den Ton angeben.«
Das zielt direkt auf den Autor und Haupt­ver­ant­wort­li­chen des FFG, Minis­te­ri­al­di­rek­tior Günter Winands. Der ist ein Jurist – wie er im Buche steht. Und für das deutsche Kino ist das schlecht.

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Dass man von Fußball viel über das Leben und also auch das Kino lernen kann, bezwei­feln nur die, die sich nicht mit ihm beschäf­tigen. Letzte Woche zum Beispiel. Da war der FC Bayern eigent­lich schon gegen Juventus Turin aus der Cham­pi­ons­le­ague ausge­schieden. Die Italiener hätten noch zwei Tore mehr schießen müssen, ein reguläres Tor wurde wegen angeb­li­chem Abseits nicht gegeben. Trotzdem: die Bayern lagen am Boden. Dann machte der blöde Juve-Trainer den einen fatalen Fehler, der an den Fauxpas des damaligen Bayern-Trainers Heynckes erinnerte: Zu viele, zu frühe Auswech­se­lungen. In drei Minuten zwei Wechsel, die Neuen hatten sich noch nicht koor­di­niert, und schon hatten die Bayern den Abschluss und die zweite Luft, in der Nach­spiel­zeit kam der übliche Bayern-Dusel dazu, und sie wendeten das Blatt. Was lernen wir daraus fürs Leben? 1. Man sollte einen Gegner nie unter­schätzen; 2. Ein Spiel ist erst gewonnen, wenn’s gewonnen ist; 3. Wenn es wirklich um Dramatik gehen sollte, dann ist Fußball dem Kino haushoch überlegen.

(to be continued)