16.07.2015
Cinema Moralia – Folge 110

Have a nice Summer:-

Sonntags... nie!
Melina Mercouri in Sonntags... nie!
(Foto: Jules Dassin)

Ein Schiff wird kommen: Rainald Goetz, die Ästhetik der griechischen Tragödie, dänische Geheimnisse, Abschied vom »in«-München und andere Kuriositäten – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 110. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»...die großartig und auch noch immer wieder explizit bejahte Affir­ma­tion von Tratsch und übler Nachrede als Kunst, ja, man müsste sich fest­halten, weil es so irr ist, aber jeder hat sich inzwi­schen komplett daran gewöhnt, dass der Boule­vard­dreck, der den Proleten offen und direkt als Lüge verkauft wird, von den Boule­vard­chefs den Nicht­pro­leten, den Intel­lek­tu­ellen, als Kunst verkauft wird...«
Rainald Goetz, »loslabern«, Frankfurt 2009, S.170

Yeah! Keiner hat den Büchner-Preis dermaßen verdient wie Rainald Goetz, der beste und zugleich meist­un­ter­schätz­teste deutsch­spra­chige Autor der Gegenwart, einer der ganz wenigen lebenden Schrift­steller, der überhaupt die Lektüre lohnt, von dem ich mir jedes neue Buch sofort besorge und es sogar auch noch lese, manchmal sogar mehr als nur einmal, ein Vorbild auch in vieler Hinsicht, als Schreiber und mehr noch als Neugie­riger, Sensibler, und einer, der auch wahn­sinnig filmisch schreibt, so, dass man sie fragt, ob der Mann nicht eigent­lich Filme macht, viel­leicht heimlich, viel­leicht aber auch mit Worten und Buch­staben, ohne es zu wissen. Gratu­la­tion, Verbeu­gung, Verehrung, ich freue mich schon auf die Preisrede!

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Es ist ja das eine, was man über die soge­nannte »Grie­chen­land-Krise«, oder »Euro-Krise«, die in Wahrheit eine Banken­krise ist, denkt. Aber diese Grie­chen­land­selbst­ge­rech­tig­keit der Deutschen und vor allem der deutschen soge­nannten Qualitäts-Medien, dieser apoka­lyp­ti­sche Ton der deutschen Medien, ist täglich zum Kotzen. Käme es nicht aus der falschen Ecke, möchte man fast »Lügen­presse« brüllen, allemal fällt einem das auch nicht sehr schöne Wort aus der Weimarer Republik von der »System­presse« ein. Als ob ein Kartell Meinungen und Mehr­heiten orches­trieren müsste, als ob alle Chef­re­dak­teure und Verlags­ge­schäfts­führer Angst haben, dass es bald ihnen an den Kragen gehen könnte, wenn sie nicht auf die Griechen eindre­schen – und zwar ohne jedes Maß.
Abgesehen von allem: Als ob es das Geld der Leute wäre – es sind die Banken, ihr Trottel.

Dabei ist es leider nur zu offen­kundig, dass hier die prin­zi­pi­elle Unfähig­keit einer linken Regierung vorge­führt werden soll, damit ja niemand auf den Gedanken kommen könnte, so eine Regierung auch woanders zu wählen. Ebenso sonnen­klar ist, warum die SPD, allen voran Siggi Gabriel der Kugel­blitz der SPD, noch lauter quäkt und schimpft, weil ihnen Syriza und Podemos zeigen, was »links« bedeutet, weil nunmehr doch für immer mehr Deutsche klar ist, dass die derzei­tige SPD keine linke Partei ist, noch nicht mal eine links­li­be­rale und auch keine Alter­na­tive zur CDU/CSU, sondern nur ihr Wurm­fort­satz.

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Was aber noch schwerer wiegt und wirklich schade ist, wenn auch nicht über­ra­schend, ange­sichts des grund­sätz­li­chen ästhe­ti­schen Defizits der »deutschen Seele«: dass noch nicht einmal jemand ein Gefühl für das Thea­tra­li­sche der Situation hat, dass niemand mal Achtung dafür äußert, was für groß­ar­tige Darsteller und Spieler die Herren Zsipras und Varou­fakis sind. Dass sie mutig sind, etwas riskieren, und dass in ihrem Auftritt eine unglaub­liche Anmut liegt, Schönheit und Charisma. Dass sie die Underdogs sind, die stell­ver­tre­tend für den Teil der Mensch­heit, der sich noch anderes als Merkels Republik der Alter­na­tiv­lo­sig­keit vorstellen kann, einen Kampf gegen ein Ungeheuer ausfechten, einen Kampf der Titanen. Dass mit anderen Worten die Ästhetik der grie­chi­schen Tragödie so völlig an den Deutschen vorbei geht.
Aber kein Gran Humor, nirgends. Noch nicht mal Sinn fürs Poker­spiel.

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Sonntags... nie! heißt der 1960 in Cannes urauf­ge­führte grie­chi­sche Film Pote tin Kyriaki von Jules Dassin, wo Melina Mercouri, die spätere Kultur­mi­nis­terin das Lied Ta Paidia Tou Piraia singt. In Deutsch­land wurde das Lied unter dem Titel Ein Schiff wird kommen von Lale Andersen zum Hit.
War es nur Zufall, dass dieses Lied in Christian Petzolds schönem »Poli­zeiruf 110 (Kreise)« zitiert wurde? Das war ein Film über Menschen, die in ihren eigenen Modellen gefangen sind, und da nicht raus­kommen. Dieses Modell wiederum lässt sich auf die derzei­tige EU-Finanz­show gut über­tragen.

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Email an das dänische Film­in­stitut. Grund war eine eher harmlose Nachfrage, einen dänischen Film betref­fend, und meine Mail ging an die zustän­dige allge­meine Mail­adresse. Die Antwort kam post­wen­dend:
»Thanks for your e-mail. I am on holiday and will return on Friday, August 7th. Emails will not be checked throug­hout this time.
For general festival matters please contact:
Festival Manager Lizette Gram Mygind – lizetteg@dfi.dk
Festival Manager Christian Juhl Lemcke – chris­tianjl@dfi.dk
For print matters please contact:
Print Manager Malene Vincent – maleneiv@dfi.dk
Print Coor­di­nator Frede­rikke Guldborg Larsen – print­coor­di­nator@dfi.dk
Best regards,
Jeppe H. Jørgensen«

Ich maile also der ange­ge­benen »Festival Manager Lizette Gram Mygind – lizetteg@dfi.dk«
Von dort die Antwort:
»On Summer break until August 3rd.
For urgent assis­tance only:
Christian Juhl Lemche / Chris­tianjl@dfi.dk / until July 10th
Frede­rikke / Print­coor­di­nator@dfi.dk / after July 10th
Otherwise I will get back to your inquiry upon my return.
Best Regards,
Lizette Gram Mygind
Festival Consul­tant
Danish Film Institute
Mobil: +45 2482 3758«

Also maile ich dem in beiden Mails ange­ge­benen Christian Juhl Lemche. Von ihm die nicht mehr ganz über­ra­schende Antwort:
»I am out of office – back on August 10th. From July 7 – 10 I’m attending the Karlovy Vary Inter­na­tional Film Festival and after­wards I’m on holiday. After this date you may try Frede­rikke / Print Coor­di­nator / Print­coor­di­nator@dfi.dk<mailto:Print­coor­di­nator@dfi.dk>.
Otherwise I will get back to you upon my return.
chris­tianjl@dfi.dk«

Bei der gleich­falls ange­ge­benen Kollegin war es noch gutge­launter formu­liert:
»I am on Summer Holiday and will be back in the office on Thursday the 5th of August.
In case of emergency, please contact my colle­a­gues:
Frede­rikke Guldborg Larsen, Tel: + 45 33 74 36 42
E-mail: print­coor­di­nator@dfi.dk<mailto:lance­rings­as­sis­tent@dfi.dk>
or
Katrine Danielle Bjaarnø, Tel: +45 3374 3517, Email: katrineb@dfi.dk<mailto:katrineb@dfi.dk>
Have a nice Summer :-
Best regards,
Malene
Malene Vincent
Festival Coor­di­nator
Marketing & Festival Distri­bu­tion«

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Immerhin die arme Frede­rikke Guldborg Larsen (print­coor­di­nator) muss in Kopen­hagen die Stellung halten. Denn sie hat, auf meine fünfte Mail dann geant­wortet.
Generell bleibt aber der Eindruck, dass man in Dänemark eine ganz ruhige Kugel schiebt, und überaus gelassen den Sommer genießt. Viel­leicht ist ja auch dies ein Teil der phäno­me­nalen Erfolge des dänischen Films. Gemessen an der Bevöl­ke­rungs­zahl ist Dänemark zusammen mit Öster­reich das erfolg­reichste Filmland Europas. Und keine Nation geht öfters ins Kino: 8,4 Mal besucht jeder Däne, Klein­kinder und Uralte mitge­rechnet, dort jährlich einen Film im Kino.

Und das nächste Mal, wenn ich etwas übers dänische Kino wissen will, schreibe ich einfach einen Brief. Geht wahr­schein­lich schneller:
Danish Film Institute
Gothers­gade 55
DK-1123 Copen­hagen K
Denmark

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Abschied vom »in«-München: Nach 17 Jahren Punkte geben im »Film­spiegel« des »In-München«, des kosten­losen Stadt­ma­ga­zins der baye­ri­schen Landes­haupt­stadt, möchte Hermann Barth auf meine Dienste in Zukunft verzichten, und hat mir recht ruppig und aus meiner Sicht stillos den Stuhl vor die Tür gesetzt. Ich werde es überleben, aber finde es doch schade, dass sich diese Art der Verbun­den­heit mit München nun löst, zudem auf derart stillose Weise.

Der Grund sind preußi­sche Tugenden bei diesem baye­ri­schen Stadt­ma­gazin.
Denn Barth, der Ende 2010 nach einiger Zeit als Dok-Fest-Leiter, die Heraus­ge­ber­schaft des »in« recht plötzlich und für manche etwas ruppig von der lang­jäh­rigen Heraus­ge­berin Chris­tiane Heinrich über­nommen hatte, war zornig darüber, weil ich meine Wertungen in den letzten Monaten ein paarmal nicht angegeben hatte. Chris­tiane Heinrich hatte so etwas einst immer auf die Schnelle tele­fo­nisch erledigt, seit Barths Amtsü­ber­nahme gab es Exel-Tabellen, die sich nicht immer abspei­chern ließen. Auch tele­fo­nisch ließ er dann nicht mehr mit sich reden. Schade. Ich habe meine – übrigens natürlich ehren­amt­li­chen – Wertungen immer als Unter­s­tüt­zung eines solchen, im Grunde natürlich längst über­holten und durch Internet-Angebote ersetzten, Stadt­ma­ga­zins gesehen. Und hätte mir nach all den Jahren einen etwas ange­neh­meren Umgang gewünscht – dass es nach 17 Jahren auch mal genug ist, steht da auf einem ganz anderen Blatt.

In seiner Verab­schie­dungs­mail, die ohne jede Vorwar­nung und daher für mich doch über­ra­schend gekommen war, behauptet Barth sein Bedauern und begründet es selbst damit, dass meine Ansichten etwas unkon­ven­tio­nell, von den anderen Kollegen abwei­chend und überdies zu gesprächs­an­re­gend gewesen seien. Auf die Idee, dass solche abwei­chenden Meinungen und meine fehlenden preußi­schen Tugenden womöglich etwas mitein­ander zu tun haben könnten, ist er aber nicht gekommen.
Jetzt muss, wer Suchsland will, halt erst recht artechock lesen!

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Apropos »Film­spiegel«. Was macht eigent­lich Uli Hübsch? Lange vor meiner Zeit, als es die tz noch gab, also, als sie noch eigene Texte hatte, und nicht mit dem Münchner Merkur identisch war, war Uli Hübsch jahrelang das tz-Gesicht des Film­spiegel. Viel­leicht weiß ja wer etwas.

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Eigent­lich wollten wir gern noch etwas zum »Kultur­gut­schutz­ge­setz« der Kultur­staats­mi­nis­terin schreiben. Aber das können wir auch ein andermal. Also belassen wir es bei einer Frage und einem Zitat. Die Frage (sind eigent­lich zwei): Bezieht sich das alles auch auf Filme, und wieviel Geld gedenkt die Minis­terin dafür auszu­geben, dass man die in den Archiven vor sich hinrot­tenden Film­ko­pien zumindest vor dem weiteren Zerfall schützt?

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Das Zitat (sind eigent­lich Zitate) stammt von Gerhard Richter und ist mir sausym­pa­thisch: Das geplante Kultur­gut­schutz­ge­setz der Bundes­re­gie­rung sei ein Eingriff in die Freiheit: »Niemand hat das Recht, mir vorzu­schreiben, was ich mit meinen Bildern mache«, sagte Richter im Gespräch mit der »Dresdner Morgen­post«. Er werde seine Bilder nicht irgend­einer Kommis­sion zeigen und fragen, ob er sie verkaufen dürfe. »Diese Leute haben meist auch gar keine Ahnung von Kunst«, so Richter über derartige Kommis­sionen.
Dauer­leih­gaben werden jetzt aus deutschen Museen abgezogen. Richter dazu: »Ich würde es genauso machen wie er: die Bilder aus den Museen holen, schnells­tens auf den Markt bringen und verkloppen.«
Scheint so, als wäre Monika Grütters selbst auf ihrem vermeint­lich ureigenen Feld, der bildenden Kunst, zunehmend im Amt über­for­dert und angreifbar. Was schade wäre, weil Grütters ja eigent­lich im Gegensatz zu vielen anderen, so etwas wie einen Kunst­be­griff hat.

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Jetzt kommt der neue Film von Sono Sion ins Kino: Tokyo Tribe Unbedingt angucken! Genau wie It Follows, der letzte Woche gestartet ist.

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Ein Satz noch: Perfek­tion ist unin­ter­es­sant. Spektakel ist die Essenz des Kinos.

(to be continued)