Cinema Moralia – Folge 102
»Til, ich beneide Dich!!!« |
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Til Schweiger in Honig im Kopf | ||
(Foto: Warner Bros. Entertainment GmbH) |
»Ehrlich gesagt, Til, ich beneide dich darum, dass du weißt, wie es geht. Ich beobachte dich dabei und versuche zu lernen.« Also sprach Ralph Schwingel, erfolgreicher deutscher Produzent, bei der Deutschen Filmakademie. Das Zitat ist vermutlich schon ein paar Jahre her. Wir haben es ausgegraben, weil Schwingel diese Woche plötzlich und unerwartet aus ganz anderen Gründen im Gespräch ist. Dazu weiter unten mehr.
Es erscheint uns aber interessant im Zusammenhang mit einem zweiten
Statement.
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Das stammt von Medienboard-Chefin Kirsten Niehuus, und wurde uns von Studenten aus anderen Städten als Berlin (das muss man hier ja mal dazusagen) als Gedächtnis-Protokoll einer Rede übermittelt, die Niehuus am Studententag während der letzten Berlinale gehalten hat, und über die sie als Menschen die den warmherzigen Berliner Ton nicht gewöhnt sind, doch etwas schockiert waren. Zitate nicht ganz wortwörtlich aber sinngemäß: »Wenn ihr Filmförderung wollt, guckt doch mal, wo ihr
zuhause seid und versprecht euch nicht zuviel von Berlin Brandenburg. ... Ich guck ja eher so Formate wie ›True Detective‹ und ›Big Bang Theory‹, und ich will ja nicht so direkt dafür werben, dass alle nur noch Til-Schweiger-Filme schreiben, aber man muss sich schon fragen, warum der fünf Millionen Zuschauer hat, ... es wäre schon gut, wenn man an sein Publikum denkt und auch fünf Millionen Zuschauer bekommt – und solche Stoffe möchte ich gerne auf meinem
Schreibtisch finden.
Über Genialität freuen sich die Eltern, nach der Ausbildung kommt harte Arbeit. ...«
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Allein über den letzten Satz, könnte man lange reden, und eine ganze Psychologie des deutschen Kunstverhältnisses und -verständsnisses entwickeln. Genialität und Leichtigkeit steht unter Verdacht, wenn es dagegen nach Männerschweiß riecht, dann imponiert das offenbar. Dabei könnte sich doch auch eine Förderchefin über geniale Stoffe freuen...
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Aber es geht uns um etwas anderes. Um dieses vollkommen einseitige und – pardon! – verblödete Erfolgsverständnis der Filmbranche. Was macht denn Til Schweiger richtig? Doch eigentlich gar nicht so viel, außer dass er viele Zuschauer bekommt. Worüber man sich freuen kann, weil das den Kinobetreibern hilft, worüber man nicht lamentieren muss, weil das ein Bestandteil einer funktionierenden Kinokultur ist. Was man aber auch nicht anbeten muss.
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Schon klar, es heißt dann gern mal Kunst, Kunst, Kunst, Cannes, Cannes, Cannes. Aber am Ende des Tages zählen nur die Zuschauer. Oder große internationale Autorenfilmernamen.
Das aber ist das richtig schmerzhafte grundsätzliche Problem des deutschen Films: Dass alle so einseitig auf Zuschauer fixiert sind, (bzw. beim Fernsehen auf Quoten). Dass keiner fragt, womit die Quote gemacht wird, dass keiner wissen will, in welche Filme die Zuschauer gehen und warum, das ist das
Armselige. Egal für was und womit, Hauptsache, die Zahlen stimmen.
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Da schert sich dann auch niemand mehr darum, wozu Filmförderung da ist. Folgt man nämlich den Gesetzen, dann geht es primär (!) nicht um Wirtschaftlichkeit, sondern um die – Filmförderungsgesetz § 1(1) – »kreativ-küstlerische Qualität des deutschen Films als Voraussetzung für seinen Erfolg im Inland und im Ausland«.
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Ich habe gar nicht so viel gegen Til Schweiger. Aber gegen diese Erfolgshörigkeit der anderen. Dass sie sich nicht schämen vor Schweiger so zu buckeln. Schweiger selbst dürfte so ein anbiederndes Verhalten übrigens am meisten verachten. Und die Filmakademie will sich, soweit ich gehört habe, auch erst mal noch nicht in Til Schweiger-Akademie umbenennen.
Also habt doch bitte etwas mehr Rückgrat!
Natürlich ist Publikums-Erfolg ein Kriterium. Aber doch nicht das einzige! Und zudem
muss dann zwischen kurzfristigem Erfolg und langfristigem, nachhaltigem Erfolg differenziert werden, zwischen Filmen, die in fünf Jahren vergessen sind, und jenen die in zwanzig Jahren in Retrospektiven laufen. Es muss auch zwischen inländischem und ausländischem Erfolg differenziert werden, und zwischen Festivalerfolgen und Kassenerfolgen. Es muss um Relevanz des Erfolges gehen, auch um Nachhaltigkeit.
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Aufgeschnappt von einer öffentlich-rechtlichen Redakteurin: »Eventfernsehen kann man ja nur mit Nico Hofman und mit Berben machen.« Na dann! Wenn man nur denen die Aufträge gibt, werden es die anderen auch nie lernen.
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»Film ist eine Operation, wo wir ganz viel Ungeduld für brauchen und ganz viel Geduld. Kein Mensch, der nicht leidenschaftlich ist, kann einen Film machen. Ich glaube trotzdem, man braucht auch das Stoische, man braucht auch das Genau-Hingucken. Und ich denke, es braucht in diesem Diskurs immer jemanden, der die Rolle spielt, sich zu fragen: Funktioniert das auch?«
Auch das sagte Ralph Schwingel. Kann ich unterschreiben. Aber bedeutet »funktionieren« nur: bei der Masse? Manche
Filme funktionieren doch auch, wenn sie eine kleinere Gruppe erreichen – weil sie für diese Menschen gemacht sind. Und weil sie relativ wenig kosten.
Das wird nämlich immer übersehen: »Erfolg« ist relativ. Erfolg ist abhängig von Kosten für Produktion und Herausbringung. Zuschauer-Erfolg misst sich nie allein an der nackten Zahl der Kinozuschauer. Sondern am Verhältnis zur vom Verleih eingesetzten Kopienzahl und zur Menge der Vorstellungen und zum für Marketing und PR
eingesetzten Budget, sowie zum Produktionsetat.
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Und: Hat die Masse denn immer recht? Kann das Publikum per se nicht irren? Kann man ein Publikum nicht bilden? Und hängen dessen Entscheidungen nicht ab von Sehgewohnheiten und dem, was man früher mal Erziehung nannte. Frühere Generationen hätten beim Angucken eines Til-Schweiger-Films ein schlechtes Gewissen gehabt. Und dass sie sich heute nicht ganz andere Dinge mit gutem Gewissen reinziehen, ist nicht unbedingt ein Indiz für kulturellen Fortschritt.
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Wie sich vergangene Woche schon angedeutet hat, geht es jetzt tatsächlich an der dffb drunter und drüber. Man muss es hier für alle, die nicht so auf dem Laufenden sind, und das vielleicht auch gar nicht sein möchten, nochmal knapp zusammenfassen: Ein neuer Direktor wird gesucht. Dafür gibt es ein Verfahren, das nicht zu dem von Berliner Politik und den im Hintergrund agierenden Funktionären der deutschen Filmbranche gewünschten Ergebnis geführt hat. Zwei Kandidaten, die man gern
durchgewunken hatte (um die offenbar von offizieller Seite ungeliebten Kandidatin Sophie Maintigneux zu verhindern) wurden verschlissen, nicht zuletzt zu deren eigenem Schaden. Jetzt versucht man am Verfahren und der dffb vorbei einen dritten Kandidaten, der sich bislang gar nicht beworben hatte, ins Amt zu hieven.
Das wirklich Bemerkenswerte, Üble, und Unakzeptable daran ist die Tatsache, dass die komplette (!) Studentenschaft und die (zumindest offiziell) komplette
Dozentenschaft und die Studienleitung der dffb alle an einem Strang ziehen, und dieses Verfahren nicht wollen, das ihnen von Außen aufgezwungen wird – von einem Kuratorium, dem nicht ein einziger Regisseur angehört, aber zwei Fernsehredakteurinnen (gegen die gar nichts zu sagen ist) und ein US-Mainstreamstudioverleiher, Sony-Deutschland-Chef Martin Bachmann, der meines Wissen in seinem Leben noch keinen deutschen Studentenfilm verliehen hat.
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Das war die Kurzfassung. Letzte Woche hatten wir auf Björn Böhnings einseitig industriefixierte Rede aufmerksam gemacht. Heute wollen wir daran erinnern, dass der Mann eigentlich die dffb-Findungskommission führen sollte. Sein Verhalten in dieser Frage lässt einen mitunter an sinistre Verschwörungstheorien glauben, dann wieder daran, dass der Mann schlicht überfordert ist.
Gefordert ist hier allerdings sein Dienstvorgesetzter, der neue Berliner Regierende Bürgermeister
Michael Müller. Der könnte Boehning zumindest mal darauf hinweisen, dass die dffb kein Spielplatz zum Große-Politik-Üben ist.
Klar: Für Müller gibt es bestimmt wichtigere Themen, als dieses hier. Aber andererseits hat es gerade die SPD nötig, kulturpolitisch wieder einmal sozialdemokratische Flagge zu zeigen, und zu beweisen, dass man einen eigenen Kulturbegriff besitzt, der möglicherweise etwas mit sozialdemokratischen Werten zu tun hat: Mit Freiheitlichkeit,
Gerechtigkeit, Demokratisierung, Transparenz. Durchwinken von oben herab ist nicht sozialdemokratisch, und Strippenziehen mit dem Kapital sollte es zumindest nicht sein.
Björn Boehning will natürlich in dert SPD noch Karriere machen, aber vielleicht sollte man ihm mal zeigen, dass er das nicht tut, wenn er zum Totengräber der SPD-Gründung dffb und/oder ihrer Satzung wird.
Wo sind eigentlich die Genossinnen und Genossen vom SPD-Kulturforum?
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Und: Wo ist übrigens Pro-Quote-Regie bei dieser Debatte? »Frauen werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt« heißt es in der dffb-Ausschreibung.
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Am Sonntag erreichte uns zunächst einmal eine Pressemitteilung der Studenten. Daran, wie knapp und kühl sie formuliert war, war der Ernst der Lage erkennbar.
Die Studenten informierten darin über Böhnings neuesten Schachzug: Ralph Schwingel, der zuvor nicht an der regulären Ausschreibung teilgenommen hatte, sei der neue Wunschkandidat.
All das – intransparente Verfahren, Wunschkandidaten par ordre de Mufti, Gemauschel hinter den Kulissen, der Versuch mit laufenden Verfahrensänderungen die anderen Beteiligten auszuschalten, die Ignoranz gegenüber dem erklärten Willen der eigentlich Betroffenen – ist keine Provinzposse mehr, es erinnert an eine Bananenrepublik.
Und es zeigt, dass Kino bei uns nichts zählt. Wäre all das die Besetzung eines Theaterintendanten oder Museumsdirektoren, wäre
Böhning längst angezählt. Wenn nicht zurückgetreten.
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Die Presseerklärung schließt dann so: »Wir, die Studentenschaft der dffb, distanzieren uns von diesem Versuch, undemokratisches Handeln zu legitimieren. Wir werden das Vorgehen Björn Böhnings unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsverzerrung juristisch prüfen lassen.« Das kann ja noch lustig werden.
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Die gesamte dffb wollte bislang ein transparentes und öffentliches Bewerbungs- und Berufungsverfahren, in dem sich ein offener und öffentlicher Diskurs über die Kandidaten sich hätte entwickeln können. Mit dem Ziel, dass nur Kandidaten mit einer breiten und sicheren Unterstützung seitens der dffb selbst vom Kuratorium hätten berufen werden können.
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Auch die dffb-Dozenten regen sich wieder, obwohl dort Furcht und Opportunismus aus Karrieredenken heraus naturgemäß weit verbreitet ist. Aus deren Kreisen wird nun mitgeteilt, dass sich Ralph Schwingel am Freitag, 6.3. jenseits aller Verfahrensregeln auf Böhnings Einladung hin dem dffb-Kuratorium vorstellen wird. Am Ende der Sitzung soll noch keine Berufung stattfinden, sondern nur ein grundsätzliches Ja oder Nein das Ergebnis sein.
Noch vor Ostern möchte sich Schwingel mit
einer Art Antrittsvorlesung persönlich an der dffb vorstellen. Danach soll es dann zu seiner Berufung kommen. Unterstützt und empfohlen wurde Schwingel offenbar von einzelnen dffb-Dozenten – genannt werden von mehreren Personen (neben einer nicht namentlich genannten »Person außerhalb der dffb«) der Produzent Peter Rommel und der Regisseur Andres Veiel.
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Diese letzte Mitteilung konnte ich bisher nicht überprüfen. Sie hat mich überrascht, weil ich beide bis zum Beweis für demokratisch gesinnte Charaktere halte, die nicht an Studenten und Dozenten vorbei Hinterzimmerpolitik betreiben. Ich teile sie hier trotzdem mit, weil die Nachricht bereits teilöffentlich ist, und ich fest davon überzeugt bin, dass gegen Intransparenz, Klatsch und Gerede (und das gibt es in der Causa viel) nur völlige Öffentlichkeit hilft.
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Wenn das alles so stimmt, ist es ein Skandal – aber das wissen die Beteiligten ja selber. Ob Ralph Schwingel allerdings auch weiß, auf was er sich da eingelassen hat? Ich will und kann es nicht glauben.
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.