13.02.2015
65. Berlinale 2015

Ledermode und Bett­be­züge

Jan Soldats Haftanlage 4614
Jan Soldats Haftanlage 4614
(Plakat: RJ Films Inc.)

Fifty Shades of Grey ist ein Film für Raumausstatter und Fetischisten, nicht für die Sado-Maso-Szene – Berlinale-Tagebuch, 11. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Das Schönste an Festivals sind die Zusam­men­treffen des Unver­ein­baren oder des Doch-Verein­baren. Da stoßen Filme zusammen, der dem, den man gerade gesehen hat, den Spiegel vorhält. So etwa am Mitt­woch­abend. Da lief Haft­an­lage 4614 vom Deutschen Jan Soldat. Soldat gehört zu den span­nendsten deutschen Filme­ma­chern der Gegenwart, weil er zu den ganz Wenigen gehört, die ihren Gegen­stand ganz ernst nehmen, die ironie­frei erzählen und die deshalb, weil sie von etwas für die aller­meisten Menschen Schrägem, Sonder­barem erzählen, in der Lage sind, einen Zuschauer aufzu­wühlen, zu über­ra­schen, zu irri­tieren.

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Soldats Doku­men­tar­film erzählt von einem Fetisch­seg­ment, das nur eine Minder­heit anzieht, und man muss es dem »Panorama« sehr zugu­te­halten, dass so ein Film hier gezeigt wird. Im Zentrum ein Folter­keller, mitten in Deutsch­land. Männer mit maso­chis­ti­schen Neigungen können dort einziehen, und sich quälen und drang­sa­lieren lassen, aufs Härteste, Fieseste. Natürlich ist noch Schlim­meres denkbar. Code­wörter schützen davor, dass unge­wollte Dinge passieren. Im Gespräch begegnete man dann unter anderem einem Chemie­la­bo­ranten aus, war es Bielefeld? Er sagte den schönsten Satz des Films: »Ich komme hierher, um mich mal richtig zu entspannen.« So wie eine Bankiers­gattin, die sich auf ihre Well­ness­woche freut.
Jan Soldat nimmt das, was er zeigt, sehr ernst, weil er die Norma­lität, die dem innewohnt, freisetzt.
Haft­an­lage 4614 funk­tio­nierte quasi als Vorfilm zum angekün­digten Skandal, der dann wie eine Dampf­nudel in sich zusam­men­fiel.

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Die größte Enttäu­schung im prall­ge­füllten Berlinale-Kino am Mitt­woch­abend war wohl für die meisten, wie lang­weilig die Verfil­mung von Fifty Shades of Grey war. Dies sollte also wirklich die Sensation des Kino­früh­jahrs sein, die neue Sexfilm-Offen­ba­rung? Was man sah, war ein recht prüder, recht durch­schnitt­li­cher und typisch ameri­ka­ni­scher Film, ein »roman­ti­sches Drama« mit softem Sex, Weich­zeichner und gele­gent­li­chem Klapsen auf den Frau­en­popo. Frei­ge­geben ab 16 Jahren. Auch über­ra­schend: Die Regis­seurin, die 1967 geborene Britin Sam Taylor-Johnson, die nach einem auf glaub­hafter Quelle berich­teten »Spiegel«-Artikel zunächst mit einem 20 Jahre älteren Mann verhei­ratet war, nunmehr mit einem 20 Jahre jüngeren Mann verhei­ratet ist, von dem sie zwei Kinder bekommen hat, was alles sie offen­kundig für die Verfil­mung quali­fi­ziert hat, diese Regis­seurin also legt sehr unab­sicht­lich durch beflis­sene Regie den reak­ti­onären Kern der Vorlage, dem welt­weiten Best­seller von E.L.James frei, und verwan­delt diese nicht etwa in etwas radikal Femi­nis­ti­sches. Da mag der Berlinale-Leiter Dieter Kosslick bei der Eröff­nungs­feier noch so sehr von »Starke Frauen in beson­deren Situa­tionen« geredet haben – aber die von Dakota Johnson (nicht verwandt mit der Regis­seurin, aber dafür die Tochter von Melanie Griffith und Don Johnson) gespielte Anastasia Steele ist auf der Leinwand ein noch ärmeres, noch unschul­di­geres Mauer­blüm­chen, das sich ganz von dem Mann, dem sadis­ti­schen Christian Grey, abhängig macht. Ästhe­tisch ist der Film bieder: Erzählt in gleich­mäßig dyna­mi­schem, aber ja nicht rasantem Stil, hakt er die Stationen des Romans ab, um schließ­lich bei der keines­wegs besonders unsanften Entjung­fe­rung der Haupt­figur zu landen. Ironi­scher Applaus im Saal.

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Was das eigent­lich Erstaun­liche ist: Der Film macht deutlich, dass dies gar kein Film über Sex oder gar über die Liebe ist, sondern über verschie­dene Innen­aus­stat­tungen, über Bett­be­zugs- und Ledermode und ein Film über die Über­le­gen­heit der Reichen über die Armen. Folgt man Fifty Shades of Grey gilt: Die Armen bewundern die Reichen für ihren Reichtum und sind zu naiv (oder zu dumm), um zu merken, dass sie von ihnen konse­quent nur benutzt, über den Tisch gezogen und miss­braucht werden. Insofern erzählt die Doppel­moral dieses Films und die Tatsache, dass er auf der Berlinale läuft, dann auch wieder etwas über dieses Festival, das von einem Patri­ar­chen machtvoll geführt wird, der gern auf Pres­se­kon­fe­renzen über »starke Frauen« redet, aber dann solche Filme zeigt. Und der nur drei seiner 15 Sektionen – die für Kinder, für Kurzfilme und die für deutsche Studen­ten­filme – von Frauen leiten lässt.