21.02.2013
63. Berlinale 2013

Mutti muss es richten

Szene aus Child's Pose
Herausragende Notlösung – Berlinale Gewinner: Child’s Pose
(Foto: Calin Peter Netzer)

Ein rumänischer Sieger bei der Berlinale und eine erste, knappe, sehr unvollständige Bilanz

Von Rüdiger Suchsland

Wir müssen uns noch erholen. Von der Berlinale, von der unaus­ge­go­renen, kater­be­haf­teten Mischung aus Unin­ter­es­santem im Wett­be­werb, guten Filmen in den Neben­reihen, allzu vielen sympa­thi­schen und inter­es­santen Menschen, die man kaum verar­beiten kann. Erstmal schlafen. Dann schreiben. Trotzdem hier ein paar erste Gedanken.

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Alle Achtung: Acht Jahre nachdem auf dem Festival von Cannes die »Rumanian New Wave« entdeckt wurde, sechs Jahre nach der Goldenen Palme von Cannes für Cristi Mungius 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage, hat auch die Berlinale das rumä­ni­sche Kino entdeckt. Besser spät als nie.

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»Mein Sohn kümmert sich nicht mehr viel um mich«, sagt die ältere Frau. So geht der Film los, dann kommt ein Tele­fon­anruf, und es geschieht, was für sie zum höchsten Glück wird: Denn jetzt steht der Sohn unter schwerer Anklage und ist wieder von seiner Mutter abhängig, der einzigen, die ihm jetzt noch helfen kann. Und die Mutter nutzt diese Situation skru­pellos aus, um wieder die Macht zu über­nehmen. Mutter & Sohn, im inter­na­tio­nalen Titel Child’s Pose, also »Kinder­pose«, heißt dieser Film des Rumänen Calin Peter Netzer, der am Wochen­ende in Berlin den Goldenen Bären gewann. Thema­tisch ist das hoch­in­ter­es­sant, denn die Geschichte von der Ohnmacht der Jungen, der Übermacht der Alten, die nicht loslassen wollen, ist auch bei uns hoch­ak­tuell. Wie das Mütter­motiv: Sogar an »Mutti Merkel« dachten manche Beob­achter bei den Trick­se­reien der Alten, die sich notfalls ihr Recht kaufen will. Ästhe­tisch zeichnet der Gewinner das Leben als Druck­kammer: Mit hektisch nervöser Kamera ist der ganze Film von Nervo­sität und leicht über­hitzter Inten­sität bestimmt.

Der Sieg war verdient, denn zusammen mit nur zwei, drei anderen Filmen ragte Child’s Pose aus dem Wett­be­werb der dies­jäh­rigen Berlinale heraus. Zugleich war das Ergebnis eine offen­kun­dige Notlösung: Denn der Boom rumä­ni­scher Filme ist keine Entde­ckung mehr, zumal Netzers Film zwar gut ist, aber doch in keiner Weise über die Werke von Adrian Sitaru, Cristi Puiu oder Radu Muntean heraus­ragt, oder ihnen stilis­tisch irgend­etwas Neues hinzufügt.

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Dass mit alldem auch noch alle meine persön­li­chen Regeln der Kosslick-Berlinale Bestand haben, ist natürlich am Rande zusätz­lich sehr herz­er­wär­mend.
Zum Abschluss erhielt der dies­jäh­rige Wett­be­werb von natio­nalen wie inter­na­tio­nalen Beob­ach­tern über­wie­gend schwache, zum Teil hunds­mi­se­rable Noten.
Es läuft etwas falsch, wenn in den Berliner Tages­zei­tungen seit Jahren die negativen Wertungen über­wiegen und alljähr­lich ein künst­le­ri­scher Leiter gefordert wird, wenn im Film­spiegel der Bran­chen­zeit­schrift »Screen« nur drei Filme als »gut«, mehr als eine Handvoll aber als »unter­durch­schnitt­lich« bewertet werden – auch wenn man über Einzelnes immer streiten kann, ist das einfach zu wenig für ein Festival vom Rang der Berlinale. »Ein schwaches Bild« titelte die FAZ zum Abschluss.

Zum Teil mag zwar da zwar das Welt-Kino Mitschuld haben: Labels wie »Berlinale der Frauen« oder »Span­nungs­feld Religion« verstellen eher den Blick und verschleiern, dass klare Trends eben­so­wenig zu erkennen sind, wie der Auf- oder Abstieg bestimmter Film­na­tionen. Für das deutsche Kino war das dies­jäh­rige Berlinale-Jahr schlicht und einfach quali­tativ wie quan­ti­tativ verhält­nis­mäßig schwach.
Aber der Blick auf die Programme von Cannes oder Venedig macht klar, warum die Berlinale seit knapp zehn Jahren hinter diese Festivals mehr und mehr zurück­fällt: Dort laufen zusammen weniger Filme als die knapp 400 der Berlinale, dort schaffen wenige klar gewich­tete Reihen schnelle Orien­tie­rung, während in Berlin je nach Zählweise 7-11 Sektionen und Unter­sek­tionen in sich zunehmend unun­ter­scheidbar werden – manches läuft dann sogar nur am Stadtrand.

Dabei machen gerade diese Neben­reihen den Reiz der Berlinale aus: Während das einstige »Inter­na­tio­nale Forum des jungen Films« stagniert, spürbar altert, und einige der inter­es­san­testen Reihen übers »Forum Expanded« ins Museum ausge­la­gert sind – welch ein Verlust! –, sind die echten jungen Filme heute eher in der Reihe »Gene­ra­tion« zu finden, Inno­va­tives und Poppiges vor allem im »Panorama«. in diesen Reihen sah man mit zwei israe­li­schen, zwei türki­schen und weiteren Beiträgen eine Handvoll Filme, die den Wett­be­werb unbedingt berei­chert hätten.