26.06.2011
28. Filmfest München 2011

»Fischen ist eine essentielle Erfahrung«

Angèle und Tony
Fragiles Dreiergespann
(Foto: Kool Filmdistribution Ludwig Ammann & Michael Isele / Die FilmAgentinnen GmbH i.G.)

Die französische Regisseurin Alix Delaporte über Angèle et Tony, einem Film über eine unkonventionelle Rebellin und einem wortkargen Fischer, die das Wagnis der Nähe eingehen

Von Dunja Bialas

Alix Delaporte ist Dreh­buch­au­torin und Jour­na­listin. Mit ihrem Kurzfilm Comment on freine dans une descente gewann sie 2006 in Venedig den Löwen für den besten Kurzfilm. Jetzt hat sie ihren ersten langen Spielfilm reali­siert, den sie auf dem Filmfest präsen­tiert, und der am 4. August in die deutschen Kinos kommt.

Angèle et Tony ist eine einfühl­same Annähe­rung an die Rebellin Angèle, die in einem kleinen Fische­rei­dorf in der Normandie versucht, wieder Fuß zu fassen, nachdem sie zwei Jahre im Gefängnis verbracht hat. Angèle führt uns zu Tony, einem brummigen Fischer, der ihrem unge­zähmten Wesen mit großer Skepsis begegnet. Dennoch: Angèle hat sich Tony ausge­sucht, sie möchte ihn heiraten, damit sie das wich­tigste in ihrem Leben zurück­be­kommen kann: ihr Kind, und mit ihm die Fähigkeit, auch ihre zärt­li­chen Gefühle auszu­drü­cken.

Mit Alix Delaporte sprach Dunja Bialas.

artechock: Ihr Film hat eine sehr starke Geschichte. Angèle, eine unge­zähmte, delin­quente Frau, ist wild entschlossen, ihr Leben zu ändern, einen Mann zu finden, den sie heiraten kann, um das Sorge­recht für ihr Kind wieder­zu­be­kommen. Welcher sozial-reale Hinter­grund steckt in Ihrem Film?

Alix Delaporte: Mich hat weniger die Seite der Sorge­rechts­pro­ble­matik bei meinem Film inter­es­siert. Mir ging es darum, eine Frau zu finden, die längere Zeit von ihrem Kind getrennt war, zwei Jahre. Die Trennung wollte ich erzählen, das Gefängnis habe ich nur genommen, um die Trennung plausibel zu machen, es ging um ein Wegschließen, ich hätte zum Beispiel auch eine psych­ia­tri­sche Anstalt nehmen können.

artechock: Was hat Sie an der Trennung speziell inter­es­siert?

Alix Delaporte: Der Film ist die Geschichte einer Frau, der es nicht gelingt, Kontakt zu ihrem Kind aufzu­nehmen, weil sie Angst hat. Ob sie letztlich das Sorge­recht wieder­erlangen könnte, inter­es­sierte mich nicht so sehr in dieser Geschichte, das ist nicht so schwierig. Angèle macht ständig das Falsche in ihrem Leben, weil sie Angst hat. Sie beeilt sich zur Schule zu kommen, um ihrem Sohn ein Geburts­tags­ge­schenk zu geben. Und dann gibt sie es ihm nicht. Es ist nicht einmal notwendig für sie, dass sie einen Ehemann findet. Es geht mehr darum, einen Moment zu finden, »wo es wieder geht«. Ich habe nie über die Frau als solche gear­beitet, und auch Sorge­rechts­fragen waren nie mein Thema. Ich habe das Drehbuch geschrieben, und nachdem es fertig war, einem Richter geschickt, damit er die recht­liche Seite überprüft, das war alles. Es ging mir um die Angst, von seinem Kind in Frage gestellt zu werden, aufgrund von Dingen, die in der Vergan­gen­heit passiert sind. »Wer bist du schon, ich will dich nicht sehen!« – Um diese Art von Zurück­wei­sung ging es mir, und der Angst davor. Und ganz am Schluss des Films, als sie es im Arm hält, schafft Angèle endlich, ihr Kind zu berühren. Der Film geht auch um das Berühren, in den Arm nehmen können, er ist eine Geschichte, die über die Körper ausge­tragen wird. Auch zwischen Angèle und Tony, dem Fischer, geht es um ihre Körper.

artechock: Bei allen Figuren können wir eine große Zerbrech­lich­keit und Verletz­bar­keit finden. Angèle ist sehr zerbrech­lich, auch in ihrem Aufbe­gehren, das Kind ist offen­sicht­lich zutiefst verletzt, und auch Tony, der einen kräftigen Eindruck macht, scheint sich gegen etwas zu schützen, gegen ihre Annähe­rung. All diesem liegt ein Verlust zugrunde, es sind soziale und familiäre Verluste. Tony, der seinen Vater im Meer verloren hat, ist von einer irra­tio­nalen Hoffnung getrieben, den leblosen Körper wieder­finden zu können. Bei allen Figuren findet man eine Suche nach einem Halt, einer Stabi­lität, und zugleich ist dies nicht möglich.

Alix Delaporte: Was mir in der Geschichte gefallen hat, war genau, es mit zerbrech­li­chen Figuren zu tun zu haben. Im Grunde ist es eine Liebes­ge­schichte. Ich kann aber keine Geschichte über eine Liebe, die gut funk­tio­niert, über einein­halb Stunden erzählen. Deshalb sind die Figuren alle zerbrech­lich, bisweilen sogar sehr zerbrech­lich. Ich sage mir immer, dass Zerbrech­lich­keit die Grundlage dafür ist, dass etwas passieren kann. Angèle zum Beispiel ist ohne Halt, sie könnte sich jeden Moment vom Boot ins Wasser stürzen oder Tony schlagen. Die Zerbrech­lich­keit der Figuren schafft eine Form der Spannung, die Figuren sind unbe­re­chenbar, man weiß nicht im vorhinein, was passieren wird.

artechock: Die Geschichte von Angèle und Tony wir im Milieu der Fischer erzählt, hier wird eine zweite Ebene der Geschichte aufge­spannt, die sehr realis­tisch rüber­kommt. Warum war es Ihnen so wichtig, die Geschichte vor diesem Hinter­grund zu erzählen?

Alix Delaporte: Der Moment, wenn ein Fischer auf seinem Boot aufs Meer hinaus­fährt, ist schon sehr erhaben. Mich faszi­nieren die Fischer schon immer, deshalb habe ich sie gewählt. Meine Mutter kommt aus der Normandie, und ich habe meine Ferien immer bei den Fischern verbracht. Das Milieu ist mir also sehr vertraut. Heute auf einem Fischer­boot hinaus­zu­fahren, ist ein unver­gleich­bares Erlebnis. Es ist toll, an diesem Moment teil­zu­haben, wo die Fische aus dem Wasser geholt werden. Alle essen Fisch, aber es ist dort draußen auf dem Meer, wo es passiert, bei jedem Wetter. Es ist, wie zu etwas Essen­ti­ellem in unserem Lebens zurück­zu­kehren. Ich könnte stun­den­lang über das Fischen sprechen! Ich habe dann mein Team auf ein Fischer­boot mitge­nommen, und wir haben auf engstem Raum gedreht.

artechock: In der Bild­kom­po­si­tion kann man oft eine Anordnung der Prot­ago­nisten finden, die von einer Verbin­dung bzw. Distanz zwischen ihnen erzählt. Hatten Sie eine genaue Vorstel­lung von der Bild­kom­po­si­tion, oder hat sich dies erst während des Drehs ergeben?

Alix Delaporte: Die Anordnung der Prot­ago­nisten kam aus den Situa­tionen heraus, die ich für sie geschrieben habe. Und diese Situa­tionen bestehen in der Tat oft aus einem Körper, der zu einem anderen Körper geht, viel­leicht gelingt es ihm, viel­leicht auch nicht. Am Anfang haben wir Körper, die es nicht schaffen, sich zu treffen, die Mutter von Tony, Angèle, Tony, das Kind, und dann gibt es mehr die Körper, die sich annähern. Ich habe darüber nicht lange nach­ge­dacht, es kam ganz aus den Situa­tionen heraus, die ich geschrieben hatte. Und ich habe auch von den Schau­spie­lern bekommen, was sie mir geben wollten. Das ist eins der entschei­denden Dinge. Die Schau­spieler schlagen einem etwas vor, es ist wichtig, dass sie das tun. Es waren groß­ar­tige Schau­spieler, mit denen ich gear­beitet habe, sie haben mir alle etwas gegeben.

Angèle und Tony ist noch am Sonntag, den 26.6., um 22:00 Uhr im Send­linger Tor Kino, und am Samstag, den 2.7., um 17:30 Uhr, im Cinemaxx 7 sehen.