29.09.2011
Cinema Moralia – Folge 39

Wer zahlt, schafft an

Piracy von Adrian Johns
Die Bibel für die Piraten

»Oder auch nicht: Jolly Roger, Festivals, Weltvertriebe und Piraten – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 39. Folge«

Von Rüdiger Suchsland

Natürlich sehen sich auch renom­mierte Film­fes­ti­vals heute einer Menge offener Fragen und einer generell unsi­cheren Zukunft ausge­setzt: Wie sollen sie sich in kommenden Jahren finan­zieren? Fast alle Festivals, nicht zuletzt große – man denke nur an die Berlinale – sind längst nicht mehr rein öffent­liche, das heißt mit öffent­li­chen Geldern finan­zierte Veran­stal­tungen. Private Gelder scheinen inzwi­schen unent­behr­lich geworden. Aber auch solche Gelder fließen nicht umsonst – im Gegenteil. Nicht anders als die Kultur­mi­nis­te­rien, wollen auch private Geldgeber Gegen­leis­tungen sehen, und im Gegensatz zu den Kultur­behörden haben sie wenig Interesse an so altmo­di­schen Dingen wie – oho – »Bildung«, oder – also wirklich – »Erziehung« des Publikums, oder gar – das kann man nun wirklich nicht mehr sagen – »der Verbes­se­rung des Menschen­ge­schlechts«. Der Grundsatz »Wer zahlt, schafft an« gilt hier also eher noch mehr. Private Gelder sind also für Festivals in der Regel teurerer Gelder, als die öffent­li­chen.

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Das dies trotzdem kaum thema­ti­siert wird, liegt gewiss auch daran, dass kein Festival-Direktor auf diese Gelder verzichten will – aber es liegt auch an der öffent­li­chen Kürzungs­po­litik und dem öffent­li­chen Druck, Steu­er­gelder mit privatem Geld zu ergänzen. Eigent­lich aber müsste der Grundsatz gelten, auf die privaten Geldgeber, die durch ihre Betei­li­gung in den meisten Fällen die Kultur, die sie mitfi­nan­zieren, zerstören, zu verzichten. Die Kultur­po­litik sollte den öffent­li­chen Raum zurück­er­obern; und die privaten Pharisäer verjagen.

Unge­achtet aller Probleme wächst die Bedeutung von Festivals, gerade auch von mittel­großen und kleineren, wie San Sebastian, Locarno, Wien, Gijon, Turin, und anderen fürs Autoren­kino und unab­hän­gige Filme­ma­cher noch immer weiter. Oft genug sind sie inzwi­schen der einzige Ort, an dem normale Zuschauer überhaupt neue Filme jenseits des in jeder Hinsicht begrenzten Indus­trie­kinos sehen können, und sich innere Zusam­men­hänge und Tendenzen des Weltkinos erschließen.

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Wenn es für einen Jour­na­listen schwierig ist, auf solchen auslän­di­schen Festivals Inter­views zu bekommen, liegt das nicht am Festival, sondern an den Welt­ver­trieben und den deutschen Verlei­hern. Die Welt­ver­triebe wollen, dass nur Jour­na­listen aus Terri­to­rien Inter­views führen, die den Film noch kaufen sollen. Den Rest sollen die jewei­ligen Verleiher bezahlen. Die aber wollen selbst darüber entscheiden, wer Inter­views führt, und wann sie veröf­fent­licht werden. Was beide gemeinsam haben: Sie wollen Kontrolle und Macht. Entschei­dungs­macht. Ob das legitim ist, wäre mal zu disku­tieren. Der eigent­liche Haken aber liegt woanders. Verleiher und Welt­ver­triebe wollen zwar etwas, aber sie wollen nicht dafür bezahlen. Das wiederum ärgert die Festivals. Denn wer bezahlt das Hotel für den Star, den Flug? Nicht der Welt­ver­trieb und schon gar nicht der deutsche Verleiher. Mit ihren Mitteln versuchen sie trotzdem die Festivals zu entmün­digen.

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»Suspen­sion of disbelief« – das ist im Kino, wenn man etwas glaubt, das man eigent­lich nicht im Ernst glauben kann und besser auch nicht glauben sollte, aber es für die Dauer des Films doch glauben will. Das gilt auch für meine Haltung zum Thema Piraterie im Allge­meinen und zur Pira­ten­partei im Beson­deren. Die Haupt-Frage, die die Partei stellt, ob das klas­si­sche Eigentum in Zukunft durch Zugang und Zugangs­rechte abgelöst werden, ist für die Zukunft von Kultur und Kultur­jour­na­lismus zentral. Man muss nicht darum herum­reden: Digi­ta­li­sie­rung zerstört Frei­heits­rechte, klas­si­schen Jour­na­lismus und die Kino­kultur. Sie verein­facht auch staat­liche Über­wa­chungs­me­cha­nismen und leistet der Ökono­mi­sie­rung aller Lebens­be­reiche Vorschub. Was steht umgekehrt auf der anderen Seite der Bilanz? Zum Beispiel ein freies Film-Magazin wie »artechock« und Texte wie dieser hier. Was noch? Vorschläge will­kommen.

Es gibt jeden­falls keine einfachen Antworten. Aber die Fragen – ganz schlicht praktisch zum Beispiel nach Verdienst­mög­lich­keiten in der digitalen Umsonst-Welt und nach der Prak­ti­ka­bi­lität von Modellen wie der Kultur­flat­rate – müssen gestellt und debat­tiert werden und die Piraten stören den bürger­li­chen Konsens, der auf ein Schwei­ge­kar­tell hinaus­läuft, und für derartige Vorschläge vorab Denk­ver­bote verhängt.

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Zum Weiter­lesen hier ein Buchtip, auf den wir bald noch eingehen werden: Adrian Jones: »Piracy: The Intellec­tual Property Wars From Gutenberg to Gates«

(To be continued)

Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beob­ach­tungen, Kurz­kri­tiken, Klatsch und Film­po­litik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kino­ge­hers.