20.05.2011
64. Filmfestspiele Cannes 2011

Gesten von Gestern

Kim Ki-duk
Kim Ki-duk am 13. Mai beim »Arirang« Photocall in Cannes

Mit Wutbürger Kim Ki-duk in der Bar, das umzingelte Kino, Belmondo auf dem Roten Teppich und warum bringt das Kino solche Typen nicht mehr hervor? – Notizen aus Cannes, 2. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Cannes ist ein Ort, wo man auch mal Kim Ki-Duk auf der Straße begegnet, oder Johnny Depp zuguckt, als er gerade am Hafen aus einem Boot aussteigt, mit herun­ter­hän­genden Hosen­trä­gern, wie mir zumindest aus zuver­läs­siger Quelle berichtet wurde. Oder begegnet Nuri Bilge Ceylan in der Warte­schlange. Vor ein paar Jahren bin ich sogar einmal Isabelle Huppert auf der Herren­toi­lette begegnet. Oder man sitzt neben Lee Chandong im Kino und hilft seiner hübschen Beglei­tung – im Gegensatz zum Begleiter – beim Suchen des Mobil­te­le­fons unter dem Vorder­sitz. Solche Erleb­nisse gibt es hier viel mehr als auf der Berlinale, die sich zwar immer gern »Publi­kums­fes­tival« nennt, weil jeder eine Karte kaufen darf, der sie bezahlen kann, aber sonst doch eben ziemlich publi­kums­fern ist.

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Wer übrigens anderer Ansicht ist, als wir hier in diesen Notizen – denen man ja nun wirklich nicht alles glauben muss, außer dass es halt ehrlich so nieder­ge­schrieben wird, wie man es jetzt und hier empfindet –, der kann auch noch woanders nach­gu­cken. Die inter­na­tio­nalen jüngeren (und über­durch­schnitt­lich geschmack­vollen) Film­kri­tiker,. die der argen­ti­ni­sche Freund und Kollege Diego Lerer in seinem Blog Micropsia versam­melt hat, wo man seine Urteile zu Noten von 10 bis 0 zusam­men­fassen muss, finden Herrn Dresens neuen Film zum Beispiel auch nicht besser, als wir. Josef Lederle vom Film­dienst dagegen schon. Sein lesens­werter Blog bietet eine sehr schöne Alter­na­tive zu den doch oft etwas unin­ter­es­san­teren Texten der meisten Tages­zei­tungen. Was ganz anderes ist schließ­lich noch Fernando Costas Lumiere-Blog

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Es ist schon erstaun­lich, wie sehr der dies­jäh­rige Cannes-Jahrgang von einigen ganz wenigen Leit­mo­tiven dominiert ist. Es geht immer wieder um Kinder, und um deren Bezie­hungen zu Müttern, zu Vätern. Weiterhin ist dies das Sterben und der Tod. Was zuletzt immer deut­li­cher wird, ist, wie sehr einige Filme auch von Wieder­auf­er­ste­hung handeln. Beides findet man auch in Arirang, dem neuesten Film von Kim Ki Duk.

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Wer die Premieren der Sektion »Un Certain Regard«, neben dem Wett­be­werb die zweite offi­zi­elle Reihe der Film­fest­spiele, besucht, kann jeden Abend Zeuge eines ganz beson­deren Spek­ta­kels werden: Da stellt nämlich Cannes-Leiter Thierry Fremaux alle Filme persön­lich vor: Auf der Bühne vor der Leinwand, mit einer kurzen, gut einstu­dierten und sehr geist­rei­chen Rede, auf Fran­zö­sisch, aber auch in engli­scher Simul­tanü­ber­set­zung und gege­be­nen­falls in allen anderen Sprachen. Er erzählt dann, was diesen und jenen Filme­ma­cher auszeichnet, und warum Cannes keines­wegs der Geburtsort des Kinos sei – das ist nämlich Lyon, wo Fremaux nebenbei auch noch das Institut Lumieres leitet.

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Das Kino sei »umzingelt von allen möglichen anderen Bild­künsten«, erklärte er dort am Frei­tag­abend, um so wichtiger sei ein Kino des Wider­standes. So wie es etwa der korea­ni­sche Regisseur Kim Ki-duk prak­ti­ziere, dessen Film Fremaux nun ankün­digte. Nach acht Minuten von Kims neuem Film Arirang ging dann der erste raus, was zwar einer­seits natürlich ein unwi­der­leg­li­ches Zeichen für die große Wider­stands­kraft dieses Kinos ist, ander­seits auch selbst wiederum eine Geste des Wider­standes.

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Es ist Winter. Es liegt Schnee. Man sieht Kim Ki-duk. Man sieht ihn bei sich zuhause. Dort haust er in einer offenbar schlecht geheizten Garage in einem dort aufge­stellten Zelt. Man sieht ihn Reis kochen, Wasser abfüllen Bagger­fahren. Im Schnee. Im Zelt. Eine Katze versorgen, Eiswasser kochen, Holz hacken. Im Zelt steht ein Apple-Computer mit einem großen Bild­schirm. Darauf sieht sich Kim Ki-duk Filme an. Seine eigenen Filme. Man sieht minu­ten­lange Ausschnitte aus Frühling, Sommer..., etwa jene Passage, in de der junge Mönch einen Mühlstein, an den er per Seil ange­bunden wurde, einen Berg hochzieht. Dabei redet Kim unun­ter­bro­chen. Genau gesagt: Er flucht und schimpft, ergießt eine einzige Phil­ip­pika über seine Produ­zenten, die ihn verlassen haben, sagt er, die Freunde, die ihn, sagt er, nicht mehr kennen, die Welt – und über sich. Er sei ein Versager, ein Nichts­nutz, sagt der, er solle sich zusam­men­reißen, schreit er sich selbst und die Kamera an, und uns, das Publikum. Er filmt seine Preise, die Löwen, Leoparden, Bären, die mit vielem anderen in einem geschlos­senen Raum stehen. Er filmt sich selbst, in vielen Momenten ist er dabei offen­sicht­lich allein, Er ist oft betrunken, unrasiert, unge­wa­schen, man glaubt, seinem Gesicht die Depres­sion anzusehen. Er singt und säuft: »this lamen­table world...«, jammert: »There is something out there. But is it there for me?«, brüllt seine Wut heraus, seinen Selbst­hass.

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Filmisch ist dies einer der inter­es­san­testen Filme Kims, weil er ehrlich ist. Wahr­haf­tig­keit ist ja auch eine ästhe­ti­sche Kategorie. Mehr und mehr hatte man zuletzt bei seinen neuen Werken den Eindruck der Mache, der Verlo­gen­heit. Manie­riert wirkten sie schon immer, und seit seinem Inter­na­tio­nalen Durch­bruch mit Frühling, Sommer... erschien mir alles – im Gegensatz zu seinen starken früheren Filmen The Isle und Address Unknown – wie Kunst­hand­werk, gemacht fürs westliche Festi­val­pu­blikum und Festi­val­ju­ries. Das Gefühl, dass man als Zuschauer bei diesem Film hat, entspricht etwa dem, mit einem Voll­trun­kenen in einer Bar zu sitzen, der auf einen einredet, ohne eine Antwort zu erwarten, der einem erzählt, dass er früher mal berühmt war, dass seine ganzen Freunde und Bekannten Voll­idioten seien, und er jetzt endlich denn Sinn des Lebens begriffen habe. Es sind die Gesten des Avant­garde-Films, die Kim wieder­holt, und man darf ihm unter­stellen, dass er sich dessen bewusst ist, wenn er sich selbst filmt, dabei gnadenlos der Kamera aussetzt, wenn er so einen Selbst­zer­flei­schungs- und -entblößungs­film dreht, wenn er eine Pistole baut, und man ihn sieht, wie er in einer Stadt nach­ein­ander mehrere Büro­ge­bäude und eine Bank betritt, man immer einen Schuss hört, und Kim dann wieder heraus­kommt, und sein nächstes Ziel anfährt. Wenn er schließ­lich die Pistole auf sich richtet, »Action!« ruft und abdrückt. Das Bild ist schwarz.

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Nach Ende des Films stand er aber dann doch wieder auf der Bühne. Man kann das alles ungemein narziss­tisch finden, Autoren­kino als Exploita­tion, man kann darin einen endgül­tigen Abgesang im Ki Duks sehen, einen Nachruf zu Lebzeiten (immerhin). Aber auch seine Wieder­auf­er­ste­hung als Regisseur.

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Denn die Szene, die er aus Frühling, Sommer... zeigt, spielt nicht zufällig im Winter. In dem der Film auch gedreht wurde. Nach dem Winter kommt der Frühling, der philo­so­phi­sche Zyklus beginnt aufs Neue – auch so ist dieser Film zu verstehen. Übrigens ist dies ein Film, den man an allen Film­hoch­schulen unserer Welt zeigen sollte – die fragen, die Kim sich selber stellt, sollte sich jeder angehende Filme­ma­cher stellen. Und die Strenge der Selbst­be­fra­gung fordert heraus.

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Was sie wirklich beherr­schen in Cannes, das ist die Selbst­in­sze­nie­rung des Festivals. »Les marches« nennt man den Einmarsch der Ehren- und Premie­ren­gäste zur jewei­ligen Groß­ver­an­stal­tung. Stunden vor Vorfüh­rungs­be­ginn geht es los. Ohren­be­täu­bend ist der Lärm auch hier im ersten Stock des Palais, wo wir diesen Text schreiben. Das stört aber gar nicht so, man hat vielmehr auch wenn man nur über einen Monitor sieht, was passiert (weil wir ja nicht Stunden am Roten Teppich verbringen) das Gefühl, dabei zu sein.

Heute Abend zum Beispiel wurde Jean-Paul Belmondo geehrt. 78 ist er inzwi­schen. Braun­ge­brannt, weiße Haare. Viele Franzosen sind dabei, aber auch Faye Dunaway, die man hier vom Film­plakat grüßen sieht. Ein rührender Moment, an dem man sich erinnert, wer Belmondo, Bebel, mal war: Sein frecher Charme, die Aura des Rebellen machten ihn zum Jugen­d­idol der wilden Sechziger. Frau­en­held, Macho, Gangster, Polizist, Charak­ter­kopf – er hatte immer alles drauf. »Schönheit allein zählt nicht mehr. Man muss ein Typ sein«, erklärte Belmondo einst seinen nicht eben glatten Weg zum meist­ge­fei­erten fran­zö­si­schen Filmstar. Ein Star des Autoren­kinos, wie des populären Films. In Cannes hat man da keine Berüh­rungs­ängste. Und er war ein europäi­scher Star. Man ging in »Belmondo-Filme«. Aber wo ist heute einer wie Belmondo? Warum bringt das Kino Derar­tiges nicht mehr hervor?