Cinema Moralia – Folge 19
All dieses Gefühl... |
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Im Licht des Schattens – John Rabe | ||
(Foto: Majestic Filmverleih GmbH / Twentieth Century Fox of Germany GmbH) |
»Emotional – ein Wort, das ganz oben ansteht in der deutschen Kultur der letzten 20 Jahre und DEUTSCHLAND 09, ganz oben in der Politik, im Film, in der Musik, in der Finanzwirtschaft, in der Werbung. Wir müssen immer alle die Menschen emotional mitnehmen, die Künstler, die Politiker. Die Architektur ist nun also auch emotional, die Repräsentationsarchitektur. Naja, das war sie ja wahrhaftig immer schon; selbst in den dunkelsten Momenten der deutschen Geschichte. Aber seit den Nazis hat das niemand mehr so betont, wie die Deutschen in den letzten 20 Jahren seit der Wiedervereinigung: erhaben, gefühlsbeladen, berührt, getroffen, ergriffen, gefühlsduselig, aufgewühlt… Vielleicht ist diese seltsame Emotionalität der Architekten, der Funktionäre, der Politiker, vielleicht ist all dieses Gefühl nur der Deckmantel, hinter dem die wahre Geschichte entsorgt wird? Und unseren Kindern bleiben Pappkulissen. Und Stadtschlösschen. Alles versinkt…«
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Unsere Lieblingspassage in Deutschland 09, eine aus dem Off gesprochene Frage, die vieles in diesem Film auf den Punkt bringt, und die sich, in seinen schwächeren Momenten, auch an ihn selbst richtet. Sie stammt aus Dominik Grafs »Der Weg, den wir nicht zusammen gehen«, einem der besten der insgesamt 13 Beiträge zu Deutschland 09. Als eine »Reise durch die Architekturlandschaft« Deutschlands tritt Grafs Doku-Essay eher bescheiden auf, aber der Regisseur findet in des sinnlichen Gewissheiten des ganz Konkreten schnell das Allgemeine, und so wird aus seiner Dokumentation des Verschwindens der Nachkriegsarchitektur eine Reflexion über die Geschichte und unser Verhältnis zu ihr. Und über den Umgang mit Gefühlen und Geschichte, über deren mögliche Politisierung und grassierende Entpolitisierung. Darum drehen sich nahezu alle dieser zu einer Länge von über zwei Stunden zusammengefassten Kurzfilme, die man unbedingt, jetzt und schnell im Kino sehen sollte. Denn lange werden sie dort leider nicht zu sehen sein. (Siehe unten).
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Genau um dieses Thema der Politisierung und Entpolitisierung von Emotionen geht es auch in JOHN RABE, der diese Woche startet. Zum Film nächste Woche mehr, das reicht immer noch. Aber schon vor ein paar Wochen lesen wir in der münchnerischsten der Münchner Boulevardzeitungen ein Zitat von Ulrich Tukur, der uns gerade noch als einer der wenigen Lichtblicke des Films und überhaupt immer wieder des deutschen Kinos sympathisch war: »Ich habe das Gefühl, dass sich der lange Schatten
des Nationalsozialismus lichtet«, sagt Tukur da: »Das merkt man auch daran, dass junge Regisseure dieses Land, diese Kultur und die Menschen anders sehen, auch liebevoller.«
Hm. Darüber denken wir jetzt mal gemeinsam nach.
Lichtet sich der Schatten, weil junge Regisseure das Land anders sehen? Oder sehen sie das Land anders, weil sich der Schatten lichtet? In beiden Fällen wäre zu fragen, ob wir uns jetzt freuen sollen, ob es gute Gründe dafür gibt, dass sich der Schatten lichtet.
Und was bedeutet überhaupt das Bild vom Schatten? Ich meine jetzt nicht den Ausdruck. Aber hatte der Schatten guten Gründe oder war er immer nur nervig? Und wir sind jetzt von einer lästigen Bürde befreit?
Und was hat das alles eigentlich mit John Rabe zu tun? Macht Florian Gallenberger so einen Film, weil sich der Schatten lichtet, und er liebevoller aufs Land blickt? Das hieße ja,
er durfte oder konnte das vorher nicht. Wohl eher Quatsch.
Was also? Was jedenfalls hängenbleibt, ist, dass wir etwas heute anders sehen als früher, neue Generation und so, und dass das mit einem undefinierten Schwächerwerden der NS-Folge zu tun hat. Hm. Klingt ein bisschen wie die Rede vom Büßergewand, das wir jetzt endlich ablegen. Mit JOHN RABE kommt der aufrechte Gang zurück. Hoffentlich nicht. Oder, um mal mit Rabe zu sprechen: »Da kann man schon vom Heimweh kuriert
werden.«
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Eine Pressemitteilung der HFF München informiert uns, dass Dr. Klaus Schaefer, Geschäftsführer des FilmFernsehFonds Bayern, eine Honorarprofessur an der Hochschule für Fernsehen und Film München erhält. Honorarprofessoren an der HFF sind u. a. der Kameramann Michael Ballhaus, Regisseurin Caroline Link sowie Georg Stefan Troller und Wim Wenders.
Aus der Mitteilung erfahren wir auch, dass Schaefer bereits seit November 2001 das Amt des 1. Vorsitzenden des Fördervereins
der Hochschule für Fernsehen und Film München inne hat – ehrenamtlich. Der Verein sammelt Spenden und unterstützt Diplomfilme. Im vergangenen Jahr waren es 80.000 Euro.
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By the Ways: A Journey with William Eggleston heißt ein Film der Franzosen Vincent Gérard und Cédric Laty. Es handelt sich um einen Dokumentarfilm über und mit dem »Vater der modernen Farbfotografie«, der u.a. Dennis Hopper, Sofia Coppola und Gus Van Sant inspirierte. Der Film läuft noch einmal in einer »letzten Zusatzvorstellung« im Münchner Werkstattkino am Sonntag, 5.4. um 18.30 Uhr. Also besser nicht warten, ob es noch eine »allerletzte Zusatzvorstellung« gibt. Man könnte sich verspekulieren.
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Bei der 7. Türkischen Filmwoche Berlin wird am 5. und 6. April in zwei Sondervorstellungen die kontrovers diskutierte Dokufiction MUSTAFA gezeigt werden. Am 5.4.2009 um 18:00 im Broadway auch in Anwesenheit des Regisseurs Can Dündar, einem in der Türkei bekannten Fernsehjournalisten und Kolumnisten der linksliberalen »Milliyet«. Weitere Hinweise: www.tuerkischefilmwoche-berlin.de
Der fragliche Film provozierte im vergangenen Herbst einen Medienstreit über die Angemessenheit des im Film gezeichneten Atatürk-Bildes, auf den sich dann der eine oder andere Politiker aufschwang. Bereits zu Lebzeiten war die Figur Atatürks als Gründergestalt der Türkei eine romantisierte Figur, ein Element politischer Ikonographie, die nach der radikalen Verabschiedung der jahrtausendealten Traditionen des Osmanischen
Reiches unverzichtbar war. Atatürk war auch als Person Teil des türkischen Nationbuilding, und lebt bis heute weiter als Zentralgestalt türkischer Zivilreligion, als ihr Messias. Auch sein Leben wurde da zum Bestandteil politscher Mythologie.
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Am Ende sind es, für Filmregisseure wie für ihre Komponisten, dann doch nur ganz wenige Arbeiten, die einen unsterblich machen. Bei Maurice Jarre war es vor allem dieses Lied: »Lara’s Song«, die Filmmusik von Doktor Schiwago, die noch mehr als der Film selbst Mitte der 60er Jahre um die Welt ging. Ein absoluter Ohrwurm.
Er war einer der berühmten drei Musketiere des französischen
Kinos, die seit Ende der 50er Jahre die Filmmusik revolutionierten: Im Vergleich zu Georges Delerue, dem Komponisten der Nouvelle Vague von Godard und Truffaut, dessen Klänge für immer mit dem Geschmack von Gauloises und Rotwein verbunden sein werden, und zu Michel Legrand, dem jüngsten und kühlsten, in jeder Hinsicht amerikanischsten der drei, war Jarre der Romantiker, dem Gefühl und Atmosphäre wichtiger ist als Effekt, der seine Einfälle immer in einem Gesamtzusammenhang
wiederkehrender Themen und Leitmotive einordnet, und symphonischer denkt, als seine Kollegen, mehr wie ein klassischer Komponist.
Geboren wurde Maurice-Alexis Jarre 1924 in Lyon, die prägenden Jahre als Schüler waren dominiert von Krieg, deutscher Besatzung, der Resistance und dem Terror Klaus Barbies. Die Musik wurde diesem von Grund auf bürgerlichen Menschen zum Trost und Rückzugspunkt. Nach der Befreiung begann Jarre dann mit einem klassischen Musik- und
Kompositionsstudium am renommierten Pariser Konservatorium. Danach schuf er zunächst Musik für Theaterstücke, und lernte bereits hier, noch im Kontakt mit der klassischen französischen Bühnentradition, den Sinn für Spektakel, für unmittelbare Effekte, und gradlinige Wirkungen aufs Publikum.
Mit Beginn der 1950er Jahre wandte Jarre sich dann der Filmmusik zu. Seine Weltkarriere begann aber erst zehn Jahre später, 1962 mit einem Film und der dazugehörigen Musik, die
dem Publikum sofort neue musikalische Dimensionen öffnete, noch nie gesehene Bilder in noch nie gehörte Klangräume verwandelte: Lawrence von Arabien. Das monumentalische Hauptthema dieses Films verbindet sich mit dem rauschhaften Farbenspiel einer Morgendämmerung über der Wüste und dem aufglühenden Himmel zum Eindruck einer geradezu übermenschlichen Schicksalsgewalt. Aber zur
pathetisch-elegischen Pracht und den kurzen Anklängen an Marschmusik treten bei Jarre der Einfluss neuer ethnischer Klänge, arabischer Instrumente, Kitharazupfer, und afrikanischer Trommeln. Schließlich setzte Jarre, der die ganze Musik zu Lawrence von Arabien in nur sechs Wochen komponierte, hier auch als einer der ersten Komponisten die Klänge elektronischer Synthesizer ein –
zehn Jahre später kam kein Film mehr ohne diese neue Mode aus. Schon bei diesem Film erwies der Regisseur David Lean Maurice Jarre die Ehre, zur Ouvertüre völlig auf Bilder zu verzichten, und das Publikum so ganz auf die Musik des Komponisten zu konzentrieren.
Mit diesem Film begann nicht nur Jarres internationale Karriere, sondern auch eine konstante und gegenseitig überaus befruchtende Zusammenarbeit mit dem distinguierten Briten David Lean. Auf Lawrence von Arabien... folgte Schiwago, auf Schiwago Ryans Tochter und auf diesen 1984 A Passage to India, für den Jarre seinen dritten und letzten Oscar für die »Beste Filmmusik« erhielt.
Mehr als 160 Filmmusiken hat Jarre komponiert. Dabei waren seine Partner selbst in Hollywood fast immer Regisseure, die mit ihm die bürgerliche europäische Herkunft teilten: Wie Alfred Hitchcock, für dessen fiebrigen Kalten-Kriegs-Thriller Topaz er
arbeitete, wie Elia Kazan, Luchino Visconti und John Huston, oder auch für Volker Schlöndorff, für dessen später Oscar-prämierte Grass-Verfilmung Die Blechtrommel er komponierte. Er hat viele Preise gewonnen, den letzten erst im Februar in Berlin, wo er bei der Berlinale einen Goldenen Bären für sein Lebenswerk erhielt. Jarre hatte drei Kinder aus vier Ehen. Das Berühmteste von ihnen ist
sein Sohn Jean Michel Jarre, der seit den 70ern durch seine Synthesizermusik bekannt wurde.
Sein Leben verbracht hat Jarre vor allem in der Schweiz. Aber gestorben ist er jetzt auf der Reise, ausgerechnet in Los Angeles, der Hauptstadt des amerikanischen Kinos.
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Gerade mal gut 7000 Zuschauer gingen, nachdem, was man so hört, am ersten Wochenende in den Film Deutschland 09. Bei 40 Kopien! Das ist natürlich ein trauriges Ergebnis, zumal der Film ungeachtet schlechter Kritiken beim normalen Berlinale-Publikum gut angekommen war. Auch wenn es in diesem Fall zweifellos eine Mitschuld durch überdurchschnittlich schlechte Pressearbeit und unverständliche Entscheidungen des Verleihs gab (allein das Plakat!), ist dieses Ergebnis doch auch ein Indiz für die desaströse Lage, in der sich die Filmkultur in Deutschland überhaupt befindet. Vor einigen Jahren noch wäre so ein Film, egal was man über seine Qualität denken mag, zumindest Gesprächsstoff gewesen. Er wäre ein Anlass auch fürs breite Publikum gewesen, über den Zustand des deutschen Films, den Stand der Dinge zu diskutieren. Vielleicht auch über Politik. Heute reagiert das breite Publikum nur noch mit Ignoranz. Und, schlimmer noch: Die Filmkritik ist kaum besser. Man kann ja mal die Kritiken zur Berlinale nachlesen. Und auf das überprüfen, was man früher »Relevanz« genannt hätte.
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Mitschuld hat natürlich die allgemeine Infizierung des Journalismus durch PR, also das, was man heute »Pressearbeit« nennt. Auch Journalisten sind heute oft Pressearbeiter, die einer Zeitung etwas »verkaufen« wollen, die bei Redaktionskonferenzen ihr Thema verkaufen. Wie aber soll man etwas verkaufen, das im Untertitel »13 kurze Filme zur Lage der Nation« heißt.
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Worum es wirklich geht, das illustriert auch eine Einladung, die uns heute erreichte. Kein Aprilscherz: Betreff: Erinnerung – Premiere von Winne Toons – DIE LEGENDE VOM SCHATZ IM SILBERSEE am Sonntag, den 05. April 2009 um 14.00 Uhr ins CinemaxX Dammtor in Hamburg. »An diesem Tag hält der Wilde Westen Einzug in den kühlen Norden und verwandelt das CinemaxX Dammtor in ein wahres Kinderabenteuer inkl. Goldwaschen, Lassowerfen und Kinderschminken!«
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»Logik spielt hier keine Rolle. Aber warum auch? Es geht um Spaß und Kurzweil.« schreibt einer in einer Kritik bei BR-Online.
Warum auch? Ok, also hier die Antwort: Weil es im Kino nicht immer nur um Spaß und Kurzweil geht. Und wenn Logik keine Rolle spielt, macht es irgendwann keinen Spaß mehr und ist nicht kurzweilig, weil man sich dann für blöd verkauft vorkommt.
Rüdiger Suchsland
(To be continued)
Unter dem Titel »Cinema Moralia« sind hier in loser Folge Notizen zum Kino zu finden, aktuelle Beobachtungen, Kurzkritiken, Klatsch und Filmpolitik, sowie Hinweise. Eine Art Tagebuch eines Kinogehers.