03.07.2008
25. Filmfest München 2008

Es muss wohl aus Liebe sein...

Liebesflüstern
»Vielleicht genügt ja schon das Gesicht von Julie Christie, um die Leute für diesen Film einzunehmen....« (Michael Althen zu Liebesflüstern)
(Foto: Conc./CR/Turner)

Blonde Mähne, volle Lippen, kräftige Wangen – Julie Christie hat definitiv ihren eigenen Kopf

Von Rüdiger Suchsland

Wenn man am Ende eines Abends von Julie Christie mit einem breit gelächelten »Sleep well!« verab­schiedet wird, und später erzählen kann, man habe ihr viermal Feuer gegeben, dann kann es kein ganz schlechter Abend gewesen sein.

Wer das Glück hatte, Christie zu bemerken, wie sie sich beim Filmfest München, wo vergan­gene Woche eine kleine Werkschau mit ihren Filmen lief, fast anonym unter die Gäste einer Party mischte, und dann den richtigen Ton fand, um nicht gleich abge­wiesen zu werden, der konnte neben ihr Platz nehmen, und ihr auf Augenhöhe begegnen – was bei diesen tief­blauen Augen schon allein ein beson­deres Erlebnis ist. Auch heute, mit 67, ist Christie eine strah­lende Erschei­nung: Das Kinn spitz und vorge­schoben, die starke Unter­lippe leicht herun­ter­ge­zogen, im wahren Leben noch etwas schlanker auss­se­hend, als auf der Leinwand, erinnert sie äußerlich noch immer ein wenig an ihre Anfänge im briti­schen »Free Cinema«.

Für viele war sie eine der schönsten, wenn nicht die aller­schönste Frau im Kino der Sechziger. Ihr Gesicht schien all das auszu­drü­cken, was die Epoche an Utopien parat hielt, und doch Sicher­heit zu geben, Vertrauen zu erwecken, etwas Klas­si­sches, durch Zeiten und Kulturen Kompa­ti­bles zu enthalten. Julie Christie war »ein Typ« des Jahr­zehnts, ohne je so »typisch« zu sein, wie eine Twiggy, wie Jane Fonda oder Anna Karina, aber ande­rer­seits auch nie so völlig zeitlos der Epoche enthoben, wie Catherine Deneuve oder Jeanne Moreau.

Ihre Schönheit hat immer leicht die anderen Seiten der Julie Christie überdeckt. Mit ihrer wilden blonden Mähne, den vollen Lippen und kräftigen Backen­kno­chen wirkte sie roman­tisch, wie prädes­ti­niert für jene Rolle der Lara in David Leans globalem Hit Doktor Schiwago, der sie im Nu auf höchste Höhen des Star­gla­mours und der Welt­berühmt­heit kata­pul­tierte. Ihr öffent­li­ches Abbild war dann das des sinn­li­chen Natur­ge­schöpfs. Doch sieht man heute alte Fotos von ihr aus jenen Jahren wieder an, glaubt man oft zu erkennen, dass sie sich nicht ganz wohl fühlt auf ihnen, nicht ganz bei sich ist, zwar mitmacht, aber doch eigent­lich nur eine weitere Rolle spielt.

Im Rückblick waren es kurze, knapp 15 Jahre, in denen Julie Christie ein Weltstar war. Es begann mit John Schle­singer. Der hatte die gerade 20jährige, die auch schon in belang­losen Kino­komö­dien und höchst seriösen Thea­ter­rollen aufge­treten war, im Fernsehen entdeckt, in der Science-Fiction-Serie »A for Andromeda«. In Billy Liar (1963) fiel sie auf, als ein Little Lost Girl aus der Provinz der engli­schen Lower Middle Class auf dem Weg nach London, in ein viel­leicht freieres Leben. Christie bestand darauf, dass Billy Liar in der Werkschau gezeigt werden müsse, trotzdem sie nur eine Neben­rolle spielt, »mit diesem Film« erklärt sie »entdeckte das britische Kino die Klas­sen­ge­sell­schaft, und ergriff Partei für die Unter­pri­vi­le­gierten jenseits der oberen Mittel­klasse.« Tatsäch­lich erfasst dieser Film den Augen­blick zwischen Nach­kriegs­zeit und »Swinging London«, man kann man in Billy Liar sehen, dass die 60er-Jahre schon exis­tierten, aber es handelt noch von der Zeit unmit­telbar davor, vom Aufbruch in die phan­tas­ti­sche hedo­nis­ti­sche Periode, die kommen sollte.
Im zweiten Schle­singer-Film Darling bezau­berte sie dann alle als egozen­tri­sches, melan­cho­li­sches Modell, gewann einen Oscar und war über Nacht in eine der Ikonen der Epoche verwan­delt worden, in den Inbegriff des neuen Cool, des klas­sen­losen, freien Geists dieser Dekade. Da hatte Lean ihr mit der Haupt­rolle als süßes Russen­mäd­chen im Schnee­ge­stöber von Doktor Schiwago bereits den ersten jener Auftritte angeboten, der Christie einen Platz in der Filmgeschichte sicherte, von dem Christie aber im Rückblick offenkundig wenig beeindruckt ist: »Ich weiß, er wird immer zu Weihnachten wieder aufgeführt. Ich bin froh, dass ich ihn gemacht habe, denn ohne ihn säße ich heute nicht hier. Darum möchte ich auch nichts dagegen sagen.«

Davor hatte die Tochter eines wohl­ha­benden briti­schen Teeplan­tagen-Farmers schon einiges erlebt: In unruhigen Zeiten, am 14.April 1941 in Indien geboren, war sie dort auch aufge­wachsen. Kurz nach der Unab­hän­gig­keit trennten sich auch die Eltern, und Christie besuchte in England ein halbes Dutzend Internate. Nach Doktor Schiwago kam gleich Truffaut, in dessen in England gedrehtem Fahren­heit 451 sie an der Seite von Oskar Werner eine Doppel­rolle spielte: Einmal blond, einmal brünett – ein Traum­auf­tritt, der auch die zwei Seiten der Christie gleich­be­rech­tigt mitein­ander konfron­tierte. Der dritte epochale Film der Darstel­lerin, die sich von Anfang an rar machte, war dann der an der Seite von Donald Suther­land in Don’t Look Now (Wenn die Gondeln Trauer tragen) von Nicholas Roeg. Überhaupt scheint Roeg, schaut man genau hin, der Schlüssel zu Christies Karriere und zu ihrem Bild in unseren Köpfen zu sein. Denn er war zuvor bereits der Kameramann von Lean und Truffaut, ebenso wie in Richard Lesters Petulia (1968) und Schlesingers Die Herrin Von Thornhill (1967).

Auf die Frage, was Roeg ihrer Kunst hinzu­ge­fügt habe, stutzt sie: »Well, er hat mich immer sehr schön beleuchtet. Das ist ein phan­tas­ti­sches Geschenk für eine Schau­spie­lerin. Als Filme­ma­cher ist er brilliant.« Um dann den Mensch zu loben: »Er verehrt Frauen einfach wunder­voll, er liebt das Leben, und er ist eine wunder­volle Person am Set. Wie kein zweiter: Sein Denken ignoriert das Film­system, besonders seine Moral – eine ungemein inter­es­sante Person, die man gern um sich hat.«

Berühmt wurde Christie auch durch die bedeu­tendste ihrer vielen Romanzen, jene mit Warren Beattie, mit dem sie drei Filme drehte. »Warren war das Gegenteil von Hal Ashby. Er hatte ein so starkes Ego, Hal war immer bescheiden und zurück­hal­tend.« Bemer­kens­wert ist, mit wie wenigen Rollen Christie ihren Ruhm, erlangte: Nur elf Filme drehte sie zwischen 1963 und 1978, darunter zweimal mit Robert Altman McCabe & Mrs. Miller (1971) und Nashville (1975), Haupt­rollen in Rose­ma­ries Baby oder The Godfather (Der Pate) lehnte sie dagegen ab! Heute ist sie nur noch gele­gent­lich auf der Leinwand zu sehen: Ob Hamlet (1996), Belphégor (2001), TROJA und HARRY POTTER (2004). Zuletzt hat Christie 2007 eine Alzhei­mer­kranke in An ihrer Seite gespielt, der ihr prompt wieder eine Oscar­no­mi­nie­rung einbrachte. Seit 1978 ist sie – wie es scheint: glücklich – verhei­ratet ausge­rechnet mit einem Jour­na­listen, was deshalb bemer­kens­wert ist, weil sie diese Zunft sonst eher wenig schätzt.

Eine eigene Meinung hat Christie zu allem: Warum man heute den Observer nicht mehr lesen kann, und die besten Filme aus China und dem Iran kommen. Zugleich fragt sie ihren Gesprächs­partner unge­duldig aus: »Sind Sie eine Cine­philer? Wo waren Sie am 11.9. 2001? Was hat es im deutschen Kino mit dieser ›Berliner Schule‹ auf sich?« Christie ist zwar Vege­ta­rierin, aber dafür raucht sie wie ein Schlot, und das Weiß­wein­glas ist an dem Abend in München auch schneller leer, als es dem ums Mithalten bemühten Gegenüber lieb ist.

Aber sobald sie einmal eine gewisse Nähe zuläßt, erscheint Christie dann eben völlig unprä­ten­tiös und offen. Ihre viel­be­schrie­bene Poesie liegt dabei vor allem in der Souver­ä­nität, in der sie sich äußeren Erwar­tungen verwei­gert. Wenn man ihr Feuer gibt, und das Gesicht kurz aufleuchtet, glaubt man für Augen­blicke all ihre Rollen darin aufscheinen zu sehen. Aber wie das Licht ist der Eindruck im Nu wieder verschwunden, reine Projek­tion. Und Christie gehört ganz sich selbst, hat definitiv ihren eigenen Kopf. Wenn Julie Christie etwas tut, muss es wohl aus Liebe sein.

Rüdiger Suchsland