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Filmfest München 2003 10.07.2003
 
 
Ausgeträumt
Das Filmfest München 2003
DIRTY PRETTY THINGS
 
 
 
 

"Träume mit offenen Augen" - so lautete das verführerische Motto des diesjährigen Münchner Filmfests. Vom Kino als Traumfabrik, die aus technicolorfarbener Zuckerwatte cineastische Märchen strickt, war allerdings wenig zu spüren.

In FEAR AND TREMBLING entpuppt sich der Traum vom Job in Tokio als Alptraum: Kaffee servieren, Kalenderblätter abreißen - ganz so hatte sich die hochqualifizierte Amélie ihre Arbeit in einem japanischen Konzern eigentlich nicht vorgestellt. Ihren Wunsch, nach einer Tätigkeit, die ihr Gehirn beschäftigt, finden die Japaner außerordentlich exzentrisch, Eigeninitiative wird mit Misstrauen beäugt. Trotz aller Schikanen ist Amélie entschlossen, durchzuhalten - denn wer in Japan kündigt, verliert sein Gesicht. Ihre einzige Zuflucht ist das Staunen über das absurde Theaterstück, in dem sie sich plötzlich wiederfindet, und der Blick aus dem Fenster, der ihr einen imaginären Flug über die Skyline der Megametropole schenkt.

Auch Odil und Yvan flüchten sich in einen Traum: Mitten im Krieg haben die junge Mutter und der Streuner sich in einem verlassenen Haus eingerichtet - eine friedliche Bastion, die außerhalb der Zeit zu existieren scheint. Doch obwohl Yvan gleich zu Beginn heimlich das Telefon gekappt hat und das Radio im Keller verschließt, lässt sich die Wirklichkeit auf Dauer nicht aussperren. LES ÉGARÉS von Regisseur André Téchiné zeigt Menschen denen erst eine Ausnahmesituation ermöglicht, ihre Träume auszuleben.

Senay und Okwe, zwei illegale Einwanderer in London, haben existenzielle Sehnsüchte: Sie hoffen auf eine neue Identität, die ihr Schattendasein beendet. Ein Organhändlerring bietet ihnen einen neuen Pass im Tausch für eine Niere. Als die Einwanderungsbehörde Senay immer mehr zusetzt, scheint ihr dieser Preis für ein neues Leben plötzlich gar nicht mal so hoch. Mit DIRTY PRETTY THINGS verleiht Stephen Frears dem verborgenen Heer illegaler Einwanderer ein Gesicht und stellt allgemeingültige Fragen nach Zivilcourage und Integrität.

Der plötzliche Tod ihres Mannes hinterlässt bei May ein zunächst beängstigendes Vakuum. Doch rasch füllt sich der ungewohnte Freiraum mit längst begraben geglaubten Träumen: May stürzt sich Hals über Kopf in eine Affäre mit einem Handwerker - halb so alt wie sie und überdies der Liebhaber ihrer Tochter. May erkennt in Roger Michells bewegender Geschichte THE MOTHER: Leben heißt, seine Träume in die Tat umsetzen. Auch wenn viele an der Realität zerschellen und ihre Splitter schmerzhafte Wunden reißen.

Das wunderbare Maori-Epos WHALE RYDER erzählt davon, wie mit Hartnäckigkeit, Hingabe und einem Schuss Magie auch unmöglich scheinendes wahr werden kann. Pai träumt davon, in die Riten ihres Stammes eingewiesen zu werden. Doch für Mädchen ist die Kriegerausbildung tabu. Stattdessen versucht Großvater Kano aus Baseballkappen tragenden Jünglingen künftige Häuptlinge zu machen. Doch Pai lässt sich davon nicht abhalten: Eines nachts ruft sie ihren Urahnen, den Walreiter, zu Hilfe...

Auch im Dokumentarfilm geht es letztendlich um Träume. EASY RIDERS, RAGING BULLS basiert auf der Skandalchronik von Peter Biskind über die schönen, wilden 70er. Der Film erzählt wie Scorsese, Coppola, Altman & Co das amerikanische Kino auf den Kopf stellten aber dann ihre Ideale verkauften.

In HYSTERICAL BLINDNESS schließlich träumen Debby und Beth noch immer von Mr. Right. Vor allem Debby versucht verbissen, die Realität ihren Träumen anzupassen - und wälzt nach einem One-Night Stand schon die Brautkataloge. "Manchmal siehst Du die Dinge nicht besonders klar", sagt ihr Barmann Bobby nach einer weiteren Enttäuschung. Und so werden Debbys kurze Anfälle von Sehverlust, die der Arzt als Hysterische Blindheit diagnostiziert, zur Metapher für einen sehnsuchtsverzerrten Blick auf den Realität. Am Schluss steht zwar nicht das große Hollywood Happyend, dafür jedoch ein Augenblick purer Lebensfreude - ein kurzer Moment nur, aber dafür die Wirklichkeit.

Träumen ist eine großartige Sache, so lautet die Botschaft des Films und dieses Festivals, solange man sich dabei nicht selbst um das kleine Alltagsglück betrügt.

Nani Fux

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