Großbritannien 2003 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Roger Michell Drehbuch: Hanif Kureishi Kamera: Alwin Küchler Darsteller: Anne Reid, Peter Vaughan, Anna Wilson-Jones, Daniel Craig, Danira Govich u.a. |
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May begehrt den Liebhaber ihrer Tochter |
Ein älteres Ehepaar, Toots und May, rüstet sich schweigend für einen Besuch bei den Kindern. Nach der resignierten Stille, die entsteht, wenn sich Menschen nichts mehr zu sagen haben, bricht der morgendliche Lärm einer vierköpfigen Familie über die beiden herein. Während des Aufenthalts in London stirbt Toots, und May weigert sich standhaft, allein in ihr Haus zurückzukehren. »Sei vernünftig, Mutter«, fordert ihr gestresster Yuppie-Sohn. »Warum sollte ich?« fragt May herausfordernd: Ein erstes Aufbegehren gegen die für alle bequeme Rolle, die May seit Jahrzehnten ausfüllt, eine Verweigerung, die mit dem Zerbrechen der Familie enden soll.
Der plötzliche Tod des Ehepartners hinterlässt ein zunächst beängstigendes Vakuum. Doch rasch füllt sich der ungewohnte Freiraum mit längst begraben geglaubten Träumen. May macht Dinge, die sie immer schon tun wollte. Sie beginnt zu zeichnen, sitzt in Straßencafes, schlendert durch die Stadt. Und nimmt sich schließlich, unerhört, einen Liebhaber, der halb so alt ist wie sie: Darren, den Freund ihrer neurotischen Tochter.
Die Geschichte geht schmerzlich unter die Haut. Ersonnen hat sie Hanif Kureishi, der schon für Patrice Chéraus preisgekrönten Film Intimacy die Vorlage lieferte. Als May endlich aus der Mutterrolle ausbricht, sprengt dies das familiäre Gefüge. Einmal mehr erweist sich Kureishi als Experte für die emotionale Brutalität, die häufig unter der glatten Oberfläche lauert. Da ist die neurotische und völlig egozentrische Tochter, die ihrer Mutter die Verantwortung für ihr privates und berufliches Desaster zuschiebt. Da ist der Sohn, der mit seiner Familie in einem durchgestylten Haus lebt, und sich mit seiner attraktiven Frau hinter verschlossenen Türen unentwegt angiftet.
Immer wieder rückt Regisseur Roger Michell unscheinbare Gegenstände in den Mittelpunkt: Toots Pantoffeln, die nach seinem Tod noch immer auf ihn zu warten scheinen. Das Tablett mit dem liebevoll zusammengestellten Lunch, das May für Darren bereitet hat. »Was braucht der Mensch, abgesehen von ein paar Schuhen?«, fragt Darren. Wenig Materielles, so ist die Antwort, die der Film gibt. Dafür aber um so mehr Liebe, Verständnis, Zärtlichkeit und Leidenschaft. Am Ende des Films hat May einen hohen Preis für das Ausleben ihrer Phantasien gezahlt. Aber sie ist ins Leben zurückgekehrt.