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Dokfest 2002 03.05.2002
 
 

Expedition ins Ungewisse
Das 17. Internationale Dokumentarfilmfestival München

Herr Mosch, der Operateur
 
 
 
 

"Im Fernsehen sind die Bilder eingekaschtelt. Das verengt den Horizont. Erst vor der großen Leinwand ist man mitten drin." Weise Worte von einem, der es wissen muss: Er ist einer der Protagonisten aus Douglas Wolfspergers herzerwärmenden Eröffnungsfilm BELLARIA - SO LANGE WIR LEBEN. Wolfsperger erzählt die wundersame Geschichte einer Wiener Kinoinstitution, wo Marika Röck noch die Beine schwingt, Zarah Leander ihre traurigen Weisen singt und das treue Stammpublikum so betagt ist wie die Filme, die über die Leinwand knistern.

Die Reduzierung auf die Dimensionen der Fernsehröhre ist ein Schicksal, dass den meisten Dokumentarfilmen beschieden ist. Um so beglückender, im Rahmen eines Festivals wieder einmal in großformatig präsentierten Dokumentationen zu schwelgen. Und die Leute kommen in Scharen: Auch bei schönstem Wetter drängen sie sich zuhauf in den Foyers, die Karten für Wolfspergers Eröffnungsfilm waren schon am ersten Tag des Vorverkaufs hoffnungslos vergriffen.

Nikolaus Geyrhalter hat mit seinem ethnologischem Epos sicher nicht den Fernsehzuschauer im Blick gehabt: Vier Stunden dauert sein Episodenfilm ELSWHERE. Zwölf Monate ist er kreuz und quer über den Erdball gereist und hat an zwölf, zumeist unwirtlichen Orten gedreht: Eine fragmentarische Bestandsaufnahme der Erde im Millenniumsjahr. Gelassene Momentaufnahmen aus anderen Welten, von den Eiswüsten Grönlands bis ins paradiesischen Inselwelt Mikronesiens. Zwölf menschliche Schicksale, auf je 20 Minuten komprimiert. Ein Marathon in Zeitlupe.

Minimalistisch hingegen kommt die vielbesprochene Dokumentation IM TOTEN WINKEL daher: Sie ist fast ausschließlich in der Einzimmerwohnung von Traudl Junge entstanden. 90 Minuten lang beherrscht ihr Gesicht die Leinwand, während sie von ihrer Zeit als Hitlers persönliche Sekretärin berichtet. Bewusst haben André Heller und Othmar Schmiderer auf jegliches Beiwerk verzichtet. Keine Archivaufnahmen stören die Bilder in unseren Köpfen, während die begnadete Erzählerin ihre Geschichte vor uns ausbreitet. Dieser Film zumindest hat den Sprung in die Kinosäle geschafft: Von heute an wird er bundesweit zu sehen sein.

Das Münchener Dokumentarfilmfest ist auch in seinem 17. Jahr nicht in die Riege der großen internationalen Festivals aufstiegen: Die besten Filme liefen meist schon anderswo. Doch die Liebe zum Dokumentarfilm eint auch in diesem Frühling Organisatoren, Publikum und Regisseure und lässt das Festival trotz chronischen Geldmangels zu einem Höhepunkt des Münchener Kulturjahres werden. Wo der Glamourfaktor fehlt, fließen Gelder nur zögerlich. Um so trauriger, dass das Festival darüber hinaus jetzt auch noch obdachlos geworden ist: Im nächsten Sommer wird das Filmmuseum, bislang Heimat des Dokfests, eine Baustelle sein. Ein neuer Ort ist noch nicht gefunden. Doch noch hofft man, dass sich rechtzeitig eine Lösung findet: Wer sich mit diesem Genre befasst, braucht schließlich immer Improvisationstalent, Leidenschaft und einen langen Atem.

Als "eine Expedition ins Ungewisse" beschreibt auch Christian Bauer in seinem außergewöhnlichen Beitrag MISSING ALLEN das Abenteuer Dokumentarfilm. Die verstörende Spurensuche nach seinem Freund und Kameramann, der unter mysteriösen Umständen verschwand, ist sicherlich einer der intensivsten und spannendsten Beiträge des Festivals. Die beunruhigende Story schlägt den Zuschauer in den Bann. Und weil all dies keine Fiktion ist, können wir uns nicht abschotten gegen die Schrecken, die uns auf der Leinwand begegnen. Cinéma Vérité: Die Realität führt Co-Regie und gibt Situationen vor, in denen der Filmemacher seine Geschichte erst aufspüren muss.

Obwohl MISSING ALLEN bereits als bester Dokumentarfilm in Venedig und Montreal ausgezeichnet wurde, hat Bauer bisher noch keinen Verleiher finden können. Und so wird vielen nichts anderes übrig bleiben, als ihn sich doch im heimischen Pantoffelkino anzusehen: Am 27. Mai 2002 läuft der Film voraussichtlich bei Arte.

Nani Fux

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