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Dokfest 2002 - Expeditonen ins Ungewisse  
 
 
 
 

Bellaria - so lange wir leben
Douglas Wolfsperger, Deutschland/Österreich 2001, 100 Min.

   
 
 
 
 

"Heute gibt es nur noch Tsching-Bumm und lauter Nackerte - das interessiert mich nicht", erklärt eine resolute Lady, die mit Leopardenhut und Fuchskragen im Foyer des Bellaria erscheit. Sie zieht das legendäre Wiener Kino vor, wo täglich noch die alten Ufa-Filme über die Leinwand knistern. Der betagte Filmvorführer hingegen hat eine andere Erklärung für das rege Interesse der Damenwelt: "Im Bellaria kriegt man noch Männer mit Vorkriegscharakter zu sehn."

Jeden Nachmittag putzen sie sich für den Höhepunkt des Tages heraus: Hütchen und Toupets werden zurechtgezupft, elegante Handschuhe übergestreift. Viele kommen schon lange vor der Vorstellung, um zwischen verblühten Tapetenblumen und abgewetztem Plüsch zu Plaudern. Wenn der Vorhang aufgeht und Zarah Leander ihre wehmütigen Weisen singt oder Marika Röck durchs Bild wirbelt, dann sitzen sie andächtig wie die Kinder vor dem Weihnachtsbaum und summen leise mit.

Da ist die eindrucksvolle Dame, die schon für den Schah von Persien ein Liedlein pfiff und sich jetzt von ihrem Freund und Mitcineasten die müden Füße pediküren lässt. Da ist der alte Travestiekünstler, der seinen größten Schatz vorführt: ein Jahrzehnte alter Lippenstiftabdruck auf einer Zigarettenschachtel. Da ist die sanfte alte Frau, die, wenn sie ehrlich ist, ganz froh war, als ihr Mann starb. "Er war kein freundlicher Mensch", sagt sie nur und lächelt entschuldigend. Die tägliche Kinokarte spart sie sich buchstäblich von Munde ab: In ihrem Wohnzimmerschrank hortet sie Konservendosen aus dem Sonderangebot. Nahrung fürs Gemüt ist ihr wichtiger.

"Anfangs war man meinem Projekt gegenüber sehr reserviert", berichtet Douglas Wolfsperger. "Da hatten einige Journalisten verbrannte Erde hinterlassen." Doch dann hat gegenseitige Sympathie das Eis schnell gebrochen. Zutraulich gewähren die alten Menschen dem Filmemacher Einblick in ihr Leben. Strahlend präsentiert eine muntere alte Dame ihm ihren rüstigen Tanzteegalan. "Der Arzt sagt, ich solle tüchtig Küssen", sagt sie schelmisch. Was sie dann auch mit einer Inbrunst tut, die auf der Ufa-Leinwand undenkbar gewesen wäre. Die Erotik stirbt nicht mit dem Alter.

Auch das Thema Tod ist kein Tabu: Der Travestiekünstler hat im Familiengrab schon ein lauschiges Plätzchen reserviert. Und der alte Filmvorführer sagt ganz nüchtern: "Wenn ich sterbe, wünsch ich mir ein mittelmäßiges Begräbnis - so wie alles in meinem Leben mittelmäßig war." Unsterblich sind eben nur Leinwandgöttinnen und Filmhelden. Doch ganz insgeheim hofft die alte Garde aus dem Bellaria vielleicht doch, dass, wenn für sie der letzte Vorhang fällt, irgendwo Marika Röck oder Luis Trenker auf sie warten.

Nani Fux

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