Das Zimmer meines Sohnes

La stanza del figlio

Italien/F 2001 · 99 min. · FSK: ab 12
Regie: Nanni Moretti
Drehbuch: ,
Kamera: Giuseppe Lanci
Darsteller: Nanni Moretti, Laura Morante, Jasmine Trinca, Giuseppe Sanfelice u.a.
Moretti läuft

Es gibt keine großen Omen in diesem Film, das Schicksal täuscht seine Schläge vorher nicht erst an. Und deshalb ist das Fairste, was man allen prin­zi­piell Inter­es­sierten raten kann, ihn sich anzusehen ohne ein weiteres Wort darüber zu lesen oder zu hören. Denn man sollte eigent­lich nicht schon wissen und warten. Während auf der Leinwand das Leben von Giovanni und seiner Familie so heiter dahin­plät­schert, im Städtchen Ancona. Es gibt Gespräche darüber, welche Sportart die schönsten Geräusche erzeugt, die Tochter macht mit ihrem Freund Latein-Haus­auf­gaben, Giovanni, von Beruf Psycho­ana­ly­tiker, ist milde genervt von seinen Patienten, die alle eher schrullig als ernstlich krank wirken. Und der Sohn Andrea wird verdäch­tigt, in der Schule einen Ammoniten gestohlen zu haben – die erste Gele­gen­heit, bei der Giovanni erkennen muss, dass er wenig weiß vom (Innen-)Leben seines Spröß­lings.

Das alles wird betont kunstlos erzählt, heischt keine Gefühle, drama­ti­siert nicht. Nanni Moretti will die Illusion vermit­teln, keiner Kino-Illusion zuzusehen; der Stil will verschwinden, unsichtbar werden. Die Kamera hat einen unauf­dring­li­chen, züchtigen Blick. Der sich auch nicht ändert, als es plötzlich einen Rempler gibt, der dieses Leben aus der Bahn wirft. Genauso unauf­ge­regt sieht dieser Blick auf den endgül­tigen Abschied vom Sohn, auf das Zuschweißen des Sargs. Genauso wenig mischt er sich ein in die Gefühle der plötzlich nur noch drei­köp­figen Familie, die an der Unfähig­keit zu zerbre­chen droht, mit dem Unfass­baren umzugehen. Giovanni, der Seelen­doktor, kann allen anderen so wenig helfen wie sich selbst. Er kommt nicht über die Vorstel­lung hinweg, am Tod des Sohnes Schuld zu tragen. Und darüber, dass er seine einzige Chance verpasst hat, den Jungen wirklich kennen zu lernen. Was Giovanni genommen wurde, war letzlich ein Fremder und wird es nun immer bleiben.

Soviel Kino, soviel Poeti­sie­rerei freilich gönnt sich Moretti dann doch, dass er den Bogen weiter­erzählt bis zum zarten Ausblick auf Hoffnung, auf Über­win­dung des Traumas. Da aber begibt sich der Film immer weiter weg von seinen Stärken – die hat er im nüch­ternen Zeigen der banalen, alltäg­li­chen Grau­sam­keit des Todes, der unre­du­zier­baren Lücken, welche er reißt. Dass sich da nichts wieder gut machen läßt, nichts korri­gieren. Und dass es nicht hätte so kommen müssen.

Für Nanni Moretti ist La stanza del figlio eine Über­sied­lung auf’s Terrain des Privaten und Allge­mein­mensch­li­chen gerade zu der Zeit, als in Rom der proto­fa­schis­toide Berlus­coni-Filz die Macht ergriffen hat – Zufall, denn das Projekt trug er offenbar schon länger mit sich. Aber viel­leicht dabei auch eine unbe­ab­sich­tigte Absage an die bisherige, deutlich poli­ti­schere Ausrich­tung seines Kinos, dessen letzt­end­liche Wirkungs­lo­sig­keit sich nun so ernüch­ternd offenbart hat.

Der Jury von Cannes 2001 war das, so oder so, immerhin die Goldene Palme wert. Auch wenn dieser Film keine solche One-Man-Show mehr ist wie Caro Diario oder Aprile – geblieben ist Morettis Egon­zen­trik dennoch. Dass Giovanni den Tod des Sohnes manchmal eher als eine Art persön­liche Belei­di­gung aufzu­fassen scheint, dass sein Schmerz etwas ungemein Egois­ti­sches hat, das gehört freilich zur Figur. Wie sehr der Film aber Giovannis Sicht folgt, dass er das wahre Zentrum der Tragödie sei, das hat stel­len­weise schon etwas Rück­sichts­loses und Blindes gegenüber Paola (die fabel­hafte Laura Morante) und Tochter Irene. Zumal Moretti etwas über­schätzt, inwieweit er als Schau­spieler eine solche drama­ti­sche Haupt­rolle zum tragenden Pfeiler eines ganzen Films machen kann. Da nimmt die Verschmel­zung mit der Figur Giovanni, die der Darsteller Moretti offenbar anstrebte, dem Regisseur Moretti nicht selten die Zurück­hal­tung und Neutra­lität, die dem Film seine besten Momente beschert. Die funk­tio­nieren, weil man nicht durch die üblichen Tricks zum Mitfühlen gezwungen wird, weil die Emotion sich freier und dadurch authen­ti­scher entwi­ckeln kann.
Könnte man Giovannis Seelen­nöte konse­quent durch solch urteils­freie Augen sehen, würde einem immer diese Distanz gelassen, dann bekämen sie womöglich auch in ihren unsym­pa­thi­schen Aspekten eine Tragik, die Empathie fordert. So aber wird der Film doch immer wieder auch zu dem, was er so sehr vorgibt, nicht zu sein: Reinem Theater.